Für die allgemeinen Ehewirkungen beurteilen sich die Anknüpfungsmomente nach dem jeweils aktuellen Zeitpunkt, da Art. 14 Abs. 1 wandelbar ist. Aktuell haben M und F keine gemeinsame Staatsangehörigkeit; Deutsche sind beide nicht mehr. Daher greift Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 nicht. Der subsidiären Anknüpfung folgend, ist sodann auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 abzustellen. Danach ist der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt entscheidend. Dieser liegt in Paris. Hinsichtlich der allgemeinen Ehewirkungen wird also auf französisches Recht verwiesen.
Der Güterstand unterliegt hingegen einer unwandelbaren Anknüpfung in Art. 15 Abs. 1 (die Vorschrift wird Anfang 2019 aufgehoben, gilt aber nach Art. 220 Abs. 3 S. 5 in der bis einschließlich 28.1.2019 geltenden Fassung fort, wenn die Ehe – wie hier – nach dem 8.4.1983 und vor dem 29.1.2019 geschlossen wurde). Danach gilt das Recht, das im Zeitpunkt der Eheschließung für die allgemeinen Ehewirkungen maßgeblich war. Zu jenem Zeitpunkt im Jahr 2009 waren sowohl M als auch F Deutsche. Daher verwies Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 damals auf deutsches Recht. Und da das zu diesem fixen Zeitpunkt berufene Recht für Art. 15 Abs. 1 maßgeblich ist, verweist Art. 15 auf deutsches Ehegüterrecht.
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Hinweis
Auch die ab dem 29.1.2019 geltende EuGüVO sieht in Art. 26 Abs. 1 lit. b für den ehelichen Güterstand eine unwandelbare Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung vor. Vorrangig knüpft jedoch Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO den ehelichen Güterstand an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nach der Eheschließung an, sofern keine (wirksame) Rechtswahl nach Art. 22 EuGüVO getroffen wurde.
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Nur bei wandelbaren Verweisungsnormen kann es zu sog. Statutenwechseln kommen.[28] Damit ist gemeint, dass ein Rechtsverhältnis im Laufe der Zeit mal der einen und mal einer anderen Rechtsordnung unterliegt.
Wer mit dem Begriff Statut etwas anzufangen weiß (siehe Rn. 9), dem wird der Begriff Statutenwechsel keine Verständnisprobleme bereiten.
Beispiel
Im obigen Beispiel (Rn. 50) etwa richteten sich die Ehewirkungen von 2009 – 2012 gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 zunächst nach deutschem Recht. Mit dem Wechsel der beiden Staatsangehörigkeiten 2012, kam es zu einem Statutenwechsel, da von diesem Zeitpunkt an gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 auf französisches Recht verwiesen wurde.
gg) Ausweichklauseln
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Die dargelegten Anknüpfungstechniken sorgen für Rechtssicherheit. Zugleich führen sie im Regelfall zu der Rechtsordnung, zu der die engste Verbindung besteht. In Ausnahmefällen ist das berufene Recht allerdings derart weit von der engsten Verbindung des Sachverhalts entfernt, dass durch sog. Ausweichklauseln (z.B. Art. 46 EGBGB; Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) eine Ergebniskorrektur erforderlich wird. Dies dient zwar – wie etwa § 242 BGB im materiellen Recht – der Gerechtigkeit im Einzelfall, schadet jedoch der Rechtssicherheit. Daher sind Ausweichklauseln eng auszulegen.
Hinweis
Die Mischung aus festen Anknüpfungsregeln und Auflockerungen durch Ausweichklauseln ist den Zielen des IPR (siehe Rn. 4 ff.) geschuldet.
Beispiel
Die Inländer A und B reisen mit einem deutschen Busunternehmen von Heidelberg nach Barcelona. Auf der Höhe von Marseille veräußert A dem B ein Handtuch. Der Eigentumsübergang würde sich nach Art. 43 Abs. 1 an sich nach französischem Recht richten. Da Frankreich aber nur Durchreiseland ist und der Sachverhalt deutlich engere Verbindungen zu Deutschland aufweist (deutsches Busunternehmen, Staatsangehörigkeiten von A und B), ist nach der Ausweichklausel in Art. 46 deutsches Recht anzuwenden.
JURIQ-Klausurtipp
Das Verständnis für die beschriebenen Anknüpfungstechniken wird Ihnen in der Klausur helfen, das Gesetz richtig anzuwenden. Dabei wird es nicht darauf ankommen, ob Sie sich an die Bezeichnungen der verschiedenen Anknüpfungstechniken erinnern. Entscheidend ist vielmehr, dass Sie das Gesetz genau lesen und entscheidende Worte, wie „im Zeitpunkt der Eheschließung“ (unwandelbare Anknüpfung), nicht unterschlagen. Bei genauem Lesen und wortgetreuem Anwenden des Gesetzes folgen Sie den beschriebenen Anknüpfungstechniken völlig von selbst!
Anmerkungen
Vgl. Herbert JuS 2000, 254, 256 f.
Weiterführend Rauscher Rn. 469 ff., insbesondere Rn. 468 ff.; Sendmeyer JURA 2011, 588, 589 f.; Herbert JuS 2000, 254 ff.
Darauf, dass manche Autoren die lex-fori-Theorie ablehnen (Nachweise bei Hoffmann/Thorn § 6 Rn. 18 ff.; Bröderman/Rosengarten Rn. 135 ff.), ist in einer Klausur grundsätzlich nicht einzugehen.
Dieser Aspekt war Gegenstand der dritten Zivilrechtsklausur der Ersten juristischen Staatsprüfung in Baden-Württemberg im Frühjahr 2005.
Im Einzelnen siehe Rn. 162.
Vgl. MüKo-Dutta Art. 3 Rn. 6 und Rn. 9.
Sendmeyer JURA 2011, 588, 589; Brödermann/Rosengarten Rn. 20 bevorzugen den Begriff des Anknüpfungspunktes.
Manche Autoren rechnen die Anknüpfungsmomente dem Tatbestand zu, vgl. Looschelders Vorbem. Art. 3–6 EGBGB, Hoffmann/Thorn § 4 Rn. 4. Einen praktischen Unterschied macht das nicht.
MüKo-Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 26.
Zur Verwendung der Staatsangehörigkeit in der EU-Gesetzgebung Basedow IPRax 2011, 109 ff.
Sie sind aufgeführt und erläutert bei Hoffmann/Thorn § 5 Rn. 10 ff.
Hoffmann/Thorn § 5 Rn. 37.
Zur Behandlung von Mehrstaatern im Unionsrecht Fuchs in: FS Martiny 2014, 303, 310 ff.
New Yorker UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen v. 28.9.1954 [J/H Nr. 12].