Teil 2 Allgemeines › IV. Die Stellung des Verteidigers und sein Verhältnis zu den Prozessbeteiligten › 4. Verhältnis zu Verteidigerkollegen, gemeinsame Verteidigung
4. Verhältnis zu Verteidigerkollegen, gemeinsame Verteidigung
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Zu geringe Aufmerksamkeit wird meist dem Verhältnis des Verteidigers zu den mitverteidigenden Kollegen geschenkt. Die Tätigkeit mehrerer Verteidiger in einem gemeinsamen Verfahren kommt in verschiedenen Konstellationen vor: Bei der Vertretung eines einzigen Angeklagten durch mehrere Verteidiger (gemäß § 137 Abs. 1 S. 2 höchstens drei) oder bei der Verteidigung verschiedener Angeklagter durch jeweils einen oder mehrere Verteidiger, wobei die Verteidigungsziele (ganz oder teilweise) konform oder konträr ausgerichtet sein können.
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Verteidigen verschiedene Rechtsanwälte einen einzigen Angeklagten, so ist es unerlässlich, dass die Verteidigungsstrategie und die Aufgabenverteilung unter den Verteidigern gemeinsam mit dem Angeklagten vor der Hauptverhandlung abgestimmt werden. In Bezug auf das gemeinsame Verteidigungskonzept gilt zunächst dasselbe, was für das Verhältnis zwischen Verteidiger und Mandant ausgeführt wurde: Eine gemeinsame Verteidigung hat nur dann Sinn, wenn über das Vorgehen grundsätzliche Einigkeit besteht. Ist diese nicht zu erzielen, so muss eines der beiden Verteidigungsverhältnisse möglichst frühzeitig beendet werden. Die Aufgabenverteilung unter Verteidigerkollegen in der Hauptverhandlung kann verschiedener Art sein. Eine Aufteilung nach Anklagepunkten oder Sachkomplexen bietet sich an, während die Trennung nach tatsächlichen und rechtlichen Fragen problematisch sein dürfte, da beide Komplexe meist eng verknüpft sind. Es sollte selbstverständlich sein, dass sich der Verteidiger in der Hauptverhandlung an das vereinbarte Konzept hält und nicht der Versuchung nachgibt, sich zu Lasten der gemeinsamen Verteidigungsstrategie und auf Kosten des Mitverteidigers zu profilieren.
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Problematischer ist die Verteidigung verschiedener Beschuldigter. Verlaufen die Verteidigungsziele konträr, etwa weil ein Angeklagter die gemeinsame Tat einräumt, der andere sie bestreitet, so sieht sich der Verteidiger häufig entweder in der Rolle eines zweiten Staatsanwalts (vor allem dann, wenn die Überführung des Mitangeklagten unmittelbar zum Vorteil des eigenen Mandanten ausschlägt, etwa im Fall der Aufklärungshilfe nach § 46b StGB oder § 31 BtMG), oder er selbst ist durch seinen Kollegen mit einem zweiten Ankläger konfrontiert. Gerade im ersten Fall darf der Verteidiger nicht vergessen, dass er in erster Linie eben Verteidiger und nicht Ankläger ist. Nicht gerade überzeugend wirken daher Ausführungen (etwa: „Man weiß ja, was man von den Einlassungen eines Angeklagten im Strafprozess zu halten hat!“), die zu seinen sonst geäußerten Ansichten in diametralem Gegensatz stehen. Besser dürfte es allemal sein, an dieser Stelle Zurückhaltung zu üben und sich auf die Würdigung der festgestellten Tatsachen zu beschränken. Dies gilt umso mehr, als sich der Verteidiger in den Fällen widersprechender Sacheinlassungen der Angeklagten meist ohnehin sicher sein kann, auf wessen Seite der Staatsanwalt stehen wird.
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Bei ganz oder teilweise konformer Verteidigungsstrategie stellt sich die Frage nach Art und Zulässigkeit der Zusammenarbeit in der Verteidigung mehrerer Beschuldigter, der sogenannten „Sockelverteidigung“,[33] die vor allem durch den Vortrag von Richter II auf dem 47. Deutschen Anwaltstag ins Bewusstsein gerufen wurde,[34] nachdem sie in Rechtsprechung und Literatur bis dahin ein ausgesprochenes Schattendasein geführt hatte.[35]
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Den dort geäußerten Ansichten ist im Wesentlichen beizupflichten: „Sockelverteidigung“, veranlasst und notwendig geworden durch das Verbot der Mehrfachverteidigung,[36] bezweckt die Maximierung gemeinsamer Abwehrkräfte der Verteidigung und die Vermeidung von Gefahren, die sich aus der Widersprüchlichkeit des Verhaltens mehrerer Beschuldigter ergeben können.[37] Der Verteidiger muss sich darüber im Klaren sein, dass die Äußerungen und das Verhalten sowohl des eigenen Mandanten wie auch des Mitangeklagten Beweismittelqualität haben und damit zur (schlimmstenfalls gegenseitigen) Überführung beitragen können.[38] Hier gilt es rechtzeitig vorzubeugen.
Hinweis
In rechtlicher Hinsicht muss der Verteidiger wissen, dass der Informationsaustausch zwischen Verteidigerkollegen zulässig ist.[39] Die Einbindung des Mandanten unter vollständiger Offenlegung dessen, was zwischen den Verteidigern besprochen wurde, ist dabei nicht nur erlaubt, sondern zwingend.[40] Dies ergibt sich aus dem grundsätzlich privatrechtlich geregelten Vertrag zwischen Mandant und Anwalt. Vertraulichkeitszusagen gegenüber Verteidigerkollegen, die Mitbeschuldigte verteidigen, darf es daher nicht geben. Andererseits darf der Verteidiger aber auch nicht erwarten, dass die beteiligten Kollegen mit seinen Informationen anders umgehen. Es empfiehlt sich, im Hinblick hierauf den Mandanten eine Erklärung über die Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht abgeben zu lassen. Das gleiche gilt für Absprachen über die Verteidigungsstrategie, insbesondere zur Frage des Schweigerechts oder zu Art und Inhalt der Sacheinlassung der Angeklagten. Die Grenze zulässigen Verteidigerverhaltens liegt dort, wo die Verteidiger ihren Mandanten eine bewusst wahrheitswidrige, aufeinander abgestimmte Aussage empfehlen.[41]
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Die Verteidigung mehrerer Angeklagter durch Wahlverteidiger einer Sozietät stellt auch keine unzulässige Mehrfachverteidigung i.S.v. § 146 dar und rechtfertigt daher auch keinen Zurückweisungsantrag nach § 146a.[42] Notwendig ist allerdings, dass sich für jeweils einen Mitbeschuldigten nur jeweils bis zu drei bestimmte Verteidiger melden. In diesem Fall ist es unschädlich, wenn in der Vollmachtsurkunde keiner der darin genannten Rechtsanwälte durch Streichung seines Namens ausgeschlossen ist.[43]
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Auch „Sockelverteidigung“ ist Individualverteidigung: Der Verteidiger kann eine einheitliche Verteidigungskonzeption daher nur mittragen, wenn sie für seinen eigenen Mandanten Vorteile, jedenfalls aber keine Nachteile, bringt.[44] Schon hieraus, aber auch aus verfassungsrechtlichen Gründen,[45] ergibt sich, dass die Verständigung unter Mitverteidigern keine Bindung im prozessrechtlichen Sinne bewirkt.[46] In taktisch-psychologischer Hinsicht sollte der Verteidiger darauf achten, dass er gegenüber dem Mitverteidiger bzw. Mitangeklagten seines Mandanten, die ja immerhin potentielle Prozessgegner sind, nicht einseitig in Vorleistung tritt. Vorab ist zu prüfen, ob überhaupt Bereitschaft und Interesse an einer Zusammenarbeit bestehen. Eine ablehnende Haltung kann in der Sache selbst, aber auch in der Person des Kollegen, des Mitangeklagten oder im Verhältnis der Angeklagten