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Für die innerhalb des von § 130 Abs. 3 OWiG festgelegten Rahmens erfolgende Bußgeldbemessung ist nach allgemeinen Regeln zwischen dem Ahndungs- (§ 17 Abs. 3 OWiG) und Abschöpfungsteil (§ 17 Abs. 4 OWiG) zu differenzieren. Bei der Ahndung können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters Berücksichtigung finden (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Im Gegensatz zur Strafe kommt der Geldbuße eine Gewinnabschöpfungsfunktion zu, weshalb das gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße in Gestalt des Ahndungsanteils nach § 17 Abs. 4 S. 1 und 2 OWiG überschritten werden kann.
gg) Haftung für unterlassenes Risikomanagement
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Derzeit sind Tendenzen auszumachen, das Unterlassen von Risikomanagement, welches auch auf die Unterbindung von Sanktions- und Schadensersatzrisiken gerichtet sein kann, straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich zu sanktionieren. Derartige Maßnahmen können nur bedingt als Reprivatisierung des Strafrechts interpretiert werden, bei der die Wirtschaft selbst organisatorische Vorkehrungen für die Einhaltung staatlicher Normen trifft.[152] Schon wegen ihrer Bezugnahme auf staatlich gesetztes Recht bilden sie nur eine Ergänzung zu Vorgaben des Gesetzgebers.[153] Mit ihnen geht tendenziell sogar eine Verdichtung der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verbotsmaterie, aber auch der darauf bezogenen Sozialkontrolle einher.[154] Die Vorstellung, namentlich mit Compliance werde die organisatorische Überwachung rechtlicher Vorgaben in die Hände des Überwachten gelegt, trifft demnach die Sache nicht: Es ist vielmehr so, dass derartige Regelungen zunehmend wieder in das staatliche Recht inkorporiert oder mitunter sogar neue Straftatbestände geschaffen werden,[155] die in gewisser Weise die Überwachung der Überwachung straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorgaben absichern. Indes ist nicht zu verkennen, dass hierdurch der eigentliche Tatvorwurf umgeformt wird: Anstatt die konkrete Rechtsgutsverletzung zu sanktionieren, wird das Unterlassen von Vorkehrungen, die eine solche Rechtsgutsverletzung verhindert hätten, zum Anlass der Sanktion (siehe auch Rn. 51 ff.).
(a) Bestehen einer generellen Compliance-Pflicht?
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Zunächst ist bei Unterlassen von Maßnahmen des Risikomanagements an Strafbarkeitsrisiken im Hinblick auf den Untreuetatbestand zu denken, wenn das Unternehmen aufgrund rechtswidriger Praktiken seiner Mitarbeiter Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen ausgesetzt ist.[156] Anknüpfungspunkt ist die Treubruchsvariante nach § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB: Sofern aufgrund rechtswidriger Mitarbeiterpraktiken Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen gegenüber dem Unternehmen geltend gemacht und realisiert werden, entstehen diese kraft Gesetzes und nicht – wie es die Missbrauchsvariante verlangt –[157] als Folge eines Rechtsgeschäfts. Der Treubruchstatbestand kann dabei nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen verwirklicht werden; eines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB bedarf es nicht, da der Treuepflichtige in jedem Falle Garant ist.[158]
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Obwohl der Vorstand einer AG oder die Geschäftsführung einer GmbH im Grundsatz eine Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf das Vermögen der Gesellschaft innehaben,[159] bestehen gleichwohl Bedenken, das Unterlassen von Compliance-Maßnahmen automatisch als Verletzung dieser Treuepflicht anzusehen. Da die dem Treunehmer obliegende Verpflichtung zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB selbst nicht inhaltlich konturiert wird, wäre für ihre inhaltliche Skizzierung akzessorisch an außerhalb des Strafrechts angesiedelte Rechtsmaterien anzuknüpfen.[160] Jenseits von Spezialnormen existiert jedoch keine generelle Verpflichtung zur Einrichtung von Compliance (siehe auch Rn. 640 ff.).[161] Sie resultiert insbesondere nicht aus § 91 Abs. 2 AktG,[162] der Ausstrahlungswirkung auf die GmbH entfaltet.[163] Danach hat die Unternehmensleitung geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Die Vorschrift ist nicht auf das Außenverhältnis der Gesellschaft gerichtet, sondern installiert einen im Unternehmensinteresse liegenden und das Innenverhältnis von Unternehmensleitung und Gesellschaft betreffenden Selbstregulierungsmechanismus, der der Leitung deutlich größere Freiräume in der Ausübung dieser Funktion belässt. Dem entspricht es, wenn die Vorschrift einhellig als Ausprägung der allgemeinen Leitungsaufgabe des Vorstands einer AG (§ 76 AktG) oder der Geschäftsführung einer GmbH (§ 35 GmbHG) verstanden wird.[164]
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Daher lässt sich aus der Norm allenfalls eine weniger weit reichende Verpflichtung ableiten, die darauf gerichtet ist, den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh zu erkennen und zu beseitigen. Hiervon wird freilich erst bei konkreten Insolvenzrisiken die Rede sein können,[165] weshalb diese Ausprägung des Risikomanagements erst relativ spät einsetzt. Die Verletzung der von § 91 Abs. 2 AktG statuierten Fortbestandssicherungspflicht kann dann allerdings grundsätzlich eine untreuerelevante Pflichtverletzung darstellen, weil solche Maßnahmen dazu dienen, wirtschaftlich nachteilige Folgen für das Unternehmen zu unterbinden.[166] Ergreifen Vorstand und Geschäftsführung diesbezüglich keinerlei Maßnahmen und nehmen ihre Unternehmensleitungsaufgabe nicht wahr, liegt hierin ein untreuerelevanter Pflichtverstoß, da das Ob der Erfüllung dieser Pflicht – wie der Wortlaut des § 91 Abs. 2 AktG zeigt („hat“) – nicht zur Disposition der Unternehmensleitung steht.
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Werden nur unzureichende Maßnahmen ergriffen, lässt sich nicht ohne Weiteres ein untreuerelevanter Pflichtverstoß annehmen. Insoweit kommt der Wertung der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG statuierten Business Judgement Rule maßgebliche Bedeutung zu.[167] Eine gesellschaftsrechtlich rechtswidrige Ermessensausübung scheidet demnach aus, wenn die Unternehmensleitung bei der getroffenen Auswahl an Fortbestandssicherungsmaßnahmen vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen und zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Selbst wenn man im konkreten Fall von einem Verstoß gegen die Business Judgement Rule ausginge, könnte hieraus noch immer nicht zwingend auf einen untreuerelevanten Pflichtverstoß geschlossen werden, da insoweit das Merkmal der gravierenden Pflichtverletzung relevant wird.[168] Will man dieses Kriterium nicht darauf reduzieren, ein Überschreiten des unternehmerischen Entscheidungs- und Handlungsspielraums anzuzeigen,[169] muss eine spezifisch strafrechtliche „Höhenmarke“ des Unrechts erreicht werden.[170] Gravierend wäre die Pflichtverletzung nur bei evidenter Überschreitung des unternehmerischen Beurteilungs- und Ermessensspielraums in der Auswahl der zu treffenden Maßnahmen. Hiervon kann jedoch erst ausgegangen werden, wenn die getroffenen Maßnahmen derart unzureichend wären, dass sie auch unter Rücksicht auf die insoweit zu konzedierenden Freiheitsgrade nicht mehr als ex ante im Interesse des Unternehmens liegend gedacht werden könnten.[171]
(b) Herbeiführung eines unmittelbaren Vermögensnachteils?
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Allerdings wird selbst in diesen Fällen im Regelfall kein untreuerelevanter Vermögensnachteil vorliegen. Im Ausgangspunkt ist an den Schadensbegriff des Betrugstatbestandes anzuknüpfen,[172] so dass bei einer Gesamtsaldierung von einem Nachteil ausgegangen werden kann, wenn der Wert des Vermögens infolge der Pflichtverletzung gemindert und diese Minderung nicht durch Zufluss eines vermögenswerten Äquivalents ausgeglichen wurde.[173] Allerdings führt der Verstoß gegen die Fortbestandssicherungspflicht selbst noch nicht zu einer realen Vermögenseinbuße, da etwaige Bußgeld- und Schadensersatzansprüche erst infolge rechtswidriger Verhaltensweisen von Unternehmensmitarbeitern durch Sanktionsinstanzen oder Geschädigte geltend gemacht werden. In Betracht kommt ein untreuerelevanter Vermögensnachteil allenfalls, wenn man eine durch die Treuepflichtverletzung bewirkte schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung ausmachen kann,[174] deren