man diese als „carte blanche“, d.h. als eine Blanko-Ermächtigung, in Integrationsfragen für die Staatsorgane ansehen würde, wäre es schwierig, eine europäische Verfassung in ihren Anwendungsbereich fallen zu lassen, die die Existenz der griechischen Verfassung als solche in Frage stellen würde. Demgegenüber ist eine andere Literaturmeinung, die allerdings vor der gegenwärtigen europäischen Verfassungsentwicklung vertreten wurde, der Auffassung, dass dadurch, dass die griechische Verfassung die Einschränkung der nationalen Souveränität und die Anwendung von Rechtsnormen in der griechischen Rechtsordnung zulässt, die aus einer anderen Rechtsordnung stammen und gegebenenfalls gegen sie verstoßen, diese selbst die Grundlage für ihre eigene Überholung, Aufhebung oder Beseitigung bildet.[120]
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Auf der anderen Seite wurde von der griechischen Lehre vertreten, dass die Föderalismustheorie dem historischen Wesen der Union widerspreche. Die Alternative zwischen Bundesstaat und Staatenbund sei im Hinblick auf das Wesen und die institutionellen Bedürfnisse des Integrationsprozesses ungeeignet und geschichtlich falsch. Nach dieser Meinung bilde die Union nach den bevorstehenden (verfassungsrechtlichen) Entwicklungen ein „postföderales“ Gebilde.[121] Unter Hinweis auf die doppelte Natur der EU als Organisation, die sowohl auf dem Völkerrecht als auch auf dem Verfassungsrecht beruhe, eine Natur, die kein Übergangsstadium zwischen der Form einer internationalen Organisation und der eines Staats, sondern die Quintessenz der europäischen Integration darstelle, wird für das europäische Gebilde eine neue Kategorie vorgeschlagen, die ihre Charakteristika und ihren Namen der Antike entlehnt und als „Sympoliteia“[122] bezeichnet wird. Die „Sympoliteia“, die eine Union von Staaten ist, sollte auf der Basis eines Verfassungsvertrags gegründet werden.
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Abschließend ist zur Frage der verfassungsrechtlichen Konzeptionen der europäisch integrierten nationalen Verfassung zu bemerken, dass – wie auch immer man zu der Aussage stehen mag, „[i]st es nicht unser altes Problem, dass wir die Gemeinschaftsentwicklung durch die Brille des nationalen Verfassungsrechts betrachten und uns dann wundern, dass wir in Schwierigkeiten geraten?“[123] – man als Verfassungsrechtler die europäische Konstruktion weiterhin auch durch die Brille des nationalen Verfassungsrechts betrachten soll bzw. betrachten muss, zumindest solange die traditionelle Verfassungsstaatlichkeit weiter besteht. Auch wenn im Rahmen der Europäisierung die Begriffe „Souveränität“ und „Verfassung“ tiefgreifenden Änderungen ausgesetzt sind, sind die Staatsrechtslehrer gefordert, das Integrationsphänomen zwar nicht mit „verfassungsrechtlichem Patriotismus“, aber in jedem Falle mit „verfassungsrechtlicher Würde“ zu bewältigen.
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