Die Bedenken des A sind nicht berechtigt, weil es nach der Rechtsprechung des EuGH einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Grundfreiheit des Art. 56 Abs. 1 AEUV darstellt, wenn ein Unternehmen, das in einem EU-Mitgliedstaat ansässig ist und in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Dienstleistender eine handwerkliche Tätigkeit ausüben möchte, zur Eintragung in die Handwerksrolle des letztgenannten Mitgliedstaats verpflichtet ist. Stehen die o.g. Vorschriften des (niederrangigen) deutschen Rechts danach also in Widerspruch zum (höherrangigen) EU-Recht, so sind Erstere im konkreten Fall (hier: in Bezug auf N) unanwendbar. Da dieser Anwendungsvorrang allerdings nicht auch zur Ungültigkeit des entgegenstehenden nationalen Rechts führt, ist dieses auf Sachverhalte, die von der betreffenden europarechtlichen Rechtsnorm nicht erfasst werden, weiterhin anwendbar. Daher sind dann, wenn ein im Inland ansässiger Deutscher dort das Dachdeckergewerbe ausüben möchte, die o.g. Vorschriften der HwO zum sog. Meisterzwang weiterhin anwendbar. Im Gegensatz zu dem in Venlo ansässigen Niederländer N vermögen sich nämlich deutsche Staatsangehörige mit Sitz im Inland von vornherein nicht mit Erfolg auf die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 AEUV zu berufen, die nur grenzüberschreitende Sachverhalte zwischen den EU-Mitgliedstaaten erfasst („innerhalb der Union“). Die sich hieraus ergebende Schlechterstellung der eigenen Staatsangehörigen im Verhältnis zu solchen anderer EU-Mitgliedstaaten (sog. umgekehrte bzw. [Inländer-]Diskriminierung) ist nicht anhand des EU-Rechts, sondern am Maßstab des nationalen (Verfassungs-)Rechts zu messen, v.a. an Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG.[64]
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JURIQ-Klausurtipp
In der Fallbearbeitung kann die Normenhierarchie in zweifacher Hinsicht Bedeutung erlangen:
1. | Bei der Frage, ob die niederrangige Vorschrift wegen Verstoßes gegen eine höherrangige unwirksam bzw. – bei Kollision des nationalen Rechts mit dem EU-Recht – unanwendbar ist (Rn. 50 ff.). |
2. | Bei der „rangkonformen Auslegung“ der (wirksamen und anwendbaren) niederrangigen Vorschrift (Rn. 170).[65] |
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Steht die zur Lösung der jeweiligen Fallfrage aufgefundene niederrangige Rechtsnorm mit dem höherrangigen Recht in Einklang, d.h. ist sie gültig (wirksam) und verstößt sie auch nicht gegen das EU-Recht, so vollzieht sich die praktische Rechtsanwendung allein anhand dieser rangniederen Vorschrift.[66] Ein Rückgriff auf eine höherrangige Rechtsnorm – etwa, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der rangniederen Vorschrift im konkreten Fall nicht erfüllt sind – ist dagegen grundsätzlich nicht zulässig.[67] Das höherrangige, typischerweise von einem sehr hohen Abstraktionsgrad gekennzeichnete Recht spielt demnach also nur als Prüfungsmaßstab und als Auslegungsdirektive für die ihm untergeordneten, vergleichsweise detaillierter formulierten Rechtssätze eine Rolle (vgl. Rn. 166 ff.), wird aber durch diese im Hinblick auf die konkrete Falllösung gesperrt.[68] „Bei der Anwendung von Gesetzen ist also – bezogen auf die Normenpyramide –, von unten (,konkretere Norm‘) nach oben‚ (abstraktere Norm) vorzugehen“, sog. „Anwendungsvorrang der (wirksamen und EU-rechtskonformen) rangniederen vor der ranghöheren Rechtsnorm.“[69]
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Beispiel[70]
Sollte es im weitergeführten „Eckkneipen-Fall“ (Rn. 59) zwischen A und N zu einem Rechtsstreit bzgl. der gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem zwischen ihnen geschlossenen Werkvertrag kommen, so gelangen insoweit die §§ 631 ff. BGB zur Anwendung, nicht dagegen etwa Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 12 Abs. 1 GG (Vertragsfreiheit). Bedeutung kommt Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 12 Abs. 1 GG in diesem Zusammenhang allein dahingehend zu, dass die insofern nachrangigen §§ 631 ff. BGB keine Regelungen treffen dürfen, die inhaltlich in Widerspruch zu den aus Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 12 Abs. 1 GG resultierenden Vorgaben stehen bzw. die §§ 631 ff. BGB im Lichte dieser Verfassungsbestimmung zu interpretieren sind.
1. Teil Einführung › C. Wirksamkeit und Anwendbarkeit einer Rechtsnorm › II. Konkurrenzregeln
II. Konkurrenzregeln
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Zur Auflösung von Konkurrenzen zwischen Vorschriften, die sich auf derselben[71] Stufe der Normenpyramide befinden, existieren die beiden nachfolgenden Regeln, die als allgemeine Rechtsgrundsätze jeweils auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung (so aber z.B. § 8 Abs. 1 Hs. 2 PolG NRW[72] bzw. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG) gelten.[73] Soweit eine dieser zwei[74] Regeln eingreift, liegt ein Fall der „verdrängenden“ bzw. „konsumtiven Normenkonkurrenz“ vor.[75]
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• | Die spezielle Rechtsnorm verdrängt die allgemeine Rechtsnorm („lex specialis derogat legi generali“).[76] Hintergrund dessen ist die Überlegung, dass die spezielle Rechtsnorm eine sachnähere und damit -gerechtere Regelung des betreffenden Lebenssachverhalts trifft als die allgemeine, welche darüber hinaus noch weitere Konstellationen abdecken muss.[77] Deshalb darf Erstere vom Rechtsanwender nicht durch Rückgriff auf Letztere unterlaufen bzw. ihr Zweck vereitelt werden.[78] I.d.S. spezieller ist eine Vorschrift gegenüber einer anderen dann, wenn |
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– Erstere zusätzlich zu sämtlichen Tatbestandsmerkmalen (z.B. t1 + t2 + t3) der Letzteren mindestens noch eine weitere – eben „spezielle“ – tatbestandliche Voraussetzung enthält (z.B. t4),[79] d.h. sich beide zueinander verhalten wie zwei Kreise, „von denen der eine vollständig innerhalb des anderen liegt“[80] (so z.B. die Privilegierung des § 216 StGB im Verhältnis zum Grundtatbestand des § 212 StGB[81]), und |
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