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Ebenfalls nicht Gegenstand dieses Lehrbuchs sind Elemente anderer völkerrechtlicher Teilordnungen, die wirtschaftliche Bezüge aufweisen, wie z.B. die seerechtlichen Regeln über die ausschließliche Wirtschaftszone oder die Bewirtschaftung des Meeresbodens, umweltvölkerrechtliche Handels- und Verbringungsverbote gefährlicher Stoffe oder die Regeln des Rechts der kollektiven Sicherheit über Handelssanktionen. Diesen Materien ist gemein, dass sie nicht in erster Linie auf die Regelung von internationalen Wirtschaftsbeziehungen abzielen, sondern diese lediglich betreffen und andere Zwecke verfolgen. Sie werden in der Ausbildungspraxis regelmäßig als Teil des allgemeinen Völkerrechts oder in eigenen Spezialveranstaltungen (Seerecht, Umweltvölkerrecht, etc.) gelehrt. Für Darstellungen dieser Materien kann auf die allgemeinen völkerrechtlichen Lehrbücher verwiesen werden.
Lösungshinweise zum Ausgangsfall
Zivilrechtliche Ansprüche mit Auslandsbezug richten sich grundsätzlich nach einer innerstaatlichen Rechtsordnung, auf die das internationale Privatrecht (Kollisionsrecht) verweist. Völkerrechtlich begründetes Einheitsrecht geht jedoch vor (Art. 3 Abs. 2 EGBGB). Bei Kaufverträgen findet das einheitliche UN-Kaufrecht (CISG) Anwendung, wenn die Vertragsparteien ihren Aufenthalt in Staaten haben, die Parteien des CISG sind (Art. 1 Abs. 1 CISG). Da sowohl China als auch die Bundesrepublik Deutschland Mitglieder des CISG sind, findet das CISG auf den Vertrag zwischen G und T Anwendung. Die Pflichten der Parteien werden durch die INCOTERMS-Klausel „CIF“ konkretisiert, deren Bedeutung gem. Art. 9 CISG Vertragsinhalt geworden ist.
Nach Art. 45 Abs. 1 lit. b) CISG kann der Käufer Schadensersatz verlangen, wenn der Verkäufer seine Pflichten nicht erfüllt hat. Zu den Verkäuferpflichten gehört gem. Art. 35 Abs. 1 CISG, die Waren vertragsgemäß zu liefern. Daher kann G von T Schadensersatz nach dem CISG verlangen.
Ansprüche der G auf die zollrechtliche Freigabe der Textilien und auf Erteilung einer Einfuhrlizenz richten sich nach dem europäischen Außenwirtschafts- und Zollrecht. Da dieses jedoch von den Behörden der Mitgliedstaaten der EU ausgeführt wird, wird der Rechtsschutz von nationalen Gerichten gewährt. Will G gegen die Ablehnung der Abfertigung der Waren zum freien Verkehr vorgehen, muss sie sich an das Finanzgericht wenden. Will G gegen die Versagung der Einfuhrgenehmigung durch das BAFA vorgehen, muss sie sich an das Verwaltungsgericht wenden. Sind Fragen der Auslegung des Unionsrechts erheblich, können beide Gerichte den EuGH gem. Art. 267 AEUV anrufen.
Das europäische Außenwirtschafts- und Zollrecht muss mit dem Wirtschaftsvölkerrecht, insbesondere dem WTO-Recht, übereinstimmen. Das Übereinkommen zwischen der EU und der VR China, auf dem die Einfuhrbeschränkungen beruhen, verstößt möglicherweise gegen das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen gem. Art. XI GATT oder das Verbot freiwilliger Ausfuhrbeschränkungen gem. Art. 11 des WTO-Übereinkommens über Schutzmaßnahmen.[4] Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das WTO-Recht jedoch nicht unmittelbar anwendbar, so dass sich G in einem Gerichtsverfahren nicht darauf berufen kann (dazu Teil 2 Rn. 296 ff.).
Lern- und Wiederholungsfragen zu Teil 1 I.:
1. | Identifizieren Sie einige nationale, europäische und völkerrechtliche Regeln, die einen internationalen Warenkauf berühren können. |
2. | Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen zwischen dem Wirtschaftsvölkerrecht und den völkerrechtlichen Grundlagen des Einheitsrechts? |
3. | Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen zwischen dem Wirtschaftsvölkerrecht und dem Außenwirtschaftsrecht? |
Anmerkungen
Z.B. Qureshi/Ziegler, International Economic Law, 4. Aufl., 2019, und Lowenfeld, International Economic Law, 2. Aufl., 2008.
Carreau/Julliard, Droit international économique, 6. Aufl., 2017.
Dazu Wilke/Weber, Lehrbuch Internationales Steuerrecht, 15. Aufl., 2020.
Dazu Teil 2 Rn. 430.
Teil 1 Grundlagen › II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts
II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts
Literatur:
Krajewski, Völkerrecht, 2. Aufl., 2020; von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019; Herdegen, Völkerrecht, 19. Aufl., 2020; Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 8. Aufl., 2019; Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl., 2018; Geiger, Staatsrecht III: Bezüge des Grundgesetzes zum Völker- und Europarecht, 7. Aufl., 2018; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 11. Aufl., 2020; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, 14. Aufl., 2017; Hölscheidt/Ridinger/Zitterbart, Grundzüge des Völkerrechts und seine Bezüge zum Europa- und Verfassungsrecht, Teil 1 und 2, JURA 2005, 83 und 224.
Ausgangsfall
Der bayerische Unternehmer Sepp Franzlmeyer schloss mit der Regierung der Republik Archaien einen Vertrag über die Lieferung von mehreren Turbinen für Wasserkraftwerke in Archaien. Nach Lieferung und Installation der Turbinen weigerte sich die Regierung, den vollen Kaufpreis zu bezahlen. Der Vertrag zwischen Archaien und Franzlmeyer enthält eine Schiedsklausel, wonach Streitigkeiten durch ein bei der Handelskammer in Stockholm einzusetzendes Internationales Schiedsgericht entschieden werden sollen. In dem Verfahren beruft sich Archaien auf seine Staatenimmunität. Das Schiedsgericht hält diesen Einwand für unbegründet und verurteilt Archaien zur Zahlung von 2,35 Mio. US-Dollar zuzüglich Zinsen an Franzlmeyer. Dieser Schiedsspruch wurde durch das zuständige deutsche Oberlandesgericht für vollstreckbar erklärt.
Franzlmeyer betreibt nun die Zwangsvollstreckung aus diesem Schiedsspruch und beantragt beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten die Pfändung sämtlicher Ansprüche der Republik Archaien gegen Mieter von Räumlichkeiten im Archaischen Haus der Wissenschaft und Kultur (AHKW) in Berlin, das im Eigentum Archaiens steht. Gegen den antragsgemäß erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss legt die Botschaft von Archaien Erinnerung ein und beruft sich auf die staatliche Immunität Archaiens im Vollstreckungsverfahren. Sie führte aus, dass das AHKW Zwecken der Außenkulturpolitik diene. Außerdem beruft sie sich auf Art. 23 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität. Das Vollstreckungsgericht half der Erinnerung nicht ab, da das AHKW jedenfalls auch ein kommerzielles Unternehmen sei. Im Übrigen gelte Art. 23 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität nur für die Vollstreckung gerichtlicher Urteile und nicht für Schiedsgerichtsentscheidungen. Wie entscheidet das Beschwerdegericht über die Rechtsbeschwerde Archaiens?
Hinweis: Art. 23 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität lautet: „In einem Vertragsstaat darf gegen das Vermögen eines anderen Vertragsstaats weder eine Zwangsvollstreckung durchgeführt noch eine Sicherungsmaßnahme getroffen werden, außer in dem Fall und in dem Ausmaß, in denen der Staat selbst ausdrücklich in Schriftform zugestimmt hat.“ Die Bundesrepublik Deutschland ist Vertragspartei dieses Übereinkommens; Archaien hat es unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert.