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In der Klausur muss nunmehr festgestellt werden, ob der Täter im Rausch eine Straftat begangen hat, deretwegen er aufgrund von § 20 nicht bestraft werden kann. Da Sie mit der Prüfung dieser Straftat angefangen haben, können Sie nach oben verweisen. Dabei muss es sich bei der Rauschtat um eine rechtswidrige Tat handeln. Diese rechtswidrige Tat muss alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Hat der Täter z.B. im Rauschzustand einen Diebstahl begangen, so muss er die entsprechende rechtswidrige Zueignungsabsicht besessen haben. Als rechtswidrige Tat kommt auch ein Unterlassungsdelikt inkl. § 323c in Betracht.[7]
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Entsprechend der Formulierung des § 323a wird eine Rauschtat verneint, wenn der Täter zwar rechtswidrig, aber entschuldigt gehandelt hat. Dies ergibt sich zum einen aus der Systematik der Verbrechenslehre, da andernfalls der betrunkene Täter härter zu bestrafen wäre als der nüchterne Täter. Darüber hinaus ergibt es sich aber auch aus dem Wortlaut der Norm, die voraussetzt, dass die Bestrafung aus der Rauschtat wegen der Schuldunfähigkeit „infolge des Rausches“ ausscheidet. [8]
Beispiel
Der stocknüchterne A hält dem vollkommen betrunkenen B, der zu diesem Zeitpunkt einen BAK-Wert von 3,5 Promille aufweist, eine geladene Schusswaffe an den Kopf und fordert ihn auf, sich in sein Auto zu setzen, die Handbremse zu lösen und mit dem Fahrzeug den Berg hinunter zu rollen. In seiner Todesangst folgt B den Anweisungen des A. Aufgrund der Alkoholisierung kann er sein Fahrzeug jedoch nicht mehr kontrollieren, so dass er schon nach wenigen Metern mit einem am Straßenrand abgestellten Fahrzeug kollidiert.
Hier war B gem. § 20 schuldunfähig, so dass eine Strafbarkeit gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1a schon aus diesem Grund nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus war B aber auch entschuldigt gem. § 35, weil er sich im so genannten Nötigungsnotstand befand. (Eine Rechtfertigung gem. § 34 kommt nach h.M. nicht in Betracht, da die Tat nicht angemessen ist.) Wäre B nüchtern gewesen, so hätte er nicht wegen dieser Tat bestraft werden können. Würde man bei § 323a ausreichen lassen, dass die Rauschtat vorsätzlich und rechtswidrig begangen sein muss, so lägen die Voraussetzungen des § 323 vor. Dies würde jedoch zu schwer hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen.
Sofern die rechtswidrige Tat verjährt ist, kann der Täter ebenfalls nicht mehr gem. § 323a bestraft werden.
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Streitig ist, ob der Täter des § 323a schon zum Zeitpunkt des Sich-Berauschens eine innere Beziehung zur später begangenen Tat haben muss.
Nach h.M. ist § 323a wie bereits ausgeführt ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Unwertgehalt der Tat liegt in dem Sich-Berauschen und dem damit einhergehenden Kontrollverlust. Aus diesem Grund soll die Rauschtat eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sein, zu der der Täter keine innere Beziehung aufweisen muss.[9]
Eine in der Literatur vertretene Gegenauffassung meint, dass allein das Sich-Berauschen zunächst ein sozial adäquates Verhalten sei und von daher nicht als strafwürdig angesehen werden könne. Um dem Schuldprinzip angemessen Rechnung tragen zu können, bedürfe es von daher einer inneren Beziehung jedenfalls dergestalt, dass der Täter im Hinblick auf die im Rausch begangene Tat beim Sich-Berauschen fahrlässig gehandelt hat. Von dieser Fahrlässigkeit sei allerdings regelmäßig auszugehen, da jedermann von der alkoholbedingten Enthemmung und der Gefahr der Begehung von Straftaten in diesem Zustand wisse.[10]
Beispiel
Die eigentlich friedfertige A, die vor 4 Jahren infolge eines tragischen Unfalls ihren 5-jährigen Sohn verloren hat, setzt sich einmal im Jahr am Todestag ihres Sohnes in ihre Küche und betrinkt sich hemmungslos. Dies hatte bislang außer schweren Kopfschmerzen am Folgetag keinerlei Konsequenzen. Am Tattag klingelt nun aber die Nachbarin, mit der sie zerstritten ist, wild an ihrer Türe. Es kommt zu einem Streit, in dessen Verlauf A der N einen kräftigen Schlag auf die Nase verpasst, der zu einem Bruch des Nasenbeins führt. A hat zu diesem Zeitpunkt 3,1 Promille.
Eine Strafbarkeit gem. § 223 scheidet aufgrund der Schuldunfähigkeit gem. § 20 aus. Auch § 229 kommt nicht in Betracht, da das Sich-Betrinken, an welches man als Tathandlung anknüpfen kann, in Anbetracht der grundsätzlichen Friedfertigkeit der A und der bisherigen Historie an diesem Tag nicht sorgfaltspflichtwidrig war. Nach h.M. wäre A aber gem. § 323a zu bestrafen. Die Gegenauffassung käme zur Straflosigkeit, da in diesem speziellen Fall keine Fahrlässigkeit angenommen werden kann.
2. Teil Straßenverkehrsdelikte › E. Exkurs: Vollrausch, § 323a › IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
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Der Täter kann bei dem Sichversetzen in einen Rauschzustand gerechtfertigt oder entschuldigt handeln. Insofern gelten die allgemeinen Grundsätze. Eine Rechtfertigung kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Täter aufgrund einer schweren Erkrankung z.B. Morphium nehmen muss. Hier muss an § 34 gedacht werden.[11]
2. Teil Straßenverkehrsdelikte › E. Exkurs: Vollrausch, § 323a › V. Täterschaft und Teilnahme
V. Täterschaft und Teilnahme
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Wie bereits ausgeführt, ist eine mittelbare Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 und eine Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 aufgrund des Umstandes, dass es sich bei § 323a um ein eigenhändiges Delikt handelt, nicht möglich.
Streitig ist, ob eine Teilnahme am Vollrausch strafbar ist.
Beispiel
Stammgast S möchte sein trübes Dasein für ein paar Stunden vergessen und begibt sich in seine Lieblingskneipe, wo Gastwirt G ihm kommentarlos immer wieder auf seine Bestellung hin ein Pils und einen Korn serviert, bis S sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Kurz vor Mitternacht setzt sich S in diesem Zustand auf sein Mofa und verursacht beinahe einen schweren Personenschaden, weil er infolge der Alkoholisierung das Gleichgewicht verliert. Später stellt sich heraus, dass S einen BAK-Wert von 3,3 Promille hatte.
Eine Bestrafung des S gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1a scheitert an § 20. S hat sich jedoch gem. § 323a strafbar gemacht, indem er sich – in diesem Fall wohl vorsätzlich – in einen Rausch versetzte.
Fraglich ist, ob Gastwirt G, indem er S immer wieder den Alkohol ausschenkte, sich der Beihilfe zum Vollrausch gem. §§ 323a, 27 strafbar gemacht hat.
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In der Literatur wird die Möglichkeit der strafbaren Beteiligung teilweise abgelehnt. Es wird mit dem Schutzzweck der Norm argumentiert und darauf hingewiesen, dass § 323a nur dem Täter selbst die Pflicht zur Selbstkontrolle auferlege. Wollte man die Teilnahme am Vollrausch unter Strafe stellen, so würde dies dazu führen, dass in diesen Fällen Dritten die Pflicht zur Fremdkontrolle auferlegt würde. Dies hätte insbesondere für Wirte und Zechkumpane nicht hinnehmbare Auswirkungen.[12]
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