Die Privatautonomie, auf deren Grundlage die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehungen grundsätzlich eigenverantwortlich gestalten können, besteht nur im Rahmen der geltenden Gesetze, die ihrerseits an die Grundrechte gebunden sind.218 Nach zivilrechtlichen Grundsätzen gehen die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehung zueinander eigenverantwortlich ein und setzen selbst Regelungen, weil die Privatautonomie auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht. Allerdings kann der dem Gesetzgeber auferlegte Grundrechtsschutz es gebieten, dass gesetzliche Vorschriften sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht entgegenwirken. Im Sozialstaat wird die vertragliche Gestaltungsfreiheit also zum Teil durch gesetzliche Regelungen überlagert und beschränkt, die ihrerseits eine soziale Schutzvorkehrung zugunsten des Arbeitnehmers bilden sollen.219 Solche Vorschriften sind zwingend nötig, um die Voraussetzungen einer rechtsgeschäftlichen Ordnung herzustellen und auch zu bewahren.220 So greifen vor allem Gesetze, die in Erfüllung des Sozialstaatsprinzips erschaffen wurden, in die gesellschaftliche Ordnung intervenierend ein.221 Idee des Sozialstaates ist es schließlich, zum Schutz aller in die Gesellschaft regulierend einzugreifen und so eine gleichberechtigte Wirtschaftslage herzustellen.222 Der Gesetzgeber ist jedoch auch bei der Schaffung solcher „Schranken“ an das Grundgesetz gebunden und damit auch an die Glaubensfreiheit, er kann also nur religionsneutrale Normen schaffen.223 Denn die grundgesetzliche Anerkennung der Kirchenautonomie lässt dem staatlichen Gesetzgeber keinen Raum, Zugriff auf die Gestaltung des kirchlichen Dienstes zu erlangen. Er muss konkurrierenden Grundrechtspositionen ausgewogen Rechnung tragen.224 Deshalb hat er auch bei der Gestaltung der sozialen Ordnung den Kirchen eigene Wege offenzuhalten, damit sie ihre verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Selbstbestimmung über Organisation und Verwaltung auch wahrnehmen können.
2.Bindung im kirchlichen Bereich
Insgesamt gehören grundsätzlich alle Gesetze, die die Grundlage der für jedermann verbindlichen öffentlichen Ordnung konstituieren, zu den potentiellen Schranken für das kirchliche Selbstbestimmungsrechts, wie etwa das Bauordnungsrecht oder das Naturschutzrecht. Bedient sich eine Religionsgemeinschaft bei dem Abschluss eines Arbeitsverhältnisses der Privatautonomie, wozu sich die Kirchen auf individualrechtlicher Ebene entschlossen haben, so findet grundsätzlich das staatliche Arbeitsrecht als „schlichte Folge einer Rechtswahl“225 Anwendung226 und somit schon aus diesem Grund auch das öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht als Teil des Arbeitsrechts.
Die Kirchen können aber in den „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ entsprechend Art. 137 Abs. 3 WRV den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis regeln und gestalten. Denn den Religionsgemeinschaften darf durch die Bedienung der Privatautonomie nicht der Sonderstatus genommen werden, der ihnen durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht garantiert und eingeräumt wird.227 Hier gilt ebenso: „Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt indessen deren Zugehörigkeit zu den ‘eigenen Angelegenheiten‘ der Kirche nicht auf. Sie darf deshalb die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen.“228 Somit darf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften durch die grundsätzliche Anwendung der staatlichen Arbeitsrechtsvorschriften bei der Bedienung der Privatautonomie nicht verletzt werden. Auch durch Normen, die der Sozialordnung ihre Struktur geben, kann der staatliche Gesetzgeber wegen des Schrankenvorbehalts des Art. 137 Abs. 3 WRV nicht festlegen, wie und mit wem die Kirche ihren Auftrag zu erfüllen hat. Denn auch solche Gesetze sind im religionsgemeinschaftlichen Bereich grundsätzlich nur zwingend anwendbar, wenn und soweit sie ein „für alle geltendes Gesetz“ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV i.V.m. Art. 140 GG sind.229
Dadurch erhalten die Kirchen also umgekehrt auch keinen Freibrief und können sich nicht aus der staatlichen Rechtsordnung herauslösen.230 Kirchliche Einrichtungen liegen gerade nicht außerhalb der staatlichen Ordnung und unterliegen in ihren Handlungsweisen auch staatlichen Vorschriften.231 Sie sind, wie gesagt, an die „Schranken der für alle geltenden Gesetze“ gebunden. Diese konkretisieren sich grundsätzlich in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, dem Willkürverbot, den guten Sitten, dem „ordre public“ sowie auch den Arbeitsschutzgesetzen.232 Denn die Ordnung des Wirkens der Kirche ist als Ordnung innerhalb – nicht jenseits – des gesamten Gemeinwesens zu verstehen.233 Insgesamt muss also ein Gleichgewicht geschaffen bzw. eine Abwägung vollzogen werden: Einerseits hat auch der im kirchlichen Dienst Beschäftigte Anspruch auf die Geltung der staatlichen Schutzvorschriften, andererseits ist das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zu beachten.234 Anhand des Schrankenvorbehalts des Art. 137 Abs. 3 WRV ist deshalb jeweils zu prüfen, ob und inwieweit die fraglichen Vorschriften Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sein können.235 Eine solche Rechtsgüterabwägung zwischen Kirchenfreiheit und Schrankenzweck muss anhand der jeweiligen Norm erfolgen.236 So muss beispielsweise eine arbeitsrechtliche Schutznorm des Jugendarbeitsschutzes auch dann gelten, wenn bestimmte Tätigkeiten, wie etwa Betteln, bei bestimmten Religionsgemeinschaften als Religionsausübung ausgegeben werden. Das Recht auf Religionsausübung muss gegenüber dem elementaren Schutz der Jugendlichen zurücktreten.237 Letzteres ist also für alle geltendes Gesetz i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV. Die individualrechtlichen Vorschriften des Arbeitsschutzrechts legen dem Arbeitgeber häufig Pflichten über Anzeigen und Meldungen auf oder sollen unerträgliche Arbeitsbedingungen verhindern. Diesbezüglich bestehen im Allgemeinen keine Bedenken, dass diese das kirchliche Selbstbestimmungsrecht unrechtmäßig berühren könnten. Sie wirken sich auf die Erfüllung des kirchlichen Auftrags neutral aus und haben damit auch für die Kirche dieselbe Bedeutung wie für jedermann. Somit sind sie auch im kirchlichen Bereich im Allgemeinen als für alle geltendes Gesetz anzuwenden.238 Die staatlichen Schutzgesetze und Ordnungsvorschriften erfüllen das Sozialstaatsprinzip und haben das Ziel, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz aller Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten – unabhängig davon, ob es ein kirchliches Arbeitsverhältnis ist oder nicht.239 Wie schon erläutert relativiert zwar das Sozialstaatsprinzip nicht das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht240 und die Regelungen werden nicht aufgrund ihrer Erfüllung des Sozialstaatsprinzips automatisch selbst in den Verfassungsrang erhoben. Aber hinsichtlich dieser soeben erläuterten individualrechtlichen Regelungen bestehen im Allgemeinen keine Bedenken, dass sie die Kirche in ihrem Selbstbestimmungsrecht unverhältnismäßig berühren würden. Durch sie werden also auch im kirchlichen Bereich beispielsweise willkürliche Anforderungen an die Loyalität der Arbeitnehmer in jedem Fall vermieden.241 Es entspricht zudem dem Selbstverständnis der katholischen Kirche, dass das „weltliche Arbeits- und Sozialrechts“ bei der Beschäftigung von Arbeitskräften zu beachten ist, wie dem Codex Iuris Canonici zum Kirchenvermögen in Can. 1286 CIC zu entnehmen ist.242 Das Arbeitsschutzrecht und die öffentlich-rechtlichen Sanktionen des Arbeitsschutzrechts können damit im Grundsatz – zumindest im individualrechtlichen Bereich – als für alle geltendes Gesetz eingestuft werden, das auch im kirchlichen Bereich beachtet werden muss.243 Eine Prüfung, ob und vor allem inwieweit das jeweilige Gesetz eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist, muss anhand der jeweiligen Norm erfolgen.244
Im Kollisionsfall mit anderen Verfassungsvorschriften kann auch ein Ausgleich gefunden werden, indem einfachgesetzliche Arbeitsschutzvorschriften soweit dies möglich ist, verfassungskonform im Hinblick auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ausgelegt werden. Vorschriften, insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes, wurden in diesem Zusammenhang bereits vielfach diskutiert. Dort ging es jedoch nicht um die Modifizierung von staatlichen Bestimmungen, sondern um die Festlegung besonderer Loyalitätspflichten durch die Kirchen selbst, die bei Mißachtung kündigungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.245 Das KSchG gilt dabei als Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, jedoch ist es eine allein dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit zu bestimmen, welche besonderen Loyalitätsobliegenheiten ein Arbeitnehmer im kirchlichen Dienst zu beachten hat und welche bei Mißachtung einen Kündigungsgrund darstellen.246 Hier ist also der kirchlichen Besonderheit Rechnung zu tragen und das KSchG