Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lisa Lamp
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Год издания: 0
isbn: 9783967526424
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schlimmer wegen Hochverrat. Auch dass Hestias Hand dank ihrem Vater einem anderen gehörte, blendete er aus. Es zählten nur noch ihre Lippen und das Zittern, das ihren Körper erfasste, als seine Finger jeden Zentimeter erkundeten, der von der Kleidung verschont blieb. Ein Drängen in seinem Herzen zog ihn zu Hestia und machte es ihm unmöglich, sich umzudrehen und den Raum zu verlassen, auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass es das Beste für sie beide wäre. Niemand wusste, was mit Hestia passieren würde, wenn sie Ehebruch beging und jemand herausfand, was sie getrieben hatte. Aber er war zu egoistisch, um darüber nachzudenken. Er wollte sie, auch wenn er sie nur diese Nacht haben konnte. Immer wieder schenkte er ihr ein Lächeln und schlussendlich vergrub sich eine Hand in ihren wunderschönen Locken. Sie stöhnte aufreizend nach mehr und er war nur zu gerne bereit, ihr alles zu geben, was sie wollte. Während sie um Fassung rang, tastete sich seine Zungenspitze vorwärts und sie öffnete bereitwillig ihre Lippen. Seine Nase streichelte ihre und der Druck in ihren Haaren verstärkte sich. Ihr Kopf wurde nach hinten gezogen, sodass Rudolfus mehr Platz hatte, um ihren Mund in Beschlag zu nehmen.

      Als Hestia das Gefühl hatte, unter seinen Berührungen zu schmelzen, hob Rudolfus sie an und trug sie schweigend in das angrenzende Zimmer, um sie auf dem Bett abzulegen. Es schickte sich nicht für eine Dame fordernd zu sein. Das wusste Hestia, aber bei ihm war es ihr nicht wichtig, was sich gehörte und was nicht. Er würde sie nicht verurteilen oder sie mit Abscheu in den Augen ansehen, weil sie etwas wollte. Andere Männer hätten sie gezüchtigt, egal welchen Stand sie hatte, doch Rudolfus liebte genau das an ihr. Er wollte, dass sie ihr wahres Ich zeigte. Er liebte ihre sture und unbeherrschte Art. So eilig es ging, zog sie sich die Kleider über den Kopf und warf sie auf den Boden, ohne die teuren Stoffe weiter zu beachten. Währenddessen ließ sie ihren Geliebten nicht aus den Augen. Rudolfus betrachtete sie schwer atmend und keuchte, als sie sich breitbeinig mit angewinkelten Knien auf das Ende des Bettes legte. In seinen dunklen Augen glühte ein Feuer, das die Flammen in ihrem Inneren widerspiegelte, und er fuhr sich durch seine schwarzen Haare, die in alle Richtungen abstanden. Er leckte sich über die Unterlippe und ließ sich von ihren Gefühlen übermannen. Wie von alleine entkleidete er sich, kletterte zu Hestia und küsste sie immer wieder. Auf jede Stelle, die er erreichen konnte. Ihre Nasenspitze, ihren Mundwinkel, ihre Stirn, ihren Busen, ihren Bauch. Und ihr gefiel es. Sie stöhnte und bebte unter seiner Behandlung, aber es genügte nicht. Selbst als ihre nackten Körper sich aneinanderrieben und ihre Zungen verschmolzen, war es nicht genug. Hestia brauchte mehr. Viel mehr. Zu lange hatten sie gewartet und nun verlangte ihr Innerstes nach ihrem Geliebten. Die Sehnsucht und die Lust wurden immer stärker, bis Rudolfus sich endlich – es kam Hestia wie Jahre vor – in ihr versenkte. Die Zeit stand für einen Augenblick still. Ihre Hände verschränkten sich und ihre Seelen wurden eins. Licht umhüllte die Liebenden und gab sie erst frei, als der nächste Morgen anbrach. Selbst wenn die Wachen kämen und Rudolfus holen sollten, würde es jetzt keinen Unterschied mehr machen. Ab dem heutigen Tage bis zum Ende ihrer Existenz würden ihre Seelen ihr Leben zusammen verbringen und sich immer wiederfinden. Egal, ob Straßen, Wälder oder mehrere Kontinente zwischen ihnen lagen. Sie würden miteinander leben und miteinander sterben. Sie gehörten zusammen. Für immer.

      

       1300 n. Chr.:

      »Warum? Sag mir, warum du mich so hasst! Ich kenne diesen Mann nicht und ich fühle mich nicht verpflichtet, ihn kennenzulernen«, schrie sie schluchzend und sah ihrer Mutter an, dass sie nicht wollte, dass jemand ihre missratene Tochter hörte, die gar nicht dem Profil einer braven Ehefrau entsprach. An vielen Tagen hatte Margaretha dieser Blick gestört, doch heute war er unbedeutend. Sie wollte ihrer Mutter den Gefallen nicht tun und sich mäßigen. Lieber wollte sie noch stärker aufbegehren und toben. Sie war außer sich, fassungslos. Wie konnte das Schicksal sie so hintergehen? Fünfzehn Jahre war es her, dass das Mädchen mit den wunderschönen dunkelgrünen Augen das Licht der Welt erblickt hatte. Einer Welt, die durch Krankheiten wie Syphilis, Ruhr und Typhus verwüstet worden war. Eineinhalb Jahrzehnte lang hatte sie es geschafft, am Leben zu bleiben und sich Männern zu versagen, die Schlange gestanden hatten, um sie zu ehelichen. Und wofür? Um einen Mann zu heiraten, den sie nicht kannte und den sie vorgesetzt bekam wie den berüchtigten Salat von Tante Adelheid an Festtagen? Ihre Mutter hatte ihr Gemälde, auf denen Caspar, ihr Zukünftiger, zu sehen war, gezeigt und meinte, sie würde ihn selbst zum Mann nehmen, wenn sie jünger wäre. Und Margaretha war klar, woran das lag. Schwarze Haare, dunkle Augen. Er sah gut aus. Das musste sie zugeben, aber sie wollte nicht heiraten. Hatte es nie gewollt und würde ihre Meinung den Rest ihres jämmerlichen Daseins nicht ändern. Sie konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, auch wenn der Mann bei ihr ein Herzklopfen auslöste, das sie nicht verstehen konnte. Es war, als würde ihr Blut sich erhitzen und ihr Herz freudig flattern beim Anblick dieser tiefblauen Augen, die bis in ihre Seele zu blicken schienen.

      Es wollte keine Festtagsstimmung aufkommen, auch wenn ihr das weiße Kleid perfekt stand und es den Mann sicherlich ein kleines Vermögen gekostet hatte. Kostbares Geld, das ihre Familie niemals gehabt hatte. Es betonte genau die richtigen Stellen, ohne sie wie eine Hübschlerin aussehen zu lassen, die sich für die fleischliche Liebe bezahlen lässt. Trotzdem war ihr Nacken frei von Stoffen und ihre Schleppe war kurz genug, damit sie nicht unbeabsichtigt darüber stolpern konnte. Unbewusst hatte Caspar ihren Geschmack getroffen und das ärgerte sie. Es regte etwas in ihr, das sie lieber im Keim ersticken würde. Ihre Mutter war ganz euphorisch und sie nicht, was wiederum ihre Erzeugerin zur Weißglut trieb. Deshalb weigerte sie sich, die Tür zu öffnen und stritt lieber mit der Frau, der sie die Situation zu verdanken hatte. Vielleicht würde sie sich doch noch von Margaretha umstimmen lassen, obwohl sie das selbst nicht wirklich glaubte.

      »Er bewahrt unsere Familie vor dem Hungertod. Du darfst ihn nicht noch länger warten lassen. Was ist, wenn er seine Meinung ändert? Viele andere Mütter in diesem Dorf sind mit hübschen Töchtern gesegnet. So eine Chance bekommen wir nie wieder.« Sie klang schroff, nicht liebevoll, aber das war nicht anders zu erwarten. Sie war selbst in einer Zwangsehe gelandet um des Geldes Willen, gebracht hatte ihr das aber nichts. Ihr ganzes Leben lang musste sie um jede Münze kämpfen, nachdem ihr Ehemann im Krieg verstarb. Seitdem kümmerte sich dieser geheimnisvolle Mann um ihre Familie. Natürlich immer mit der Aussicht, eine der Nachkommen ehelichen zu dürfen, wenn die Zeit reif war. Margaretha als älteste von vier Schwestern war klar gewesen, dass sie am Ende wahrscheinlich herhalten musste, aber nun, wo der Tag gekommen war, konnte sie nicht verstehen, weshalb dieser Handel damals für sie perfekt klang. Heute hatte Verhungern durchaus seinen Reiz. Ob das noch eine Option wäre?

      »Das wäre großartig. Dann wäre das Problem gelöst«, erwiderte Margaretha und verlagerte ihr Gewicht auf das andere Bein. Die vielen Stofflagen waren unheimlich schwer, aber das war die kleinste ihrer Sorgen. Zuerst musste sie den Mann loswerden und danach das Kleid. Vielleicht konnte sie es auf dem Markt verkaufen und ihre Familie damit einen Monat versorgen, wenn der Deal geplatzt war und der Wohltäter nicht mehr für sie aufkam.

      »Warten auf das, was man begehrt, hat noch niemandem geschadet«, unterbrach eine tiefe Stimme den Streit der Frauen. Margaretha erzitterte und es lag nicht an dem kühlen Luftzug, der durch das Gebäude wehte. Die Tür hatte sich geöffnet und ein junger Mann trat zu den beiden. Er war in Schwarz gekleidet und Margaretha erkannte ihn sofort von den Gemälden wieder. Aber das wäre gar nicht notwendig gewesen, weil auch ihr Herz ihr zeigte, wer er war. Es stockte einen Augenblick und raste dann weiter, als würde sie vor etwas davonlaufen. Oder auf etwas zu. Voller Erwartung sah Caspar sie an und machte eine leichte Verbeugung, wodurch ihre Mutter japste und sich beinahe an ihrer Spucke verschluckte. Lautes Husten erfüllte den Raum, gefolgt von einem Räuspern. Niemals verneigte sich ein Hochgeborener vor einer einfachen Magd. Und doch tat ihr Zukünftiger genau das. Margaretha zog scharf den Atem ein.

      »Es tut mir leid, dass ich dich nicht persönlich gefragt habe, aber es wäre mir dennoch eine Ehre, wenn du meine Frau werden würdest.«Er streckte Margaretha seine Hand entgegen, die sie zögerlich ergriff. Sie dachte nicht mehr daran, dass das Spektakel gegen ihren Willen geschah oder sie zu einer Antwort ansetzen sollte. Es zählte nur noch dieser Mann vor ihr und seine dunklen Augen, die sie an wunderschöne Seen erinnerten. Sobald ihre Finger in seiner Hand lagen, kribbelte Margarethas ganzer Körper. Von ihrem Haaransatz bis zu ihren Zehenspitzen und es hörte auch nicht mehr auf. Nicht als sie den kurzen