»Hier können wir nicht bleiben. Ich bringe dich an einen Ort, an dem du dich ausruhen kannst«, raunte er und Sam ließ sich fallen.
7
Tobias hob Samantha hoch. Sie war ein Fliegengewicht, wog so gut wie nichts, was ihn im ersten Moment erschreckte. Konnten auch Vampirfrauen an Magersucht leiden? Sam hatte eben gerade zwar einen guten Appetit gehabt, aber wer wusste, ob das Essen normalerweise in ihr drin blieb. Oder lag es an dem Blut, das sie versäumt hatte, zu sich zu nehmen? Falls ja, nahm sie schon länger viel zu wenig Blut zu sich! Was bezweckte sie damit? Wollte sie sich etwa umbringen?
Er lief, Sam in den Armen haltend, schnurstracks in sein eigenes Schlafzimmer, statt ins Gästezimmer. Er wollte sie bei sich haben, auf sie aufpassen. Sie sollte nicht allein sein, wenn sie aufwachte. Natürlich wusste er, dass es auch eine selbstsüchtige Tat war, denn so konnte er ihre Nähe ebenfalls genießen.
Ein Stöhnen drang aus ihrer Kehle. Sie hatte offensichtlich Schmerzen. Er ließ sie aufs Bett sinken und fühlte ihren Puls. Samantha war geschwächt und brauchte dringend Blut. Bis zum nächsten Morgen würde sie vermutlich nicht durchhalten.
»Tobi«, keuchte sie und er reagierte instinktiv.
»Öffne deinen Mund«, befahl er Sam, die tat, was er wollte.
Ihre Fänge waren bereits voll ausgefahren und Tobias drückte sein Handgelenk dagegen. Sie brauchte Blut und er hatte ihr damals oft welches gegeben. Was war also Besonderes dabei?
Als der erste Tropfen ihre Lippen benetzte, begann Sams Körper erneut zu zittern. Diesmal schien es allerdings vor Verlangen zu sein und sie sog das Blut aus seinem Körper, bis ihm allmählich schwindelig wurde. Das Gefühl war unbeschreiblich! Es war pure Ekstase, wenn ein Vampir Blut aus der Vene saugte. Es kam ihm besonders bei Samantha sehr erotisch vor, wenn sie mit ihren vollen Lippen an seinem Handgelenk trank. Erst, als Tobias leise stöhnte, ließ sie von ihm ab, wahrscheinlich aus Angst, ihm Schaden zuzufügen. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Sein Körper fühlte sich an, als hätte er einen Sexmarathon hinter sich und er sehnte sich nach mehr. Das musste er sich jedoch verkneifen.
›Reiß dich am Riemen!‹, ermahnte er sich und schaute hinab auf die zufrieden daliegende Samantha.
»Alles in Ordnung, Kleines. Schlaf jetzt«, raunte er und ließ die Finger durch Sams lange, blonden Haare gleiten.
Sie schnurrte leise und fiel daraufhin in den erhofften Tiefschlaf. Tobias legte sich neben sie und beobachtete die junge Vampirfrau, wie sie mit einem sanften Lächeln auf den Lippen dalag. Er überlegte, was er tun sollte.
Neunzehn ... Sie war süße neunzehn Jahre alt und noch so unschuldig. Er dagegen war definitiv zu alt für sie! Mit seinen zweiundvierzig Lebensjahren sah er bereits wesentlich älter aus, als jeder Vampir, den er je getroffen hatte. Die wirkten, wie Samanthas Vater Thomas, als wären sie maximal Anfang dreißig. Ziemlich frustrierend und total inakzeptabel, dass Tobias auch nur den Gedanken hatte, mit Sam eine Zukunft zu wollen. Da gab es keine!
Alles, was die Zukunft für Tobi bereitstellte, war Sehnsucht, das Träumen von mehr und am Ende das Sterben. Das Einzige, was er in der Zwischenzeit tun konnte, war, die kleinen Momente mit Samantha zu genießen. Er beobachtete sie, schien im Kopf sämtliche Veränderungen der letzten Wochen in sich aufzunehmen. Dieser blonde Engel hatte einen guten Mann verdient. Wieso schmerzte ihn der Gedanke so? Sein Herz musste doch mittlerweile erkannt haben, dass es töricht war. Leider blieb es stur und bekam regelmäßig erhöhtes Klopfen, wenn er ihr Lächeln sah.
Samantha wandte ihm plötzlich den Rücken zu, rutschte rückwärts, bis sie nah bei ihm lag. Er lächelte, denn diese Angewohnheit hatte sie als Kind bereits gehabt. Tobi hatte sie daraufhin behütet in den Armen gehalten und sie konnte beruhigt schlafen. Jetzt kam es ihm jedoch anders vor. Sie passte zu perfekt an ihn. Ihre Körper schienen förmlich füreinander gemacht zu sein. Ihr Kopf legte sich auf seinen Arm und Tobias seufzte. Er spürte, dass sich seine Männlichkeit zu regen begann, schob die Decke zwischen sie, um sich wenigstens nicht an ihr zu reiben. Auch, wenn er die meisten seiner guten Vorsätze über Bord geworfen hatte, diesen würde er einhalten!
»Bitte halt mich fest«, hauchte Sam beinahe bettelnd.
Er legte den rechten Arm über ihren Körper, zog sie noch etwas näher an sich heran. Im Kopf begann er das Mantra vor sich hin zu sagen. Samantha schnurrte wie ein Kätzchen und Tobias spürte erneut die tiefe Sehnsucht nach dieser wunderschönen jungen Frau in den Armen. Der verführerische Vanillegeruch brachte ihn weiterhin aus der Fassung.
Es kostete ihn all seine Energie, diesen Wunsch zu unterdrücken und sie nur festzuhalten. Das Letzte, was Samantha nach dem gerade Erlebten, noch brauchen konnte, war unangebrachtes Verhalten des Chauffeurs ihrer Familie. Das Vertrauen Sams in eine heile und gute Welt würde er auf keinen Fall zerstören.
So lag Tobias eine kleine Ewigkeit hinter ihr, bis ihn endlich die Müdigkeit einholte und er einschlief. Im Traum durchlebte er noch einmal den Unfall, das gemeinsame Essen und den seltenen Moment ihrer Nähe. Er hoffte, dass diese Nacht niemals enden würde, denn zumindest in seiner Traumwelt konnte er Samantha nah sein.
Seinem blonden Engel ...
8
Im Morgengrauen hatte er es geschafft. Er war endlich zuhause angekommen! Thomas stellte seine Koffer im Flur ab und ging zuerst in die Küche, um sich einen Blutbeutel zu holen. Alles wirkte wie immer, was ihn beruhigte. Er hasste es, Alexandra und Samantha allein lassen zu müssen, doch war es die einzige Chance, eventuell eine Hilfe gegen die ständigen Visionsattacken seiner Frau zu finden. Alexa mitzunehmen wäre eine zu große Qual für sie gewesen, da jede Person, der sie begegnete ein Ende finden und sterben würde. Nichts war unumgänglicher als der Tod und Alexandra erlebte die letzten Augenblicke mit diesen Menschen mit.
Müde schlenderte Thomas nach oben ins Schlafzimmer, überlegte, ob er vor dem Schlafengehen noch schnell einen Blick in Sams Zimmer werfen sollte. Er verwarf den Gedanken jedoch. Seine Tochter war mittlerweile erwachsen und würde es sicherlich nicht zu schätzen wissen, wenn er einfach ihre Privatsphäre störte. Das Oberhaupt der Familie tat sich schwer damit, redete sich allerdings immer ein, es musste wohl jedem Vater so ergehen. Seine Kleine war flügge geworden und es würde wohl nicht lange dauern, bis sie das sichere Nest verlassen und auf eigenen Beinen stehen wollte.
Himmel, wie die Zeit verging! Es kam ihm vor, als hätten sie gerade ihr erstes Weihnachten hinter sich gebracht. Wo war das Püppchen mit den blonden Locken geblieben, das sich an ihn drückte, weil sie seinen Schutz gesucht hatte?
Im Schlafzimmer von Thomas und Alexandra brannte kein Licht, weshalb er es so beließ. Beinahe lautlos entkleidete er sich und stieg ins Bett. In der Finsternis des Zimmers konnte er trotzdem Alexandras Gesichtszüge erkennen. Sie war noch genauso schön wie an dem Tag, als er sie kennengelernt hatte, obgleich sie ein Schatten umgab. Ihre Unbekümmertheit von damals war mit jeder dieser Todesvisionen ein Stück mehr erloschen. Mittlerweile war da nur noch Angst. Angst vor der nächsten Vision, Angst, diese nicht verhindern zu können und einen geliebten Menschen zu verlieren. Thomas versuchte, ihr beizustehen, doch in der Nacht war Alexa meist allein mit ihren Träumen. Er musste einen Weg finden, diesen elenden Fluch zu lösen!
»Thomas«, hauchte Alexandra leise im Schlaf und kuschelte sich sofort an ihn.
Er strich ihr sanft über den Rücken und sie seufzte. Ihr Mann liebte es, dass sie selbst im Schlaf auf ihn reagierte. Alexandra war seine Auserwählte gewesen, seine Seelenverwandte, auf die er sein Leben lang gewartet hatte. Nur, wie lange würde sie noch durchhalten?
Vor ein paar Jahren hatte es eine Zeit gegeben, in der Thomas fest davon überzeugt gewesen war, dass Alexa sie verlassen würde. Es musste gut zehn Jahre her sein. Alexandras Visionen waren