Abhängig von Ort, Aussagegehalt, Adressat und Darstellung des TTI bestimmt sich der Anwendungsbereich des Lebensmittelkennzeichnungsrechts. Die hier relevanten Vorschriften finden sich in erster Linie in der EU-Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV, aber auch in der BedarfsgegenständeVO und der VO (EG) Nr. 450/2009, die gemäß Art. 1 Abs. 4 LMIV speziell zur allgemeineren LMIV sind, sowie in neben der LMIV anwendbaren Rechtsgebieten wie dem Marken- und Wettbewerbsrecht.
1. Anwendungsbereich der LMIV
Die LMIV ist gemäß Art. 1 Abs. 3 LMIV
„auf allen Stufen der Lebensmittelkette, sofern deren Tätigkeiten die Bereitstellung von Information über Lebensmittel an die Verbraucher betreffen“,
anwendbar. Informationen nach Maßgabe der LMIV sind gemäß ihrem Art. 6 allen Lebensmitteln beizufügen, die zur Lieferung an Endverbraucher bestimmt sind. Notwendig für die Anwendbarkeit der LMIV auf TTI ist folglich, dass die per TTI vermittelte Information über ein konkretes, in dieser Verarbeitungsstufe zum Verkauf bestimmtes Lebensmittel in irgendeiner Weise den Verbraucher erreichen soll. Der Übermittler der entsprechenden Information kann dabei auf einer nachfolgenden Stufe der Lieferkette stehen. Alltäglicher Fall ist der Supermarktbetreiber, der dem Verbraucher mittels seiner Verkaufstätigkeit die vom Hersteller angebrachten Produktinformationen überbringt.
Der Anwendungsbereich ist entsprechend nicht eröffnet, wenn TTI nur unternehmensinternen Zwecken dienen, beispielsweise um MHD oder VD zu bestimmen. Hier hätte der TTI zwar mittelbaren Einfluss auf die Verbraucherinformation, jedoch ohne dass dessen Informationsgehalt den Verbraucher unmittelbar betrifft. An der LMIV ist im Sinne von Art. 1 Abs. 3 LMIV vielmehr die direkt an den Verbraucher vermittelte Information zu messen. So kann sich ein errechnetes MHD als fehlerhaft erweisen, wenn es basierend auf einem hierfür ungeeigneten TTI ermittelt wurde. In diesem Fall wäre dennoch nur das fehlerhafte MHD nach der LMIV zu beanstanden. Ebenso wenig findet die LMIV Anwendung im B2B-Sektor, wenn zur Weiterverarbeitung bestimmte Lebensmittel verkauft werden, da nicht das in diesem Schritt verkaufte Lebensmittel, sondern erst das Verarbeitungsprodukt zur Abgabe an den Endverbraucher bestimmt ist.
Zwar bestehen nach Art. 8 Abs. 5 und Abs. 8 LMIV Kooperationspflichten, wonach Unternehmen auf der Verbraucherinformation vorgelagerten Stufen der Lebensmittelkette die Informationen bereitstellen müssen, damit eine rechtskonforme Information der Verbraucher auf den nachgelagerten Stufen möglich ist. Da diese nicht verpflichtend durch intelligente Label wie TTI vorgeschrieben ist, kann sich aber auch hieraus keine Pflicht zur Verwendung LMIV-konformer TTI ergeben. Ist beispielsweise ein zur Weiterverarbeitung in einer Pastete bestimmter Fisch vom Fangbetrieb mit einem TTI gekennzeichnet, so bedeutet ein möglicherweise irreführender TTI nicht notwendig einen Verstoß gegen die genannten Mitwirkungspflichten, sofern dem Weiterverarbeiter anderweitig ausreichende Informationen zur Erfüllung seiner Informationspflichten zur Verfügung stehen. Es liegt auch kein Verstoß gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 LMIV vor, da weder der so gekennzeichnete Fisch noch die ihm beigefügte Information des TTI den Endverbraucher erreichen soll.
Werden TTI hingegen so verwendet, dass sie vom Endverbraucher ausgelesen werden können oder sollen, so ist der Anwendungsbereich der LMIV eröffnet. Hierbei ist danach zu differenzieren, ob das intelligente Label an dem Produkt selbst, sei es inner- oder außerhalb der Verpackung, oder lediglich in dessen Umgebung, etwa in einer Transportbox für den Versandhandel, platziert ist.
2. Zuordnung zu Grundbegriffen der LMIV
Der weiteste Begriff der „Information über Lebensmittel“ ist in Art. 2 Abs. 2 lit. a LMIV definiert. Er erfasst
„jede Information, die ein Lebensmittel betrifft und dem Endverbraucher durch ein Etikett, sonstiges Begleitmaterial oder in anderer Form, einschließlich über moderne technologische Mittel oder mündlich, zur Verfügung gestellt wird“.
Die Definition hat intelligente Label als moderne technologische Mittel im Blick und erfasst auf der Verpackung angebrachte TTI ebenso wie einem Versandpaket beigelegte, dessen Innentemperatur überwachende TTI, welche als Begleitmaterial dadurch die darin enthaltenen Lebensmittel betreffen. Wird ein TTI mittels einer App ausgelesen, sodass die relevante Information erst auf dem Smartphone zu sehen ist, handelt es sich dabei ebenfalls um eine „Information über Lebensmittel“.
Enger ist der Begriff der „Kennzeichnung“ im Sinne von Art 2 Abs. 2 lit. j LMIV, welcher die verschriftlichte bzw. gegenständlich vorhandene Information, die sich auf ein Lebensmittel bezieht, meint und „physisch“ enger an das Lebensmittel gebunden ist.13
Zugleich ist der Begriff der „Kennzeichnung“ weiter als die Definition des „Etiketts“ gemäß Art 2 Abs. 2 lit. i LMIV, da eine Kennzeichnung auch auf Tafeln, Schriftstücken oder ähnlichem angebracht sein kann, sofern sie das Lebensmittel begleitet oder sich darauf bezieht, während das Etikett auf der Verpackung des Lebensmittels angebracht sein muss.
Diese Unterscheidung wird insbesondere im Hinblick auf die Bereitstellung, Platzierung und Darstellung verpflichtender Informationen nach Art. 12–16 LMIV und Art. 44 Abs. 2 LMIV i.V.m. nationalen Vorschriften relevant.
Ob es sich bei einem TTI, das einer Versandbox beigelegt ist, um eine Lebensmittelkennzeichnung handelt, ist also anhand der Frage zu klären, ob sich der TTI auf ein bestimmtes Lebensmittel bezieht und über dieses eine Aussage trifft oder ob es nur Auskunft über den Temperaturverlauf der Umgebungsluft gibt. Der TTI sollte insofern klar und eindeutig sein. Jedenfalls handelt es sich dabei um kein Etikett.
Wird ein auf dem Produkt angebrachter TTI mittels einer App ausgelesen und erst auf dem Smartphone angezeigt, so handelt es sich bei dem TTI ebenfalls um kein Etikett, da die Information in diesem Fall nicht gegenständlich Teil der Verpackung ist oder dieser als physischer Informationsträger anhaftet,14 sondern die Information entsteht erst durch die Berechnung mittels der Algorithmen der App und somit auf dem die App darstellenden Display. Eine Kennzeichnung ist aber gegeben, da die Information gegenständlich als Einheit mit dem Display vorhanden ist und sich auf ein bestimmtes Lebensmittel bezieht. In diesem Fall ist etwa ein Smartphone mit einem Ordner in einer Bäckerei, in dem die Zusatzstoff- oder Allergenangaben zu den angebotenen Backwaren enthalten sind, vergleichbar.
Ist ein aufgeklebter TTI hingegen sowohl direkt als auch zusätzlich über eine App auslesbar, so handelt es sich bei ihm um ein Etikett im Sinne der LMIV.
Eine weitere grundlegende Differenzierung trifft die LMIV zwischen vorverpackten und nicht vorverpackten Lebensmitteln. Letztgenannten werden auch als lose Ware bezeichnet. Ein „vorverpacktes Lebensmittel“ ist nach Art. 2 Abs. 2 lit. e LMIV
„jede Verkaufseinheit, die als solche an den Endverbraucher und an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung abgegeben werden soll und die aus einem Lebensmittel und der Verpackung besteht, in die das Lebensmittel vor dem Feilbieten verpackt worden ist, gleichviel, ob die Verpackung es ganz oder teilweise umschließt, jedoch auf solche Weise, dass der Inhalt nicht verändert werden kann, ohne dass die Verpackung geöffnet werden muss oder eine Veränderung erfährt“.
Nicht erfasst sind dagegen
„Lebensmittel, die auf Wunsch des Verbrauchers am Verkaufsort verpackt oder im Hinblick auf ihren unmittelbaren Verkauf vorverpackt werden“.
Die harmonisierenden Vorgaben der LMIV zur Bereitstellung, Platzierung und Darstellung der verpflichtenden Angaben sind in der Regel nur auf vorverpackte Lebensmittel unionsweit ausnahmslos anzuwenden,15 da vor allem solche Produkte grenzüberschreitend und damit binnenmarktrelevant gehandelt werden. Für lose Ware sind hingegen eigene Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten in Art. 44 LMIV ausdrücklich vorgesehen.16 In Deutschland wurde auf dieser Grundlage § 4 LMIDV erlassen.
13 Grube, in: Voit/Grube, Art. 2 Rn. 55.