III. Ablauf der Hauptverhandlung
Der Gang der Hauptverhandlung bis zum Beginn der Beweisaufnahme ist in § 243 StPO geregelt. Die Hauptverhandlung ist in der Regel öffentlich (§ 169 GVG) und beginnt mit dem Aufruf der Sache. Sodann stellt der Vorsitzende fest, ob der Angeklagte und ggf. sein Verteidiger sowie mögliche weitere Verfahrensbeteiligte (z. B. Nebenkläger) anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft sind. Hierzu ruft er die geladenen Zeugen und Sachverständigen auf. Danach müssen diese den Sitzungssaal wieder verlassen, werden jedoch in der Praxis oftmals vorher noch gemeinsam belehrt (§ 57 StPO). Nunmehr wird der Angeklagte vom Vorsitzenden über seine persönlichen Verhältnisse vernommen. Anschließend verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dann belehrt der Vorsitzende den Angeklagten über sein Aussageverweigerungsrecht und vernimmt ihn zur Sache. Im Anschluss folgt die Beweisaufnahme (§§ 244 ff. StPO). Hierbei haben der Angeklagte, sein Verteidiger, der Staatsanwalt und mögliche weitere Verfahrensbeteiligte (z. B. Nebenkläger bzw. dessen Vertreter) nicht nur das bereits erwähnte und später noch näher zu beleuchtende Fragerecht, sondern können nach jeder Beweiserhebung – ebenso wie Verteidiger und Staatsanwalt nach der Vernehmung des Angeklagten – auch Erklärungen abgeben (§ 257). Nach Abschluss der Beweisaufnahme werden die Schlussvorträge, die sog. Plädoyers, gehalten (§ 258 StPO). Dabei plädiert zuerst der Staatsanwalt, dann der mögliche Nebenkläger bzw. sein Vertreter und abschließend der Verteidiger. Das letzte Wort hat stets der Angeklagte. Sodann folgt die geheime Beratung und Abstimmung über das Urteil (§§ 192 ff. GVG; 263 StPO). Der Vorsitzende verkündet das Urteil (§ 260 I StPO) durch Verlesung der Urteilsformel und mündlicher Urteilsbegründung (§ 268 StPO). Die Hauptverhandlung schließt mit der Rechtsmittelbelehrung (§ 35a StPO).
Verfahrensbeteiligter ist, wer durch eigene Willenserklärungen gestaltend als Prozesssubjekt am Verfahren mitwirkt.55 Nicht zu den Verfahrensbeteiligten zählen daher Zeugen und Sachverständige. Auch das Gericht ist, wie bereits erklärt, nicht Verfahrensbeteiligter in diesem Sinne. Zu den hier interessierenden Verfahrensbeteiligten zählen die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger sowie der Nebenkläger, da der Polizeibeamte vor Gericht als Zeuge von diesen Beteiligten vernommen bzw. befragt wird. Die meisten Konflikte treten dabei zwischen dem polizeilichen Zeugen und dem Strafverteidiger auf. Diesem Themenkomplex ist ein eigenes Kapitel gewidmet,56 so dass hier zunächst nur die anderen genannten Verfahrensbeteiligten dargestellt werden.
In der Hauptverhandlung tritt mindestens ein Amtsanwalt oder Staatsanwalt als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auf (§§ 226 I, 227 StPO). Bei einer Hauptverhandlungen wegen Ordnungswidrigkeiten ist in der Regel kein Amts- oder Staatsanwalt anwesend, da eine Verpflichtung zur Teilnahme der Staatsanwaltschaft nicht besteht (§ 75 I OWiG). Den Amtsanwälten werden nur Strafsachen übertragen, in denen der Strafrichter zuständig ist, d. h. ein Privatklagedelikt verfolgt wird oder aber keine höhere Strafe als zwei Jahre zu erwarten ist (§ 25 GVG). Die Wahrnehmung der Aufgaben eines Amtsanwalts kann auch auf einen Rechtsreferendar übertragen werden (§ 142 III GVG). Treten mehrere Staatsanwälte als Sitzungsvertreter auf, so stehen sie dem Gericht als Einheit, nämlich als die Staatsanwaltschaft, gegenüber. Als selbständiges Organ der Rechtspflege57 vertritt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung die Anklage und übt dabei durch Fragen, Anträge und Erklärungen eine Kontrolle der Justizförmigkeit des gerichtlichen Verfahrens, d. h. der richtigen Handhabung der Prozessordnung, aus. Insbesondere zu nennen sind sein Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen (§ 240 II StPO), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 II StPO) und von Fragen, das Beweisantragsrecht (§ 244 III–VI StPO) sowie das Recht zur Rechtsmitteleinlegung (§ 296 StPO). Hierbei ist der Staatsanwalt nicht einseitig Partei, sondern zur Objektivität verpflichtet und muss die Beweislage auch in der Hauptverhandlung unvoreingenommen würdigen.58 Er hat sowohl die den Angeklagten belastenden als auch die entlastenden Tatsachen zu berücksichtigen. Keinesfalls ist er an die Vorgaben der Anklageschrift gebunden, so dass er beispielsweise auch in seinem Plädoyer (§ 258 I StPO) einen Freispruch beantragen oder Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einlegen kann (§ 296 II StPO).
Dabei ist der Sitzungsvertreter jedoch selten der Sachbearbeiter, d. h. der Anklageverfasser. Insbesondere in Verfahren der Alltagskriminalität kennt der Sitzungsvertreter zumeist den Akteninhalt nicht und kann daher – anders als das Gericht – darauf auch nicht Bezug nehmen, etwa durch Vorhaltungen aus früheren polizeilichen Vernehmungen des Angeklagten oder Zeugen. Für die Sitzungsvertretung erhält er lediglich eine sog. Handakte, da die Akte selbst sich beim Gericht befindet. Die Handakte enthält die Anklageschrift, einen Zentralkarteiausdruck, der Auskunft über die gegen den Angeklagten bei dieser Staatsanwaltschaft geführten Verfahren gibt, sowie einen Bundeszentralregisterauszug. In größeren Verfahren ist jedoch oftmals der Sachbearbeiter auch der Sitzungsvertreter und kennt insoweit den Akteninhalt. Auch wird bei solchen Verfahren zumeist ein sog. Aktendoppel geführt, so dass der Sitzungsvertreter auch dann, wenn er nicht der Sachbearbeiter ist, Kenntnis vom Akteninhalt nehmen kann. Prozesspsychologische Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Kenntnis des zuvor gelesenen Akteninhalts negative Auswirkungen auf die Objektivität des Sitzungsvertreters haben kann. So werden oftmals die in der Hauptverhandlung auftretenden Bestätigungen der Anklage systematisch überschätzt und dagegensprechende neue Erkenntnisse systematisch unterschätzt.59 Insoweit scheint der nur die Handakte kennende Sitzungsvertreter bessere Voraussetzungen für eine möglichst objektive Beurteilung der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung zu haben. Gleichwohl ist es aus Praktikabilitätserwägungen heraus oftmals notwendig, bei größeren Verfahren den Sachbearbeiter als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft einzusetzen.
2. Der Beschuldigte als Angeklagter
Der Beschuldigte hat als Prozesssubjekt eine Fülle von selbständigen Verfahrensrechten, um auf den Gang und das Ergebnis des Strafprozesses Einfluss nehmen zu können. Dabei gelten die Verfahrensrechte des Angeklagten teilweise bereits im Ermittlungsverfahren. Hierzu zählen insbesondere das Aussageverweigerungsrecht, das Recht auf einen Verteidiger verbunden mit dem Antragsrecht auf eine Pflichtverteidigerbestellung und das Beweisantragsrecht, über die bekanntlich schon die Polizei vor der Beschuldigtenvernehmung belehren muss (§ 163a IV 2 i. V. m. § 136 I 2–5 StPO). Auch hat der Beschuldigte, der sich selbst verteidigt, einen Informationsanspruch. Ihm steht ein Akteneinsichtsrecht zu, soweit der Untersuchungszweck, auch in Bezug auf andere Strafverfahren, nicht gefährdet wird und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen (§ 147 IV 1 StPO). Gegenüber der früheren Rechtslage, hat der unverteidigte Beschuldigte damit einen umfassenden Anspruch auf Akteneinsicht. Hierbei können dem Beschuldigte anstelle der Einsichtnahme auch Kopien der Akte zur Verfügung gestellt werden (§ 147 IV 2 StPO). Darüber hinaus hat der Beschuldigte als Angeklagter60 in der Hauptverhandlung neben seinem Verteidiger ein eigenes Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen (§ 240 I StPO), ein Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 II StPO) und von Fragen sowie ein Beweisantragsrecht (§ 244 III–VI StPO). Ebenso hat er das Recht auf Rechtsmitteleinlegung (§ 296 I StPO). Weiterhin ist er berechtigt, einen Ablehnungsantrag gegen das Gericht wegen Besorgnis der Befangenheit zu stellen (§ 24 III 1 StPO), wobei Befangenheitsanträge in der Praxis regelmäßig der Verteidiger für den Beschuldigten stellt.
a) Rechtliches Gehör
Das wichtigste Verfahrensrecht des Angeklagten ist der Anspruch auf