Einsatzrecht - Basisausbildung gehobener Dienst. Patrick Lerm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patrick Lerm
Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783415068759
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Polizeivollzugsdienstes nicht beim Punkt Schuld zu prüfen ist, sondern im sog. subjektiven Tatbestand.

      Zu den einzelnen Prüfungspunkten wie folgt:

       1. Tatbestandsmäßigkeit (des Täterverhaltens)

       1.1 Objektiver Tatbestand

      = als objektive Tatbestandsmerkmale (TBM) bezeichnet man solche Tatumstände, die das äußere Erscheinungsbild der Straftat bestimmen (Gegenstände, Zustände).

      ► Beispiel: § 223 StGB Körperverletzung

      (1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. […]

      Der objektive Tatbestand des § 223 StGB ist:

      ■ Andere Person

      ■ Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung

       1.2 Subjektiver Tatbestand

      = als subjektive TBM bezeichnet man diejenigen Tatumstände, die dem seelischen Bereich und der Vorstellungswelt des Täters angehören.

       a) Vorsatz: Wissen + Wollen der Tatbestandsverwirklichung

      (für die meisten Delikte reicht bedingter Vorsatz aus)

       b) Ggf. besondere Absichten, z. B.

      ■ Absicht der rechtswidrigen Zueignung, § 242 I StGB (Diebstahl)

      ■ Absicht zur Täuschung im Rechtsverkehr, § 267 I StGB (Urkundenfälschung)

       2. Rechtswidrigkeit (der Tat)

      Es gilt der (grundsätzliche) Merksatz: Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit.

       Was bedeutet dieser Satz genau?

      Es darf im Regelfall vermutet werden, dass aufgrund der Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens die Tat auch rechtswidrig geschah.

      Ausnahmen von der Rechtswidrigkeit:

      ■ Vorliegen von Rechtfertigungsgründen, z. B. Notwehr gem. § 32 StGB

      ■ Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB

      ■ Rechtmäßige Dienst- bzw. Amtsausübung

       3. Schuld (des Täters)

      = bezeichnet die Vorwerfbarkeit einer rechtswidrigen Tat im Hinblick auf die persönliche Verantwortlichkeit des Täters.

      Berücksichtigung von:

      ■ individuellen Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten sowie

      ■ Beweggründen, Zielen und dem Vorleben des Täters (s. auch § 46 StGB).

      Ausnahmen von der Schuld:

      ■ Sog. Schuldausschließungsgründe (z. B. § 19 StGB, unter 14 J.)

      ■ Entschuldigender Notstand, § 35 StGB

      Dreh- und Angelpunkt (fast) jeder Sachverhaltsbeurteilung ist die Entscheidung. Gedanklicher Ausgangspunkt der Entscheidung sind die drei Hauptaufgaben der Polizei:

       Gefahrenabwehr (Prävention)

      Bei der Prävention handelt die Bundespolizei nach dem sog. Opportunitätsprinzip, d. h. die jeweilige Bundespolizeibehörde hat bei ihren Maßnahmen einen Handlungsspielraum. Die Behörde kann eingreifen, muss aber nicht. Man spricht hier auch vom pflichtgemäßen Ermessen (§ 16 BPolG).

       Strafverfolgung (Repression)

      Im Rahmen der Strafverfolgung handelt die Bundespolizei nach dem Legalitätsprinzip. Dieses ist die gesetzlich normierte Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane, erkannte bzw. mögliche Straftaten von Amts wegen zu erforschen und zu verfolgen (s. auch § 163 StPO).

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       Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten

      Dieses Teilgebiet gehört zwar zur Repression, aber das Einschreiten der Behörden erfolgt nach dem Opportunitätsprinzip (s. auch § 53 Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG). Demnach haben die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach pflichtgemäßen Ermessen Ordnungswidrigkeiten zu erforschen und dabei alle unaufschiebbaren Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten.

      Anhand eines Beispiels aus dem bundespolizeilichen Aufgabenbereich soll die Entscheidung dargestellt werden:

      ► BPOLI Hamburg – Sie sehen am Bahnsteig eine Person, die eine Spraydose in der Hand hält und zielgerichtet auf einen Fahrausweisautomaten (FAA) zugeht.

      Wie schreiten Sie hier ein? Wie lautet Ihre Entscheidung? (präventiv oder repressiv)?

       Lösung

      Der Schaden am Rechtsgut Eigentum der DB AG ist hier noch nicht eingetreten. Daher versuchen Sie hier, den Schadenseintritt zu verhindern und fordern die Person auf, die Spraydose auf den Boden zu legen. Man spricht hier von einer bevorstehenden Rechtsgutverletzung (in diesem Fall für das Eigentum).

      Beachten Sie, dass polizeiliche Situationen dynamisch sind. Situationen können sich rasch ändern. Deshalb ist die Frage nach der Entscheidung stets eine Momentaufnahme. Die Situation wird für einen kurzen Moment eingefroren und Sie müssen sich entscheiden.

      Sobald der Schaden am Rechtsgut eingetreten ist, spricht man von einem Schadenseintritt, siehe Übersicht. Dies wäre dann der Fall, wenn die Person bereits begonnen hat, den Automaten zu besprühen bzw. sie immer noch dabei ist, ihn zu besprühen. Das Verhalten stellt (zumindest) den Verdacht einer Straftat nach § 303 II StGB (Sachbeschädigung) dar. Die Polizeibeamten müssen demnach (auch) zwingend das Legalitätsprinzip beachten.

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      Sprüht die Person schon bzw. sprüht sie weiter, wird das Eigentum der DB AG immer weiter verletzt. Daher fordern Sie die Peron auf, unverzüglich mit dem Sprühen aufzuhören und die Dose auf den Boden zu stellen. Sie müssen demnach zunächst eine weitere Schadensvertiefung verhindern. Sie schreiten zuerst präventiv ein.

      Kommt die Person der Aufforderung nach (also ist die Gefahr der Schadensvertiefung abgewehrt), werden im Anschluss repressive Maßnahmen eingeleitet wie z. B. eine IDF gem. § 163b I StPO. Sie schreiten demnach im Anschluss repressiv ein. Dies bezeichnet man auch als anhaltende Rechtsgutverletzung.

      Nun zur dritten Rechtsgutverletzung:

      Diese liegt dann vor, wenn es keine Gefahr mehr abzuwehren gilt. Der Schaden ist bereits eingetreten und eine Schadensvertiefung ist nicht mehr möglich.

      Im Fall mit dem Sprayer würde das bedeuten, die Person hat gerade mit dem Sprühen aufgehört und beginnt, sich vom Tatort zu entfernen. Gerade in diesem Moment kommen Sie als Streife zum Ereignisort.

      Es handelt sich demnach um eine abgeschlossene Rechtsgutverletzung. Sie schreiten (nur noch) repressiv ein.

       Zusammenfassung am o. g. Beispiel

Sie sehen am Bahnsteig eine Person, die eine Spraydose in der Hand hält und zielgerichtet auf einen Fahrausweisautomaten zugeht.Sie

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