C. Makroökonomisch relevante Risiken
In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, unter welchen Bedingungen Risiken abgesehen von den Transaktionspartnern andere Marktteilnehmer treffen und damit im Extremfall auch gesamtwirtschaftlich (makroökonomisch) relevant werden können
I. Verträge und Risiken
Die einer Finanztransaktion zugrunde liegenden Verträge spielen in Bezug auf Risiken eine ambivalente Rolle. Zum einen regeln sie – abgesehen von einem möglichen Leistungsaustausch – die Verteilung von Risiken zwischen den Transaktionspartnern. Zum anderen eröffnen sie allerdings auch Risikokanäle, die es möglich machen können, dass Risiken aus der betreffenden Transaktion oder sonstige Risiken sich beim jeweiligen Vertragspartner oder Dritten, mit denen dieser seinerseits vertraglich oder anderweitig verbunden ist, realisieren. Dies ist gesamtwirtschaftlich zwar unproblematisch, wenn etwaige Probleme eng begrenzt sind, allerdings nicht, wenn sie massiert auftreten.
1. Verträge als Mittel zur bilateralen Risikoverteilung
Die Verteilung von Risiken ist im Rahmen einer Finanztransaktion letztlich Sinn der vertraglichen Bindung, denn jedes Rechtsgeschäft enthält Unsicherheitsfaktoren und trifft mit Blick darauf eine rechtsverbindliche Regelung.58 Die Unsicherheit folgt im Fall von Verträgen mit verpflichtenden Elementen namentlich aus dem Zukunftsbezug des Rechtsgeschäfts. Soweit Verträge im Rahmen von Finanztransaktionen also Verpflichtungen für die Transaktionspartner vorsehen, regeln sie auch, wer – aus Sicht der Vertragspartner – die mit der Unsicherheit verbundenen Risiken zu tragen hat. So enthält z.B. ein Vertrag über den Kauf einer Aktie oder Anleihe eine einklagbare Selbstverpflichtung des Verkäufers, das Instrument zum vereinbarten Zeitpunkt an den Käufer zu liefern.
Eine ausdrückliche Vereinbarung über die mit einem Vertrag verbundenen Risiken erfolgt insbesondere dann, wenn die Risiken aus Sicht der Parteien für die Durchführung der Transaktion essentiell (d.h. vertragswesentlich) sind. Beispielsweise kann ein Kreditnehmer über einen Darlehensvertrag sicherstellen, dass er Liquidität erhält (vgl. § 488 Abs. 1 S. 1 BGB). Im Gegenzug verschafft sich der Kreditgeber durch den Darlehensvertrag eine rechtsverbindlich abgesicherte Aussicht, den gewährten Darlehensbetrag (u.U. mit Zinsen) zurückzuerhalten (vgl. § 488 Abs. 1 S. 2 BGB). Die entsprechenden Verpflichtungen des jeweils anderen Transaktionspartners sind deshalb grundsätzlich ausdrücklich im Darlehensvertrag vereinbart. Die auf Risikobewusstsein und -bereitschaft aufbauende privatautonome Risikozuordnung stellt wegen des meist dispositiven Charakters der Vorschriften über Verpflichtungsverträge den vorrangigen Ansatzpunkt für die privatrechtliche Beurteilung der Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien dar.59
Die Transaktionspartner treffen allerdings nicht in jedem Fall eine ausdrückliche Vereinbarung über die vertragliche Risikoverteilung. Zum Teil sind Vertragsvereinbarungen über die Risikotragung ohnehin entbehrlich, z.B. weil es sich um einen reinen Verfügungsvertrag handelt, der unmittelbar den vertraglichen Erfolg herbeiführt (vgl. z.B. § 929 BGB).60 Zum Teil können die Transaktionspartner auf Vereinbarungen zur Risikotragung auch verzichten, weil das Gesetz relevante Risiken über – dispositive – Gefahrtragungsregeln einer Vertragspartei zuweist (vgl. z.B. §§ 269ff. BGB).
2. Verträge als Risikokanäle
Verträge verteilen nicht nur Risiken, die für die Parteien mit dem jeweiligen Vertragsgegenstand verbunden sind, sondern können auch selbst mit Risiken für die Parteien oder für Dritte einhergehen. Die Verträge wirken dann als Risikokanäle. Für die im Rahmen einer Finanztransaktion geschlossenen Verträge gilt das namentlich dann, wenn die vertragliche Risikoverteilung unvollständig ist. Dazu kann es vor allem in den folgenden zwei Szenarien kommen:
• Risikoexternalisierung: Ein Transaktionspartner wälzt Risiken auf den anderen ab, sodass dieser Risiken an andere Marktteilnehmer weitergibt.
• Risikoverkettung (transitives Risiko): Eine Transaktion ändert die Risiken für Marktteilnehmer außerhalb der Transaktion.
Der einer Finanztransaktion zugrunde liegende Vertrag wirkt in den genannten Fällen also in zweierlei Hinsicht als Risikokanal. Zum einen macht es das Vertragsverhältnis für die Transaktionspartner notwendig, neben Informationen zu ihren eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen auch Informationen zu den Verhältnissen der Transaktionspartner zu berücksichtigen (um Risikoabwälzungen vorzubeugen). Zum anderen können die vertraglichen Pflichten der Transaktionspartner auch unmittelbar die Risiken beeinflussen, denen andere Marktteilnehmer ausgesetzt sind.
In den folgenden Abschnitten ist näher zu untersuchen, wann es zu einer Risikoabwälzung (Risikoexternalisierung; Abschnitt II) bzw. zum Entstehen von Risiken bei nicht transaktionsbeteiligten Marktteilnehmern (Risikoverkettung; Abschnitt III) kommt.
II. Risikoexternalisierung
1. Einführung
Zu einer „Risikoexternalisierung“ kommt es, wenn ein Transaktionspartner die ursprünglich von ihm zu tragenden Risiken auf den anderen abwälzt.61 Nach der ökonomischen Literatur ist auch insoweit ein weites Verständnis zugrunde zu legen. Deshalb wird hier nicht danach unterschieden, ob ein Transaktionspartner bei ihm entstandene Risiken auf den anderen überträgt oder ob er dafür sorgt, dass durch den Vertrag Risiken bei dem anderen Transaktionspartner unmittelbar begründet oder erhöht werden. In jedem Fall handelt es sich um eine unfreiwillige Übernahme von Risiken außerhalb des vertraglich vereinbarten Gegenseitigkeitsverhältnisses. Derartige Risiken können innerhalb von Transaktionsketten an andere Marktteilnehmer weitergegeben werden.
Im Grundsatz ist zu unterstellen, dass die Transaktionspartner auftretende Risiken in ihrer Vertragsbeziehung antizipieren und bei der Bemessung der vertraglichen Gegenleistung eine Prämie für die Übernahme solcher Risiken einkalkulieren werden. Allerdings werden die Parteien einer Finanztransaktion regelmäßig nur Vorsorge für solche Risiken treffen, die sie selbst betreffen und die für sie vorhersehbar sind. Die Parteien werden mithin nur die nach allgemeinen Lebenserfahrung typischerweise zu erwartenden Ereignisse in ihre vertragliche Regelung einbeziehen. Demgegenüber dürfte eine nach diesem Maßstab planwidrige Entwicklung im Zweifel außerhalb der vertraglichen Regelung liegen.62 Zur Externalisierung von Risiken dürfte es also vor allem dann kommen, wenn die vertragliche Risikoverteilung zwar aus der subjektiven Sicht der Transaktionspartner vollständig ist (subjektive Äquivalenz), aber die Risiken der Transaktion objektiv nicht allein zwischen den Transaktionspartner verteilt sind, sondern – unvorhergesehen – auch Dritte treffen (d.h., keine objektive Äquivalenz).63
Davon abgesehen kann eine Abwälzung von Risiken aber von vornherein auch das nicht offen gelegte Ziel eines Transaktionspartners gegenüber dem anderen (z.B. in Fällen des Insiderhandels oder des „Anschleichens“ an Übernahmeziele) oder sogar ein Grund für das kollusive Zusammenwirken mehrerer Marktteilnehmer zum Nachteil ihrer Vertragspartner aus verbundenen Transaktionen sein (z.B. bei manipulativen Ringgeschäften zum Nachteil Dritter – sog. circular trading).64 Ebenso kann ein Transaktionspartner nach Abschluss der Transaktion feststellen, dass er gefahrlos weitere Risiken eingehen kann, weil diese sich aufgrund der Ausgestaltung der Transaktion nicht bei ihm, sondern bei seinem Transaktionspartner oder woanders realisieren werden. Es mag ihm auch schlicht egal sein, wenn er solche Risiken eingeht. In diesen Fällen findet die Risikoabwälzung bewusst oder – mit Blick z.B. auf etwaige vertragliche Nebenpflichten – sorgfaltswidrig statt.65
Im Folgenden kann zumindest grundsätzlich vom Normalfall ausgegangen werden, dass die Transaktionspartner sich an Recht und Gesetz halten wollen. Bei einer derartigen Interessenlage ist anzunehmen, dass es zu planwidrigen Entwicklungen oder Sorgfaltspflichtverstößen insbesondere im Fall von komplexen Vertragsverhältnissen kommen