bb) Akzeptanz von Compliance-Maßnahmen als Grundlage der Befolgung
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Die Wirksamkeit von Compliance-Maßnahmen hängt dabei auch von der Bereitschaft der Betroffenen ab, die Regeln und Maßnahmen zu befolgen.284 Nach einer Studie werden die Einstellungen und Werte der Mitarbeiter als kritischer Erfolgsfaktor für Compliance gesehen.285 Diese Erkenntnis stimmt mit empirischen Untersuchungen zur Wirksamkeit von Compliance-Maßnahmen in Unternehmen überein: Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass ein integrierter Ansatz von Compliance- und Integritätsmanagement erfolgversprechender ist als ein rein regel- und kontrollbasierter Compliance-Ansatz, der allein auf die Umsetzung juristischer Vorgaben gerichtet ist.286 In anderen Rechtsordnungen zählt die Kombination von Compliance und Ethikprogrammen bereits seit Längerem explizit zu denjenigen Kriterien, mit deren Nachweis Organisationen den Vorwurf mangelnder Compliance ausräumen können.287
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Regelverletzungen beruhen einerseits auf vorsätzlichem Fehlverhalten bzw. kriminellen Aktivitäten von Personen (z.B. bei Korruptionsvergehen oder Kartellrechtsverstößen),288 in anderen Fällen resultieren sie aus Fahrlässigkeit aufgrund der Verletzung von Sorgfaltspflichten oder auch nur unzureichender Kenntnis von Regeln und Geboten.289 Die erforderlichen Compliance-Maßnahmen umfassen daher sowohl die Aufdeckung und Sanktionierung von regelwidrigem Verhalten als auch Aufklärungs- und Schulungsmaßnahmen, insbesondere die Erklärung und Übersetzung juristischer Regeln und Zusammenhänge.290 Die Beachtung und Einhaltung von Regeln steht in einem engen Zusammenhang mit den Werten, denen sich die Organisationsangehörigen verpflichtet fühlen.291 Im Hinblick auf die Verhinderung bzw. Reduzierung abweichenden Verhaltens und der Förderung von Regeltreue empfiehlt sich daher, die Compliance-Maßnahmen durch ein begleitendes Integritätsmanagement zu untermauern.292
cc) Kommunikation von Werten für Regelungslücken und „Graubereiche“
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Für eine Fundierung der Compliance-Maßnahmen durch ein begleitendes Integritätsmanagement spricht ferner, dass eine lückenlose Regelung jeglichen (Fehl-)Verhaltens faktisch unmöglich ist (ebenso wie deren Kontrolle). Soweit Regelungen verabschiedet werden – etwa in Form eines Code of Conduct293 –, sind die Aussagen nicht immer eindeutig oder selbsterklärend oder sie erfassen nicht alle Fallkonstellationen.294 Selbst bei regelmäßiger Erläuterung der Inhalte im Rahmen von Compliance-Schulungen295 können Zweifelsfragen bleiben, die Erfüllung sämtlicher Rechtspflichten im operativen Geschäft ist stets eine Herausforderung.296 Für diese Fälle hilft eine Orientierung, wie sich Unternehmensangehörige bei unklaren Sachlagen oder in sog. „Graubereichen“ verhalten sollten. Diese Orientierung kann durch ein begleitendes Integritäts- und Wertemanagement erfolgen, mit dem die Unternehmensangehörigen über Sinn und Zweck der Compliance-Maßnahmen und insbesondere deren Schutzfunktion für das Unternehmen und alle seine Stakeholder informiert werden.297 Die Formulierung von Werten gibt den Unternehmensangehörigen dabei eine wichtige Hilfestellung für diejenigen Fragen und Fallkonstellationen, die (noch) nicht bzw. nicht eindeutig durch Regeln erfasst bzw. geklärt sind.298 Dies befähigt die Unternehmensangehörigen in solchen Zweifelsfällen entweder zu einer selbstständigen Einschätzung299 oder es fungiert als eine Art Kompass, der in Zweifelsfällen auf eine Klärung der Frage durch den Compliance Officer verweist.
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Die Fundierung der Compliance-Maßnahmen durch ein Integritätsmanagement bietet zugleich die Chance einer höheren Akzeptanz von Compliance-Maßnahmen. Im Hinblick auf den erforderlichen „tone from the top“ lautet die Botschaft an die Unternehmensangehörigen: „Wir vertrauen Ihrem Urteilsvermögen und Ihrer Fähigkeit, sich an diese Regeln zu halten“, zugleich wird versichert: „Werte wie Rechtstreue und Aufrichtigkeit bestimmen das unternehmerische und soziale Miteinander im Unternehmen. Darauf kann man sich als Mitarbeitender verlassen.“300
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Es empfiehlt sich daher, das Compliance Management durch ein Integritäts- und Wertemanagement zu ergänzen bzw. zu fundieren.301 So verabschieden beispielsweise viele Unternehmen im Rahmen ihrer Anti-Korruptions-Compliance sog. „Geschenke-Richtlinien“ zur Regelung der Gewährung und Annahme von Vergünstigungen. Die Prävention von Korruptionsrisiken dürfte besser gelingen, wenn gleichzeitig Unbestechlichkeit und faires Wettbewerbsverhalten als Werte durch Unternehmensleitung und Führungskräfte kommuniziert werden. Denn mit dieser Verankerung erhöht sich die Chance, dass Vergünstigungen jeder Art kritisch geprüft werden – auch unabhängig von der Frage, ob die jeweilige Zuwendung im Einzelfall durch die „Geschenke-Richtlinie“ geregelt ist.
3. Verfassung von Regeln, Richtlinien und Werten
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Das letztgenannte Beispiel zeigt, dass zusätzlich zu dem eindeutigen Bekenntnis der Unternehmensleitung zu Compliance auch die verständliche und praxisorientierte Formulierung von Compliance-Regeln und Leitwerten eine zentrale Rolle spielt.302 Dabei empfiehlt sich die Entwicklung einer Art „Compliance-Verfassung“, in der sämtliche relevanten Regeln, Standards und Werte integriert und aufeinander abgestimmt werden.303 Als Mittel zur Kommunikation nutzen viele Unternehmen einen sog. „Code of Conduct“.304 Dieser statuiert maßgebliche Regelungen und grundlegende Werte und formuliert die Verhaltensanforderungen, deren Einhaltung von den Unternehmensangehörigen erwartet wird. Typische Inhalte sind unter anderem Regelungen zum respektvollen und fairen Umgang der Unternehmensangehörigen untereinander, zum Schutz vor Diskriminierung, zum Ausschluss von Bestechlichkeits- oder Bestechungsverhalten, Anweisungen zur Wahrung von Vertraulichkeit und Datenschutz, Regelungen zum Ausschluss von Interessenkonflikten, Anweisungen zum Umgang mit Geschenken und Einladungen sowie Prinzipien des fairen Umgangs mit Geschäftspartnern.305
4. Compliance als Personalführungs- und Schulungsaufgabe
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Über die Formulierung und Verabschiedung von Compliance-Regeln und Leitwerten (z.B. in Form von Verhaltenskodizes, Compliance Manuals und Richtlinien306) hinaus bedarf es weiterer Schritte zur dauerhaften Verankerung bei den Unternehmensangehörigen, die Vermittlung von Compliance und Integrität ist eine Personalführungsaufgabe.307
a) Zielgruppenorientierte Schulungs- und Fortbildungsprogramme
aa) Bedarfsanalyse und Zielgruppenorientierung
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Wichtig ist insbesondere ein zielgenaues und fortlaufend aktualisiertes Schulungs- und Fortbildungsprogramm.308 Dabei kommt es darauf an, die Unternehmensangehörigen für die Compliance-Risiken des Geschäftsmodells zu sensibilisieren. Denn obwohl Regelverstöße häufig auch auf krimineller Energie einzelner Personen fußen, resultieren andere Fälle der „Non-Compliance“ daraus, dass die Relevanz einschlägiger Regelungen nicht bekannt ist oder nicht verstanden wurde. Daher müssen die Compliance-Regel in verständlicher Sprache Werte erläutert und (insbesondere im Falle juristischer Fachterminologie) in gut nachvollziehbare Formulierungen übersetzt werden.309 Hierzu sollten spezielle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen entwickelt werden, die genau auf das Geschäftsmodell des Unternehmens und sein spezifisches Compliance-Risiko-Profil abgestimmt sind.310 Für den Erfolg der Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen ist ferner ausschlaggebend, dass die Formate und Inhalte möglichst genau auf den jeweiligen Bedarf der adressierten Zielgruppen abgestimmt sind.311
bb) Positionierung von Compliance als „Business enabler“
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