»Warum also machst du keinen America’s Cup?«, fragte Rae, während er am Tisch kniete und auf den nun schon eine Stunde verspäteten Beginn der Siegerehrung wartete. Rae versicherte Larry, dass Ernesto Bertarelli mit seinem großen Portemonnaie und seinem noch größeren Ehrgeiz nicht der Einzige wäre, der talentierte Kiwis auf seine Seite ziehen könne. Rae bot für die Planung und die Strukturierung seine Hilfe an.
Larry dachte über die Idee nach. SAYONARA hatte seit ihrer Taufe im Jahre 1995 kein einziges Rennen in Küstennähe verloren. Team New Zealand hatte seit 1995 nicht mehr verloren. Irgendjemand aber musste 2003 verlieren. Bislang schienen die Kiwis unbesiegbar. Aus dem gleichen Grund, warum er sich nicht mit verheirateten Frauen traf, hatte Larry nicht die Absicht, Kiwis abzuwerben: Er wollte keine Familie zerstören.
»Okay, dann lass’ es uns machen«, sagte Larry zu Raes Überraschung. Der Oracle-Boss hatte sich weder nach den Kosten noch nach möglichem Sponsoring erkundigt. Fragen, die üblicherweise eine solche Entscheidung maßgeblich beeinflussen, weil eine Cup-Kampagne einen Eigner zwischen 50 und 100 Millionen US-Dollar kosten und Jahre der Planung bis zum ersten Rennen verschlingen kann. Larry argumentierte, dass er das Football-Team der San Francisco 49ers kaufen, aber deswegen nicht selbst Quarterback werden könne. In diesem Fall jedoch konnte er ein Team kaufen und selbst das Steuer in die Hand nehmen. Er hatte den festen Vorsatz, selbst zu steuern.
SAYONARAS Manager Bill Erkelens stand etwa sechs Meter entfernt vom Tisch, als mit Robbie Naismith ein weiterer der siegreichen neuseeländischen Cup-Segler zu ihm herüberkam und mit leiser Stimme sagte: »Du gehst da besser mal rüber. Sie sprechen über eine America’s-Cup-Teilnahme. Und sie machen keine Scherze.«
Larry sagte Erkelens, dass er am America’s Cup teilnehmen wollte, falls sie SAYONARAS Designer Bruce Farr verpflichten könnten.
Erkelens schaute Larry an und nickte. Dann begann die Siegerehrung.
Erkelens war es gewohnt, von seinem Boss überrascht zu werden. Er war sechs Jahre zuvor von Larrys Nachbar David Thomas für den Bau und das Regattamanagement von SAYONARA eingestellt worden. Larry Ellison traf Erkelens persönlich erstmals, als er ihn in seinem Haus im kalifornischen Atherton besuchte, um ihm die fertigen Zeichnungen von SAYONARA zu zeigen. Sein Leben lang ein leidenschaftlicher Segler und Liebhaber von Booten, hatte Erkelens doch nie zuvor eine Yacht wie sie gesehen. SAYONARA würde spektakulär sein. Er und Thomas präsentierten die Entwürfe. Larry schaute sie an und hatte nur eine einzige Frage: »Kann sie gewinnen?« Danach erkundigte er sich mit Begeisterung in der Stimme, ob sie sich vielleicht die Zeichnungen von einem neuen Flugzeug ansehen wollten, dass er gerade baute. Erkelens verließ das Meeting ohne Idee, ob das SAYONARA-Projekt nun verabschiedet sei. Was er aber verstanden hatte, war die Tatsache, dass er es mit einem Exzentriker zu tun hatte.
Eine Woche nach der Siegerehrung auf Antigua und nach der Überführung von SAYONARA zurück nach Südflorida erhielt Erkelens einen Anruf aus dem Büro von Ellison. Larry war selbst am Apparat. »Hast du ihn verpflichtet?«, fragte Larry ohne Begrüßung.
»Wen verpflichtet?«, fragte Erkelens.
»Bruce Farr.«
»Du hast mit dem America’s Cup keine Scherze gemacht?«
»Nein, habe ich nicht.«
Yachthafen von San Francisco
Frühjahr 2000
Norbert schloss seine Werkstatt an der unteren Divisadero Street in San Francisco ab. Sie lag in einem von kleinen Handwerksbetrieben und Unternehmen besiedelten Gebiet. Ganz in der Nähe fanden sich öffentliche Wohngebäude und hier und da einige hippe Bars, Clubs und Cafés. Er stieg in seinen Truck und steuerte ihn in nördliche Richtung den steilen Teil Divisaderos hinauf in die Pacific Heights, wo einige der teuersten Immobilien weltweit zu finden waren. Als er den Broadway erreicht hatte, legte Norbert eine kurze Pause ein und schaute nach unten. Divisadero verschwand hinter ihm wie bei einer aufregenden Achterbahnfahrt. Vor ihm breiteten sich die Stadt und die Bucht wie ein wundervolles pastellfarbenes Gemälde aus. Sein Ziel, der Golden Gate Yacht Club, lag direkt voraus.
Bei seiner Einfahrt in den Hafen verlangsamte Norbert das Tempo, während er am St. Francis Yacht Club mit seinem Dach aus spanischen Fliesen und seinen imposanten Blicken über die Bucht vorbeifuhr. Zu seiner Rechten lag die Slipanlage für die Yachten der Mitglieder des St. Francis Yacht Clubs. Etwa 115 Meter die Straße hinunter passierte Norbert einen alten steinernen Leuchtturm, bevor die Straße sich erst von gepflegt in holprig und dann, auf dem letzten Stück zum Golden Gate Yacht Club, in völlig ungepflastert verwandelte.
Er parkte auf einem der vier Parkplätze vor dem Club und ging den mit Holz beplankten Weg entlang durch die große Tür mit ihrem Bullaugenfenster die Treppen hinauf in die Bar. Er hatte angefangen, mehr Zeit im Club zu verbringen, und war von Freunden aufgefordert worden, sich um das Amt des Kommodores zu bewerben. Er war offenbar genau das, wonach sie suchten: etwas jünger, ausgestattet mit einem kaufmännischen Diplom; er mochte schöne Boote und guten Wein und hatte über seinen Vater familiäre Bindung zum Verein. Jozo war 1996 nach Gertrudes Tod in den Golden Gate Yacht Club eingetreten, und Norbert war ihm gefolgt.
1939 von einigen Mechanikern, Zimmerleuten und Fischern auf einem Frachtkahn gegründet, war der Golden Gate als Gegenstück der Blaumänner zum blaublütig geprägten benachbarten St. Francis Yacht Club aus der Taufe gehoben worden. Er war zwischen der Marina Green und Crissy Fields beheimatet und lag an einem spektakulären kleinen Uferbereich, der von Joggern, Fahrradfahrern, Windsurfern und Touristen gleichermaßen geschätzt wurde. Das zweistöckige Clubhaus des Golden Gate Yacht Clubs war in einem weichen Nebelgrau gestrichen. Seine Räumlichkeiten waren so spartanisch wie die des St. Francis Yacht Clubs groß. Es war das Zuhause vieler Wochenendsegler, 250 Mitglieder und einiger Angestellter. Dieser Club verlangte eine bescheidene Aufnahmegebühr von 1000 US-Dollar und eine monatliche Mitgliedergebühr von 90 Dollar. Es war ein Ort, an dem man seine eigenen Getränke mitbringen durfte. Einmal im Jahr wurde Manuel Fagundes Seegras-Suppen-Regatta ausgerichtet, die nach dem singenden Barkeeper benannt worden war. Im Gegensatz dazu war der St. Francis Yacht Club einer der ehrwürdigsten Vereine des Landes mit Weltklasseseglern, 2500 Mitgliedern, 150 Festangestellten, Pokalvitrinen und Yachtmodellen hinter Glas. Die Aufnahmegebühr betrug 25 000 und der Monatsbeitrag 250 US-Dollar. Außerdem gehörte Tinsley dazu, eine kleine Insel im kalifornischen Delta, die in sechs bis acht Segelstunden von der Marina in San Francisco aus zu erreichen war. Oder auch in drei bis fünf Stunden mit einem Powerboot. Die Insel stand nur Mitgliedern offen. Maximal 100 Boote konnten dort anlegen. Der Golden Gate Yacht Club war zufrieden mit seinen Club-Essen, bei denen jeder etwas für den Fischeintopf beisteuerte.
Norbert gesellte sich zu einigen Mitgliedern an der kleinen Bar, die der Stadt den Rücken zukehrte und ihre Besucher auf die östliche Küstenlinie blicken ließ. Seine Frau Madeleine, die ihm in Sachen Charme und Redseligkeit in nichts nachstand, war ebenfalls auf dem Weg in den Club.
Clubmitglied Ned Barrett, der nur ein paar Blocks entfernt wohnte, war mit seiner Frau Carole da. Barrett wollte wissen, ob Norbert nun Ja zur Kommodore-Kandidatur gesagt habe. »Das machst du mal besser«, schmeichelte er, »denn sie haben mich dazu überredet, für den Posten des Vizepräsidenten zu kandidieren. Wir werden diesen Ort im Sturm nehmen.«
Norbert schaute seinen neuen Freund an und sagte, er würde immer noch darüber nachdenken.
Madeleine kam herein. Der Arbeitstag steckte ihr noch in den Knochen, aber sie war glücklich, Norbert zu sehen. Norbert stellte Madeleine Barrett vor, der sogleich berichtete, dass er der neue Vizekommodore sein würde. Und dass er Norbert dazu überreden wolle, den Posten des Kommodores zu übernehmen. Was Madeleine zur Kommodorin machen würde. Madeleine lächelte.
»Es wird doch niemals langweilig«, sagte Madeleine und ließ Norbert ein Glas Weißwein für sie bestellen.
Madeleine war