Das Pfarrhaus von Steventon. Zeichnung von Jane Austens Nichte Anna
Jane Austens Elternhaus stand in Hampshire, in der Grafschaft mit den Hafenstädten Southampton und Portsmouth nördlich der Insel Wight. Steventon liegt in hügeliger, leicht bewaldeter Landschaft mit den breiten, hohen Hecken, die im zehnten Kapitel von Überredung ein Handlungselement bilden, und war mit seinem Herrenhaus, seiner Pfarre und seinen bäuerlichen Hütten ein typisches friedliches Dörfchen, in dem es zwar Armut, aber nicht Elend gab. Es hat sich bis heute fast nicht verändert und wirkt wie unberührt von der Zeit. Die Landstädtchen Basingstoke und Winchester waren in der Nähe. Hier war Jane Austens Vater seit 1764 Pastor und neben der Grundbesitzerfamilie der angesehenste Bewohner des Dorfes. Das Pfarrhaus, das in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde – nur die Pumpe der Waschküche steht noch heute –, lag ganz im Grünen, umgeben von Wiesen, Gebüsch und Ulmen. An der Rückseite hatte es einen üppigen Gemüse- und Blumengarten. Die zwei Stockwerke enthielten unten die Wohnräume der Familie und oben die zahlreichen Schlafzimmer. Für die beiden Töchter wurde oben zusätzlich ein kleines, an ihr gemeinsames Schlafzimmer angrenzendes »Ankleidezimmer« eingerichtet, wo sie viel Zeit mit Lesen und Handarbeiten verbrachten und wo Jane ihre frühen Manuskripte schrieb. Auch das Klavier – Jane musizierte, ihre Schwester malte in Aquarell – hatte hier seinen Platz.
Jane Austens Vater, Rev. George Austen
Janes Vater, George Austen, entstammte einer bürgerlichen Familie aus Kent und war schon mit sechs Jahren Waise. Glücklicherweise fand sich ein Onkel, Francis Austen, ein reicher Rechtsanwalt, bereit, seine Erziehung zu finanzieren. George durchlief seine Universitätsausbildung in Oxford, wo er 1761 als Geistlicher ordiniert wurde. Ein anderer reicher Verwandter, Thomas Knight auf Godmersham in Kent, übertrug ihm die Pfarre von Steventon. Die Kirche, nur einen kurzen Fußweg vom Pfarrhaus entfernt, hat noch ganz das Aussehen von Jane Austens Zeit. 1773 kaufte ihm Onkel Francis die Pfarre von Deane ganz in der Nähe dazu, um sein Einkommen aufzubessern. George hatte nur eine Schwester, deren einzige Tochter, Eliza Hancock, mit der Familie in Steventon eng verbunden war.
Silhouette von Jane Austens Mutter Cassandra geb. Leigh
Janes Mutter, Cassandra Leigh, war eine resolute und humorvolle Frau, die gern heitere Verse schrieb, aber mit zunehmendem Alter hypochondrische Züge bekam. Ihre schwache Gesundheit ist ein ständiges Thema in der Korrespondenz ihrer Töchter. Trotzdem wurde sie 88 Jahre alt und überlebte ihre jüngere Tochter um zehn Jahre. Sie entstammte einer angesehenen Familie aus Gloucestershire, die wohlhabend war und hocharistokratische Verbindungen hatte. Ihr Vorname Cassandra wurde in Erinnerung an eine Vorfahrin, die Herzogin von Chandos, in der Familie tradiert. Ihr kinderloser Bruder James lebte mit seiner Frau als reicher Gentleman abwechselnd in Bath und auf seinem Gut Scarletts in Berkshire, nicht weit von Steventon. Ihre einzige Schwester lebte als Frau des Pastors Dr. Edward Cooper dicht bei Bath; mit deren beiden Kindern Jane und Edward waren die Austen-Kinder befreundet.
Das Pfarrerehepaar von Steventon wurde in den ersten fünfzehn Jahren seiner Ehe mit sechs Söhnen und zwei Töchtern gesegnet: James (1765), George (1766), Edward (1768), Henry (1771), Cassandra (1773), Francis (1774), Jane (1775) und Charles (1779). Da fast alle Geschwister in Jane Austens Leben eine wichtige Rolle spielen, empfiehlt es sich, sie gleich etwas genauer vorzustellen. Was ist aus ihnen geworden? Dass sie alle überlebt haben, ist in einer Zeit hoher Geburtensterblichkeit wie dem 18. Jahrhundert erstaunlich.
James Austen
James wurde nach seinem Studium in Oxford Geistlicher und übernahm 1805 nach Vikarstellen in unmittelbarer Nähe die Nachfolge seines Vaters in Steventon, wo er 1819 starb. Er vermählte sich 1792 mit der sechs Jahre älteren Anne Mathew, einer Enkelin der Herzogs von Ancaster, und hatte eine Tochter mit ihr (Anna, geb. 1793). Seine Frau starb schon 1795, und James heiratete dann Cassandras und Janes Freundin Mary Lloyd, mit der er einen Sohn (James Edward, geb. 1798) und eine Tochter (Caroline, geb. 1805) hatte. Alle drei Kinder haben wichtige Aufzeichnungen über ihre Tante Jane hinterlassen; James Edward war ihr schon erwähnter erster Biograph. Mit James’ zweiter Frau, Mary Lloyd, verstanden sich die Austen-Schwestern, obwohl bereits lange mit ihr befreundet, nicht so gut (»Sie ist alles in allem keine sehr hochherzige Frau«), und James ist der einzige Bruder, den Jane in ihren Briefen wiederholt kritisiert. Sie schreibt über ihn im Februar 1807:
Es tut mir leid und macht mich wütend, dass seine Besuche einem nicht mehr Freude machen; die Gesellschaft eines so guten und klugen Mannes müsste einem wohltun, aber seine Unterhaltung ist forciert und seine Urteile sind in vieler Hinsicht nur von seiner Frau übernommen; und er bringt seine Zeit hier, scheint mir, nur damit zu, im Haus herumzulaufen und mit den Türen zu schlagen oder nach einem Glas Wasser zu klingeln.
James ging es finanziell nicht besonders gut, denn sein Schwiegervater war 1805 gestorben und das erwartete Erbe seiner Tochter fiel ohne sein Verschulden dem Staat zu. War James auch auf das literarische Talent seiner Schwester neidisch? Er schrieb Gedichte und hielt nicht viel von Romanen. Von früh an galt er als der Dichter der Familie und gab zusammen mit seinem Bruder Henry während ihrer gemeinsamen Studentenzeit in Oxford von Januar 1789 bis März 1790 eine Zeitschrift heraus, The Loiterer (Der Bummler), die es auf 60 Nummern brachte. James war auch die treibende Kraft bei den Theateraufführungen der Austen-Kinder in der väterlichen Scheune zwischen 1782 und 1788, bei denen manchmal auch Vettern, Cousinen und Freunde mitwirkten. Nach seinem Studium hatte er eine Europareise unternommen, aber sein wenig aufregendes späteres Leben als Landpfarrer erfüllte ihn offenbar nicht. Da er zehn Jahre älter und von ihren Brüdern der »akademischste« war, verdankte sie ihm nach Aussage seines Sohnes viel im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Bildung und ihres literarischen Geschmacks.
George hatte als kleines Kind »Anfälle« (»fits«) und kehrte nach dem üblichen ersten Jahr, das alle Austen-Kinder bei einer Amme im Dorf verbrachten, nie mehr in sein Elternhaus zurück. Woran er litt, ist nicht bekannt, aber da auch ein Bruder von Mrs. Austen an einer ähnlichen Krankheit gelitten hat, scheint es sich um ein erbliches Leiden gehandelt zu haben. Er lebte bis 1838, wird aber von den Quellen nach dem vierten Lebensjahr kaum mehr erwähnt und in den Berichten über Jane Austen von den Nachkommen der Familie in typisch viktorianischer Manier einfach totgeschwiegen. Als Mrs. Austen 1827 starb, erbte jedes ihrer Kinder außer George 437 Pfund. Aber Edward überließ seinen Anteil »meinem Bruder George zu dessen Nutzen«. Einige Forscher vermuten, dass George taubstumm war, weil aus einer brieflichen Bemerkung Janes hervorzugehen scheint, dass sie die Taubstummensprache beherrschte. Aber der Hinweis ist