Das Motiv des künstlichen Menschen durchzieht die Filmgeschichte vom Anbeginn bis heute, von frühen deutschen Stummfilmen wie Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam (1920) oder Fritz Langs Metropolis (1926) bis zum Science-Fiction-Film unterschiedlichster Ausprägung wie Blade Runner (1982, Ridley Scott), Edward Scissorhands (Edward mit den Scherenhänden, 1990; Tim Burton) oder A. I. – Artificial Intelligence (2001, Steven Spielberg). Im Horrorgenre hat sich dieses Motiv mit fast fünfzig filmischen Varianten paradigmatisch im Frankenstein-Komplex niedergeschlagen, den Mary Shelley mit ihrem 1818 anonym veröffentlichten Briefroman Frankenstein oder Der moderne Prometheus begründete. Angefangen mit Edisons One-Reel Frankenstein (1910) über die klassischen Frankenstein-Filme der Universal Studios unter der Regie von James Whale bis zu Kenneth Branaghs Mary Shelley’s Frankenstein (1994) ist ihnen allen gemeinsam die Auseinandersetzung mit dem ethischen Problem: Kann und darf der Mensch Leben erschaffen? In dem Zögern, diese zunehmend aktuelle und drängende Frage, die bereits im antiken Prometheus-Mythos enthalten ist, endgültig zu beantworten, wird das Schwanken zwischen lebenserhaltenden und -verbessernden Utopien einerseits und der Furcht vor den Folgen einer sich weiter und weiter entwickelnden Wissenschaft und deren Hybris andererseits deutlich.
James Whales stilbildender Frankenstein (1931) wird eingeleitet durch die Warnung eines Erzählers an Zuschauer mit schwachen Nerven: »It may shock you, it might even horrify you!« Der junge Wissenschaftler Dr. Henry Frankenstein setzt auf einer alten Burg aus menschlichen Leichenteilen einen Körper zusammen. Er hat die Vision, mit Hilfe galvanischen Stroms Leben zu erschaffen. Seine beunruhigte Verlobte Elizabeth will in Begleitung von Professor Waldman nach dem Rechten sehen. Sie treffen gerade im Moment der Schöpfung ein. Nachdem das zum Leben erweckte ›Monster‹ den buckligen Gehilfen Fritz getötet hat, wird es durch eine betäubende Injektion ruhiggestellt. Auf Drängen seines Vaters kehrt Henry Frankenstein auf das elterliche Schloss zurück, um Elizabeth endlich zu heiraten. Der Professor bleibt allein zurück, um die Kreatur einzuschläfern. Doch die wehrt sich, erdrosselt den Professor und flieht. An einem See ertränkt sie ein kleines Mädchen. Eine Hetzjagd auf das ›Monster‹ beginnt, in deren Verlauf das Geschöpf seinen Schöpfer überwältigt und sich mit dem Bewusstlosen in einer Mühle verbarrikadiert. Als die Dorfbewohner das Gebäude zu stürmen drohen, schleudert der Verfolgte Frankensteins ohnmächtigen Körper wütend nach unten. Der Wissenschaftler überlebt den Sturz. Die aufgebrachte Menge zündet mit Fackeln die Mühle an. Das Geschöpf – so glaubt man wenigstens bis zu Whales Fortsetzung The Bride of Frankenstein (Frankensteins Braut, 1935) – kommt in den Flammen um.
Expressionistische Licht- und Schattenspiele und abgründige Schauplätze sorgen ganz in der Tradition der Gothic Novel und ihrer charakteristischen Schreckenslust für eine dichte Atmosphäre des Unheimlichen. Die fast zwölfminütige Schöpfungssequenz wird mit Blitz und Donner, mit riesenhaften, metallenen Apparaturen, deren gigantische Ausmaße außergewöhnliche Perspektiven wie Auf- oder Untersicht zusätzlich betonen, und mit pyrotechnischen Spezialeffekten (Kenneth Strickfaden) als ›technischer Tusch‹ inszeniert. Für Jack Pierces berühmt gewordene Monster-Maske musste sich der damals 45-jährige Boris Karloff regelmäßig einer dreistündigen Makeup-Tortur unterziehen: Der hohe, kantige Teil des Schädels wurde durch dünne Baumwollschichten modelliert, in mehreren Schichten aufgetragenes Wachs ließ die Augenlider schwer herunterhängen, Drahtklammern an den Lippen wölbten die Mundwinkel nach unten, die Bolzen wurden am Hals aufgeklebt. Einer der Höhepunkte dieses Klassikers des Horrorfilms ist der Moment, da man in schaudernder Erwartung die aus Leichenteilen zusammengesetzte Kreatur zum ersten Mal in ihrer Ganzheit erblickt: Zunächst sind nur schleppende Schritte zu hören, dann wird die Tür des Labors aufgestoßen und der Umriss einer übergroßen Gestalt sichtbar. Das massige Gewicht behäbig von einem Fuß auf den anderen verlagernd – spätere Zombiefilme werden auf diese seelenlose Mechanik des Körpers rekurrieren –, betritt sie rückwärts den Raum. Langsam und steif wendet sie sich der Kamera und dem Licht zu: Ihr starres Gesicht wirkt leblos und maskenhaft. Ist dieses Wesen, das wie eine Leiche aussieht, lebendig? Und: Ist es menschlich, gut oder böse? Whales Film lebt von dieser Inszenierung des Ungewissen. Zu seinen Stärken gehört, dass er dieses Angst einflößende, unberechenbare Geschöpf mit den prometheischen Kräften immer wieder auch in seiner Menschlichkeit zeigt, etwa wenn es zum ersten Mal dem Tageslicht ausgesetzt ist. Sehnend streckt es seine Hände in die Sonne, als wolle es die Wärme verheißenden Strahlen fassen, und streckt sie dann seinem Schöpfer entgegen, die Handflächen nach oben weisend: in der christlichen Ikonographie die traditionelle Haltung des orans, Verkörperung des Gebets und des Bittens. Wiederholt wird sein Bedürfnis nach Wärme und Zuneigung erkennbar, doch stattdessen erleidet es Unrecht und Gemeinheiten. Noch deutlicher wird dies in dem Sequel Frankensteins Braut. Obwohl Whale die Horrorelemente mit einem ironischen Augenzwinkern versieht, wird zugleich die schmerzliche Abweisung noch potenziert: Die von Elsa Lanchester gespielte, eigens auf Verlangen des ›Monsters‹ geschaffene Braut weicht mit einem Aufschrei des Entsetzens vor ihm zurück. In beiden Filmen wird das von Natur aus gutmütige, fremdartige Geschöpf allmählich in eine Gewaltspirale aus Frustration und Notwehr gedrängt. Der Horrorfilm entpuppt sich als gesellschaftskritische Parabel, als Tragödie eines Ausgestoßenen. Nur ein blinder Mann, der das ›Monster‹ nicht nach seinem Äußeren beurteilen kann, stellt in anrührenden Szenen dessen Menschenwürde nicht in Frage.
Augenfällig bei der Rezeption der Frankenstein-Verfilmungen ist, dass der Schwerpunkt eher auf dem ›Monster‹ und weniger auf dem namensgebenden Forscher liegt. Denn sowohl die Faszination für das personifizierte Deviante als auch die grundlegende Frage nach der Definition dessen, was menschliches Leben ausmacht, lassen sich am künstlich erschaffenen Körper eindrücklich visualisieren und emotionalisieren.
Der Forscher selbst steht – gemeinsam mit der Titelfigur aus Rouben Mamoulians Filmversion Dr. Jekyll and Mr. Hyde nach Robert L. Stevenson, die nicht zufällig im gleichen Jahr entstand – in der Ahnenkette ›verrückter Wissenschaftler‹, die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in das literarische Gruselkabinett eingereiht haben, im selben Maße, wie sich im Zuge der industriellen Revolution Fortschrittsutopien entwickelten. Mit ihnen wird der Prototyp des ›Mad Scientist‹, der in seinem fanatischen Glauben an den Fortschritt nicht erkennt, welches Unheil er anrichtet, auch im Film etabliert.
Inzwischen haben sich das Frankenstein-Motiv und mit ihm das Monster als dessen ikonographischer Ausdruck zu einem Populärmythos entwickelt. Karloffs legendäre Verkörperung verselbständigte sich als Typus in etlichen nachfolgenden Filmen von Remakes über Parodien bis hin zu Werbespots für PKWs. Als Halloween-Verkleidung, Comicstrip oder Werbeträger geistern die Reinkarnationen des künstlich erschaffenen Wesens durch unsere Alltagskultur, geradezu eine ironische Wendung der Überwindung des Todes, die Frankenstein mit seiner Schöpfung anstrebte. Immer neue Varianten werden kreiert für immer neue Verfilmungen. Meist bleibt dabei die differenzierte Sichtweise von Whales Filmen auf der Strecke, wie schon bei der letzten Version mit Karloff Son of Frankenstein (Frankensteins Sohn, 1939; Rowland V. Lee) oder in der erfolgreichen Hammer-Produktion The Curse of Frankenstein (Frankensteins Fluch, 1957; Terence Fisher) mit Christopher Lee als Ungeheuer und Peter Cushing als Baron. Im Unterschied zur Universal-Fassung dient das Monster mit seinen säureverbrannten Hautfetzen und dicken Narben nur der Erzeugung von Schockmomenten und stellt eine unzähmbare Bedrohung dar, seine Gewaltausbrüche sind unmotiviert, überraschend und inkonsequent.
Seit den sechziger Jahren finden auch parodistische Ansätze Verbreitung: In der Fernsehserie The Munsters, 1964–66 wöchentlich ausgestrahlt, ähneln die Mitglieder einer Familie verschiedenen Horrorfiguren, und der Vater Herrmann gleicht Karloffs Monster, was die alltäglichen Probleme verstärkt und ins Komische verschiebt, nicht zuletzt weil die Familie sich und ihr Verhalten selbst als völlig normal empfindet. Mel Brooks’ Schwarzweiß-Parodie Frankenstein junior (1974) bezieht sich nicht nur atmosphärisch auf die beiden Whale-Filme. Kenneth Strickfaden ist wie schon im ›Ur-Frankenstein‹ für die Effekte zuständig, wiederholt sie zum Teil sogar mit Original-Requisiten. Den Gegensatz des schmächtigen Schöpfers