Die Grump-Affäre. Robert Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Wagner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991312611
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nahm die Liste wieder an sich. „Ja, Mister President, das wird Ihr Kabinett sein und das Executive Office. Es freut mich, dass wir hier nicht diskutieren müssen, wir haben für Ihre designierten Kandidaten eine jeweils passende Story, und glauben Sie mir, wenn ich sage, das wird eine schlagkräftige Regierung, die Amerika wirklich ‚wieder groß‘ machen wird! Die Ernennungsurkunden sind schon in der Erstellung, wir werden die Kandidatenliste zur Abstimmung dem Senat zuleiten.“

      Damit verließ Steve das Oval Office und ließ den Präsidenten allein an seinem Schreibtisch zurück. Die Papiere hatte er wieder eingesteckt. Alles musste vernichtet werden. Ronald hatte darauf bestanden, einige Dokumente, die vertraulich waren und die nur Steve und ihn betrafen, auf USB-Stick zu erhalten. Steve war dagegen, aus Sicherheitsbedenken. Ronald ließ nicht mit sich reden, er wollte auf geheime Dokumente zugreifen können, wenn er abends im Bett lag, fernsah und nebenbei an seinem Laptop arbeitete. Steve kopierte dann immer die letzten Anweisungen von „Medusa“ auf einen extra gesicherten Stick, den ihm sein Auftraggeber hatte zukommen lassen.

      „Sie hatten sich also gemeldet“, dachte Ronald. Nach Jahren der Funkstille waren die Männer aus dem Dunkel zurückgekehrt und forderten nun die Gefälligkeiten ein, die vor Jahren angekündigt worden waren. Er wusste nicht, wie viele Forderungen sie noch stellen würden, das wurde nicht verhandelt. Bislang konnte er gut damit leben. Ein paar Posten, die von Leuten besetzt wurden, die er nicht kannte. Kein Problem, solange er die Macht hatte, alles und jeden wieder zu ersetzen. Vielleicht sollte er die CIA oder das FBI auf die Typen ansetzen, dachte er kurz, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder, als er an die Liste dachte, auf der er auch irgendwo CIA gelesen hatte. Diese Organisation hatte ihre Leute überall platziert. Er war umgeben von Aufpassern. Ja, er war der Präsident, aber die Menschen um ihn herum gehörten fast alle zu „Medusa“. Er musste auf der Hut sein.

      Die einzigen Menschen, denen er wirklich vorbehaltlos vertrauen konnte, waren Mitglieder seiner Familie, und nur seiner Familie. Seine Tochter, die bildhübsch war und so klug. Ihr Ehemann, dem er zwei Mal aus der Patsche geholfen hatte, als seine Geschäfte wirklich schlecht liefen. Sein Sohn und natürlich dessen Frau, das waren die Menschen, denen er vorbehaltlos vertraute. Sie glaubten an ihn und an seine Mission. ‚Blut ist dicker als Wasser‘ war einer der Lieblingssprüche seines Vaters, den er über alles verehrt hatte. Ein Mann, der wusste, was er wollte und wie man es bekam. Ein Macher. Von ihm hatte er alles gelernt, auch, dass es keine Niederlagen gibt für einen Grump. Die Geschichte musste in solch einem Fall nur anders erzählt werden. Am Anfang hatte seine Familie ihn für verrückt erklärt, aber als es dann losging, hatten sie ihn vorbehaltlos unterstützt. So musste es sein.

      Er ging zum Sofa und nahm sich ein Sandwich, das sichtlich nur für den Präsidenten bestimmt war. Er musste schmunzeln. „Viel zu viel Grünzeug“, dachte er und wünschte sich einen großen, fettigen Burger.

      Mit dem Koch würde er reden müssen.

      der Zorn, New York, Sommer 2015

      John nahm das Handy ans Ohr, als es vibrierte. Marco war in der Leitung. Er hatte sich bei seinen Leuten umgehört. „John, wo bist du? Hier kennt keiner so einen Mann, auf den die Beschreibung passen würde, niemand weiß etwas von einer Entführung. Sie hätten mir gegenüber eine Andeutung gemacht, wenn es jemand von hier gewesen wäre. Also eine Sackgasse.“

      John ließ die Worte auf sich wirken, er fühlte sich leer und ausgebrannt, die Hoffnung, über die Kontakte von Marco an die Leute heranzukommen, war das Einzige, was ihm ein wenig Halt gegeben hatte. Er hatte keinen Ansatzpunkt mehr, keine Idee, und ihm wurde klar, dass er entweder weiter warten musste oder etwas weitaus Schlimmeres passiert war. Wut stieg in ihm auf. Hilflosigkeit.

      „Ich komme zu dir“, sagte John und legte auf.

      Auf dem Heimweg dachte er an Emma. Sie war eine großartige Frau, selbstständig, Architektin, und ständig mit neuen Ideen, was und wie man etwas zu Hause verändern sollte, wen man unbedingt mal wieder einladen müsste. Und wohin man unbedingt als Nächstes verreisen müsste. Ihr geschultes Auge hatte ständig etwas gefunden, über das sie sich freuen konnte, eine Biene auf einer Blüte, einen Sonnenstrahl, der sich im Fenster brach und Spiegelungen erzeugte. All das liebte er so an ihr, sie hatte ihn für diese Art, die Welt zu betrachten, empfindsam gemacht. Dinge, die er früher nicht einmal wahrgenommen hatte, waren für ihn mit einem Mal spannend und interessant, und er begann, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Sie waren nun schon seit über zwölf Jahren ein Paar, und obwohl sich ihre Lebenswege schon mehrfach gekreuzt hatten, waren sie erst mit Ende 30 ein Paar geworden. Er liebte sie und konnte sich ein Leben ohne sie überhaupt nicht mehr vorstellen. Ihr Lachen im Haus war allgegenwärtig gewesen, es herrschte immer Trubel, und Freunde gingen ein und aus. Sie waren definitiv das soziale Zentrum der Gegend, und eine Einladung bei den Brockmanns war für die meisten wie eine Einladung zum Dinner beim Präsidenten: Lustig, kurzweilig, unterhaltsam, meist informativ, und man traf viele Gleichgesinnte. Es wurde viel getrunken, die Männer standen im Garten und rauchten, und die Kinder spielten Fangen oder Verstecken.

      Als John aufsah, merkte er, dass er schon wieder kurz vor Marcos Haus angekommen war, die Gedanken an seine Frau und seinen Sohn hatten ihn völlig die Zeit vergessen lassen.

      Als John durch das Gartentor gehen wollte, hörte er, wie ein Streifenwagen mit hoher Geschwindigkeit die Straße entlanggerauscht kam und mit quietschenden Reifen vor dem Haus anhielt. Ein junger Polizist sprang aus dem Wagen und ging auf John zu.

      „Entschuldigen Sie, sind Sie John Brockmann?“

      „Ja“, antwortete John, „was kann ich für Sie tun?“

      „Sie können einsteigen und mich auf das Revier begleiten. Wir haben Neuigkeiten!“

      John stieg in den Wagen ein und rief noch schnell Marco an, um ihm Bescheid zu geben.

      Auf dem Revier herrschte hektisches Treiben. Überall klingelten Telefone. Beamte rannten hin und her, es wimmelte wie in einem Bienenstock. John wurde von dem Polizisten in einen weiß getünchten Raum mit einem Tisch und vier Stühlen begleitet, in der Wand an der Stirnseite war der typische einseitige Spiegel eingelassen. An jeder Ecke der Decke war eine Kamera montiert, und der rote Punkt signalisierte John, dass aufgezeichnet wurde.

      Als die Tür sich öffnete, kam ein uniformierter Polizist herein und stellte seinen Kaffeebecher vor ihm auf den Tisch.

      „John Brockmann?“, fragte er. „Inspector Tenner von der Mordkommission.“

      Bei John zog sich sofort der Magen zusammen. Mordkommission, hatte er das richtig gehört?

      „Wir müssen ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen, wir haben heute Morgen in einem verlassenen Haus in Queens die Leichen einer Frau und eines Kindes aufgefunden. Wir vermuten, dass es sich um Ihre Frau und Ihr Kind handelt.“

      Der Raum begann sich um John zu drehen. Alles verschwamm um ihn herum.

      „Mister Brockmann? Haben Sie verstanden, was ich gerade gesagt habe?“

      „Ja, ja“, antwortete John fahrig.

      „Ich muss Sie das jetzt fragen, John, hatten Sie Streit, oder können Sie sich erklären, was hier vorgefallen ist?“

      John verstand die Frage nicht. Als er langsam wieder zu sich kam und die Tragweite der Frage verstand, stiegen Wut und Entsetzen in ihm auf.

      „Sie, Sie glauben tatsächlich, dass ich etwas damit zu tun habe? Ich habe meine Frau und meinen Sohn geliebt. Sie waren alles, was ich noch auf dieser Welt hatte, und sie waren der Inhalt meines Lebens, der Grund, warum ich am Leben bin! Um auf Ihre Frage zu antworten: Nein, wir hatten keinen Streit! Es gab allerdings schon einige sehr eigenartige Dinge, die in letzter Zeit vorgefallen sind.“ Die Tränen begannen John die Wangen hinabzulaufen, er konnte sie einfach nicht länger unterdrücken. Stockend und immer wieder von Aussetzern begleitet, wenn die Bilder von seiner Familie in ihm hochkamen, erzählte er detailliert, was sich mit dem Italiener zugetragen hatte, den er nur als Gianluca kannte, und was seither geschehen war.

      Inspector Tenner machte sich Notizen und nickte immer wieder mit dem Kopf.