Wasserstaub. Bianca Kos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bianca Kos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783701362950
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Wallfahrtskirche „Zu Unserer Lieben Frau“, oder man setzt sich in einen städtischen Autobus und ächzt und stöhnt mit diesem die Serpentinenstraße bergan. Der öffentliche Verkehr muss die Schinderei auf sich nehmen, ständig von Meereshöhe auf diverse Hügel hinauf- und wieder hinunterzurattern. Ausgenommen davon sind die Busse der Linie eins, die ein vergleichbar lockeres Leben führen, da ihre einzige Aufgabe darin besteht, an der Küste hinund herzupromenieren. Sie haben ständig eine sanfte Brise um die Nase und pfeifen beim Fahren ein fröhliches Lied.

      Vedrana habe ich durch Nela kennengelernt. Durch Vedrana habe ich Sre´cko kennengelernt, durch Sre´cko Jasna, durch Jasna Josipa, durch Josipa Tito, durch Tito Jovanka und durch Jovanka Ema. Vielleicht bringe ich alle schon etwas durcheinander, denn Ema habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, im Bridgeklub kennengelernt. Jeden Dienstagabend gehe ich in ein schmales, dunkles Seitengässchen namens Ulica Blaža Poli´ca, steige durch den Lieferanteneingang eines ehemaligen Grand Hotels in den dritten Stock, setze mich im Klubraum an einen Spieltisch, nicke meinen Spielgegnern freundlich zu, versuche, die Karten ordentlich zu sortieren und fest in der Hand zu halten. Die nächste Aufgabe ist, mein Gegenüber, mit dem ich gemäß den Spielregeln verbündet bin, nicht unnötig zu verärgern. Bridge ist ein Kampfsport, fast alle Spieler sind Veteranen aus diversen Weltund Heimatkriegen, sie kämpfen bis auf den letzten Blutstropfen für einen Sieg nach Prozentpunkten. Meine Spielpartnerin ist Ema, sie ist kein Kriegsheld, in der weiblichen Form gibt es das hier ohnehin nicht. Da wir uns dauernd verkalkulieren und unsere Strategien erbärmlich sind, werden wir von unseren Gegnern gnadenlos in der Luft zerrissen. Das Endergebnis ist für uns katastrophal, was uns nicht hindert, beim nächsten Turnier unverdrossen wieder dabei zu sein.

      Ich bin stolz auf die Bekanntschaft mit Vedrana, denn sie ist eine berühmte Schriftstellerin. Ich erzähle ihr, wie begeistert ich täglich die Zeitung lese, worauf sie mitleidig lächelt. „Zeitungen lesen wir schon längst keine mehr“, sagt sie. „Hier liest niemand mehr eine Zeitung.“ Ich bin wieder einmal ziemlich perplex. „In den Zeitungen steht nur Mist“, erklärt sie. „Alles nicht wahr.“ Das überrascht mich noch mehr. Später google ich Vedrana. In den goldenen Siebzigerjahren arbeitete sie unter anderem als Lehrerin, Fremdenführerin sowie als Journalistin bei der Novi list und als Moderatorin beim Radio Rijeka. Dort wurde sie gefeuert, nachdem sie den Staatspräsidenten kritisiert hatte. In den goldenen Achtzigerjahren schrieb sie für die Feral Tribune, die schon drei Jahre nach ihrer Gründung zur besten satirischen Zeitung der Welt gewählt wurde. Das passte aber wiederum dem damaligen Staatspräsidenten Tuđman nicht in den Kram, was prompt zur Liquidierung des Magazins führte. Daraufhin wechselte Vedrana zur Nacional, der auflagenstärksten Zeitschrift in Kroatien. Dort wurde sie fristlos entlassen, weil sie die katholische Kirche in Kroatien eine kriminelle Organisation genannt hatte. Danach hat man ihr weitere Auftritte im Fernsehen verweigert, weil sie und ihr Mann in einen Immobilienskandal verwickelt waren. Zumindest behauptete dies die Novi list, welche aus mir nicht bekannten Gründen nicht mehr gut auf die beiden zu sprechen war. Seit einigen Jahren schreibt Vedrana einen wöchentlichen Blog, der von rund zweihunderttausend Followern gelesen wird, und ich bin nun am Überlegen, ob ich statt Kolumnistin nicht lieber Bloggerin werden sollte.

      Mein Hauptproblem ist: Ich habe wenig Zeit. Ich verbringe viele Stunden mit der Serie The Paper und fiebere von einer Folge zur nächsten. In meiner Wohnung riecht es penetrant nach Zigarettenrauch, ich selbst bin Nichtraucherin. Vielleicht kommt der Geruch aus der Nachbarwohnung, wahrscheinlich aber qualmen die grauen Schwaden direkt aus dem Bildschirm. Es vergeht keine Filmminute ohne überquellende Aschenbecher und ohne am Glimmstengel paffende Journalisten, Politiker und Verbrecher. Und wenn es mit dem Alkoholkonsum so weitergeht wie bisher, werden demnächst sämtliche Darsteller eine Entziehungskur brauchen. Übrigens hat laut Drehbuch einer der Bösewichte sein Geld mit einer Müllentsorgungsfirma verdient. Ich persönlich bin mit dem Abfallsystem in dieser Stadt nicht unzufrieden. Ich finde sogar, dass sich die Verantwortlichen nach Kräften bemühen, die Bürger zur Mülltrennung und zum Recycling zu animieren. Letzte Woche konnte man Theaterkarten gewinnen, falls man Sperrmüll zur Altstoffsammelstelle brachte. Um nennenswerten Sperrmüll zu haben, lebe ich noch nicht lange genug in dieser Stadt. Der Schaden hält sich aber in Grenzen, denn am nächsten Tag wurde gemeldet, dass das verfügbare Kontingent an Sperrmüll-Theaterkarten bereits nach einer Stunde ausgeschöpft war.

      Die Abteilung für Natur- und Raumschutz hat sich zum Zwecke der Rettung der Stadt sogar mit dem Vereinsobmann sowie den Fans der Armada angelegt. Diese haben auf einer heruntergekommenen Ufermauer ein Graffiti angebracht und sind nun empört, weil sie es aufgrund des Naturschutzgesetzes, welches Graffitis auf halb verfallenen Mauern verbietet, wieder entfernen müssen. Wenn man dies erlauben würde, argumentiert der Naturschutzbeirat, würde Rijeka bald aussehen wie eine Mischung aus Harlem und Pjöngjang. Ich finde, diese Beschreibung passt schon jetzt ganz ausgezeichnet. Natürlich schreitet die Novi list rasch ein, schickt einen Reporter an diese Front und berichtet aufgeregt über das Scharmützel. Der Vereinsobmann der Armada kündigt an, sich auf keinen Fall an das Verbot zu halten und das Graffitiwerk unter allen Umständen dort zu belassen. Da ungefähr fünfzigtausend Anhänger der Armada geschlossen hinter ihm stehen, geht die Sache zwischen Naturschützern und Fußballfans in einen Stellungskrieg über.

      Nach dem vierten Prosecco verabschiede ich mich von Vedrana und vom hübschen Café Monte Cristo, wanke die vielen Stufen den Hügel hinunter bis zum Toten Kanal, dessen Anblick doch um einiges romantischer ist, als man aufgrund seiner Benennung vermuten könnte. Mit wackeligen Knien betrete ich einen Tabak- und Zeitschriftenladen. Die Schlagzeilen sind heute besonders groß und fett gedruckt: Gefahr Fußball! Klingt vielversprechend, auch das Bild ist attraktiv, es zeigt ein paar zerkratzte Schädel und darunter eine Blutlache. Ich greife rasch zu, überfliege die ersten Zeilen und erfahre, dass gestern, während ich zu Hause gemütlich den Journalisten beim Kettenrauchen und Schnapstrinken zugeschaut habe, anlässlich eines Freundschaftsspiels die Armada-Fans aus Rijeka die Torcida-Fans aus Split mit Bierflaschen beworfen haben. Aus Gründen der Sicherheit für alle Beteiligten ist der ganze Stadtteil sofort gesperrt worden und die Fußballspieler wurden unter Polizeischutz in ihre Unterkunft gebracht. Ich muss aber allein nach Hause gehen.

      Ich marschiere Richtung Westen, wobei ich viele Straßen und Plätze mit Namen von Helden und Heimatverteidigern, von Päpsten, Präsidenten, Poeten, Partisanen, Königen, Komponisten und Kommunisten überquere, bis ich zu einer riesigen Baustelle komme, die sich fast über ein ganzes Stadtviertel erstreckt und in einer Seitenstraße endet. Sie heißt Nikola-Tesla-Gasse. Sie ist nach dem weltberühmten Erfinder des Energietransportes benannt, obwohl er angeblich gar nicht wusste, woher diese Energie kam. Das Ungemach droht aber aus einer ganz anderen Ecke: Nikola Tesla ist nach Amerika ausgewandert und wurde amerikanischer Staatsbürger. Nun sei Eile geboten, mahnen besorgte Kolumnisten, denn man habe gehört, dass die Amerikaner planen, sein Porträt auf eine Dollarnote zu setzen. Falls die Amis schneller sein sollten, könne man sich den Tesla-Kopf auf der zukünftigen kroatischen Euro-Münze an den Hut stecken. Nachdem nun noch zusätzlich Rumänien und Albanien ihren Anspruch auf Nikola Tesla angemeldet haben, hat sich auch Österreich zu Wort gemeldet. Der Fall sei ganz klar, sein Geburtsort gehörte damals zur österreichischen Monarchie und somit sei Tesla selbstverständlich – ein Österreicher!

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