Das nationale Kompetenzzentrum éducation 21 beschreibt für BNE zudem spezifischere Ziele, etwa zu Umweltbildung: «Im Zentrum zeitgemässer Umweltbildung stehen die Förderung der Handlungsbereitschaft und die Befähigung des Menschen zum respektvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen im Spannungsfeld von individuellen und gesellschaftlichen sowie ökonomischen und ökologischen Interessen.»[15] Auch Globales Lernen ist ein wichtiger Teil der BNE und beinhaltet «die Orientierung in der Weltgesellschaft und die Auseinandersetzung mit globalen Herausforderungen». Und weiter: «Globales Lernen will verstehbar machen, dass unser Alltag von weltweiten Zusammenhängen und Machtbeziehungen geprägt ist. Dazu gehört auch die Vergegenwärtigung einschränkender eigener Konzepte sowie die Auseinandersetzung mit Stereotypen und Vorurteilen. Globales Lernen orientiert sich am Wert der sozialen Gerechtigkeit sowie an der Leitidee einer Nachhaltigen Entwicklung.»[16] Für unser Buch heisst das, dass wir Hauswirtschaftsthemen und Konsumfragen global ausgerichtet und mit dem Ziel auf eine möglichst nachhaltige eigene Verhaltensweise verstehen.
Lebenslanges Lernen
Auch wenn sich das Verständnis von lebenslangem Lernen oft im engeren Sinne an einer möglichst optimalen Teilhabe am Arbeitsmarkt orientiert, finden wir die dahinterliegenden Grundsätze wichtig. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation beschreibt das Konzept so: «Das lebenslange Lernen umfasst sämtliche Lernformen, die im ganzen Leben genutzt werden, um das eigene Wissen zu stärken und Kompetenzen zu erweitern.»[17] Weiter wird spezifiziert: «Die Beherrschung der Grundkompetenzen bildet eine unabdingbare Voraussetzung für lebenslanges Lernen und die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.»[18] Mit Blick auf die Klient*innen in stationären und teilstationären sozialpädagogisch-agogischen Einrichtungen sind beide Aussagen gleichermassen von Bedeutung: einerseits, dass sich Lernen nicht auf formale Lernformen wie Schulbildung beschränkt, in jeder Lebensphase stattfindet und sich am Kompetenzerwerb orientiert; andererseits, dass das Beherrschen gewisser Grundkompetenzen – und dazu gehört heute beispielsweise auch der Umgang mit digitalen Medien im Alltag – eine Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe ist. In Bezug auf Menschen mit einer Beeinträchtigung ist elementar, dass ihnen das Entwicklungspotenzial zum Lernen nicht abgesprochen wird. Aufgrund der Differenz von Lebens- und Entwicklungsalter ist es gut möglich, dass gewisse Lernschritte wie zum Beispiel Geld zählen lernen erst im Erwachsenenalter erfolgen, andere vermeintlich komplexere Lernschritte im Regelbereich hingegen schon im frühen Schulalter bewältigt werden können.
Begrifflichkeiten in diesem Buch
Begriffsdefinitionen[19]
Kenntnisse bezeichnen die Gesamtheit der Fakten, Grundsätze, Theorien und Praxis in einem Arbeits- oder Lernbereich.
Fertigkeiten umfassen die Fähigkeit, Kenntnisse anzuwenden und Know-how einzusetzen, um Aufgaben auszuführen und Probleme zu lösen. Dazu gehören kognitive Fertigkeiten (logisches, intuitives und kreatives Denken) und praktische Fertigkeiten (Geschicklichkeit und Verwendung von Methoden, Materialien, Werkzeugen und Instrumenten).
Kompetenz ist die nachgewiesene Fähigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und/oder persönliche Entwicklung zu nutzen.
Was wir unter Lernschwierigkeiten verstehen
Analog der Grundhaltung des Modells der funktionalen Gesundheit[20] gehen wir von der Prämisse aus, dass die ganzheitliche Lebens- und Entwicklungssituation einer Person bei der Frage der Kompetenzförderung auch die Umweltfaktoren mit ihren Ressourcen und Barrieren miteinschliesst. Lernschwierigkeiten verstehen wir demnach als Ausgangslage mit einem spezifischen Förderbedarf, schwerpunktmässig in den Bereichen Kognition sowie soziale und emotionale Kompetenz. Die Bereiche der Motorik und Sensorik spielen immer auch eine Rolle. Der spezifische Förderbedarf für Menschen mit Sinnesbehinderungen oder motorischen Einschränkungen ist nicht Teil unserer Ausführungen. Das Buch kann zwar auch für diesen Bereich Inputs liefern, wir verweisen hier aber auf bestehende Literatur aus dem heilpädagogischen Bereich.
Wie wir mit den Begriffen Andragogik, Sozialpädagogik, Agogik umgehen
Wir sprechen im vorliegenden Buch meist von «Sozialpädagogik» und beziehen uns damit auf das weite Berufsfeld von Sozialpädagog*innen, das Klient*innen aller Altersklassen einbezieht. Für die bessere Lesbarkeit haben wir darauf verzichtet, konsequent den Doppelbegriff «Sozialpädagogik-Andragogik» zu verwenden. Der Vollständigkeit halber möchten wir aber hier dennoch einen Überblick über die verschiedenen Begrifflichkeiten geben:[21]
Agogik: Überbegriff für alle Lernprozesse mit professioneller Begleitung, der Begriff umfasst alle Altersstufen.
Andragogik: wird im Zusammenhang mit Lernprozesse von Erwachsenen verwendet, laut Duden ist die wörtliche Bedeutung «Wissenschaft der Erwachsenenbildung».
Pädagogik: wird im Kontext von Lernprozesse von Kindern gebraucht, sowohl die Ebene der Bildung als auch die Ebene der Erziehung werden dabei berücksichtigt.
In der Praxis werden die Begriffe nicht immer konsequent verwendet. Häufig wird auch im Bereich von Erwachsenen von Pädagogik gesprochen und auch die Literatur ist hier nicht immer stringent.
Was wir unter echten Lernchancen verstehen
Wir meinen mit echten Lernchancen professionell gestaltete, an die jeweilige Lebenswelt und Ressourcenvoraussetzung angepasste und sinnvoll sequenzierte Lernsituation für Klient*innen, mit dem Ziel der Förderung von Selbstwirksamkeit im Bereich Alltagskompetenzen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass wir mit dem vorliegenden Buch an ein zeitgemässes Bildungsverständnis anschliessen und eine Theorie-Praxis-Relation wichtiger Inhalte des LP21 zu «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt (mit Hauswirtschaft)» sowie zu «Medien und Informatik» als Querschnittsthema im Kontext von stationären und teilstationären sozialpädagogisch-agogischen Institutionen leisten. Es gibt daneben im LP21 viele überfachliche Kompetenzen, die auch im Kontext der sozialpädagogischen und agogischen Arbeit wichtig sind. Wir fokussieren auf die Selbststeuerungskompetenz, da diese zentral in alle Themenbereiche des Buches hineinspielt. Wir sind überzeugt, dass jede*r Klient*in in jeder Lebensphase lernfähig ist und ein Anrecht auf angemessene Förderung hat. Wichtig ist dabei, dass sowohl Lerninhalte wie Lernziele, Lernmethoden und Hilfsmittel der jeweiligen Situation der Lernenden angepasst werden. Ausgangs- und Ankerpunkt sind bei allen Klient*innen deren Lebenswelten, also ihr individueller Umgang mit Lebenslagen, verbunden mit den subjektiven Erfahrungen und Überzeugungen. Deshalb befasst sich der Hauptteil dieses Buches auch damit, wie eine angemessene pädagogische Umsetzung der Lerninhalte mit Blick auf die Klient*innen lebensweltorientiert angepackt und in den Institutionsalltag integriert werden kann.
3. Lebensweltorientierung im Kontext von Hauswirtschaft
Die lebensweltorientierte Perspektive, begründet durch Hans Thiersch, ist in der sozialpädagogischen Arbeit weitverbreitet und ein wichtiger theoretischer Zugang. Ziel der lebensweltorientierten Arbeit ist es, die Klient*innen bei der Gestaltung eines gelingenderen Alltags zu unterstützen. Darunter wird verstanden, dass die Klient*innen in der Lage sind, ihr Leben mit all seinen täglichen Herausforderungen so zu bewältigen, dass sie selbst zufrieden sind, aber auch so, dass sie im Kontext der jeweiligen Gesellschaft bestehen können. Ressourcen im institutionellen Rahmen sollen so eingesetzt werden, dass die Klient*innen auch in Institutionen ein Leben in grösstmöglicher Selbstständigkeit und «Normalität» führen können. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Alltagskontexte individuell pädagogisch-agogisch gestaltet werden. Die angestrebte Selbstständigkeit kann man auch als Handlungsfähigkeit bezeichnen. Im Alltag handlungsfähig zu sein, geht einher mit der Erlangung von Selbstwert, Anerkennung und Selbstwirksamkeit.