Der größte Horror überhaupt
Glaub mir, du weißt insgeheim genau, wovon ich spreche, denn du kennst dieses blöde Teil nur allzu gut und hast vielleicht auch schon die ein oder andere Träne dabei vergossen. Der Gang zur Waage. Dieser kurze Moment, bis die Zahl erscheint und du dir erneut einen Schlag ins Gesicht abholen musst. Hiermit ist jetzt ein für alle Mal Schluss. Die Waage ist ab sofort kein Horrorgegenstand mehr und ab sofort wirst du dich auch nicht mehr fühlen, als wärst du auf dem Weg zu deinem Henker. Brechen wir mal runter, was eine Waage tatsächlich ist. Es ist ein Gerät aus Kunststoff oder Glas, das mit Batterie betrieben wird. Es ist somit ein Gegenstand, wie zum Beispiel eine Wanduhr. Das Einzige, was eine Waage zu diesem Horror macht, sind deine Gefühle. Also wenn es deine Gefühle sind, die du gegenüber diesem Gegenstand hast, die ihn zu einem grusligen Ding machen, ist das Ding an und für sich nichts Schlechtes. Es ist einfach, was es ist. Wir benötigen es, um Lebensmittel, Gegenstände und auch uns selbst zu wiegen. Ja, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich zum Metzger gehe und zehn Deka Wurst möchte, bin ich ihm ja auch zu Dank verpflichtet, wenn er dies nicht Daumen mal Pi macht. Wenn ich ein neues Kuchenrezept ausprobiere, werde ich die Zutaten auch abwiegen, um das Resultat zu erhalten, das ich möchte, und nicht einfach alles in eine Schüssel werfen, in der Hoffnung, dass etwas Essbares dabei herauskommt. Eine Waage ist somit lediglich ein Hilfsmittel, welches uns zur Unterstützung dienen soll. Rein theoretisch könntest du, anstatt dich auf eine Waage zu stellen, einmal die Woche versuchen, dich in eine derzeit noch zu enge Hose reinzuquetschen, um zu sehen, wie weit du noch von deiner Traumfigur entfernt bist. Eine Waage ist lediglich ehrlich und zeigt uns den derzeitigen Ist-Zustand. Wo wir wieder beim Thema Ehrlichkeit sind. Damit du diesem Gerät nicht die Macht über dich gibst, werden wir es bei dieser „Diät“ lediglich einmal die Woche verwenden. Einmal die Woche ist mehr als ausreichend, und damit du dich nicht selbst faken kannst, wirst du dies immer am selben Tag machen, und immer entweder morgens oder abends. Hierbei möchte ich noch eines der Ich-bescheiß-mich-mal-selbst-Themen ansprechen, den Gang zur Toilette. Wenn du an diesem Tag noch nicht auf dem WC warst, und ich spreche hier nicht vom kleinen Geschäft, könnte dies bereits ein kleiner Ich-fake-mich-selbst-Versuch sein, und glaube mir, du wirst jedes Gramm als Erfolg zu verbuchen versuchen. Um diesem blöden Spiel einen Riegel vorzuschieben, wirst du dich immer zur selben Zeit auf die Waage stellen. Ich persönlich bevorzugte den Abend, kurz bevor ich ins Bett ging. Ich hatte gegessen, was ich gegessen hatte, und würde außer in mein gemütliches Bettchen zu fallen nichts mehr tun. Fake-Variante Klappe die Zweite ist auch so eine Sache, speziell im Winter. Stell dich lediglich in Unterwäsche auf die Waage. Warum? Na ganz einfach, wenn du in Sommer- oder Winterklamotten auf dem neu gewonnen Freund stehst, wird das sehr wohl einen Unterschied machen. Ein leichtes T-Shirt im Sommer oder ein Kuschelpullover im Winter sind ganz klar zwei paar Schuhe. Fake-Variante Klappe die Dritte. Wenn du dich für abends entscheidest, und das vielleicht noch mit der Variante gleich nach dem Duschen, bescheiß dich nicht selbst, indem du es einmal mit nassen und beim nächsten Mal mit trockenen Haaren machst. Die Haare werden immer trocken sein. Du wirst dir jetzt vielleicht denken, was hat denn die Alte für einen Knall, man kann es auch echt übertreiben. Ob ich am Klo war, welche Klamotten ich anhabe oder ob ich nasse Haare beim Wiegen habe, ist doch scheißegal. Es wird der Moment kommen, an dem es nicht mehr scheißegal ist. Der Moment, in dem du die ersten Kilos runter hast und es darum geht, die erste magische Zahl zu unterschreiten. Bei mir war es zum Beispiel von 79,8 auf die magische 74,9. Es ging nicht darum, genau fünf Kilo abgenommen zu haben, nein, mein erstes Ziel war es, unter die 75 Kilo zu kommen. Wenn du dich allerdings in diesem Moment bescheißt, weil du dieses Mal weniger Klamotten anhast oder trockene Haare anstatt wie ansonsten nasse hast, wirst du deinen Erfolg nicht zu 100 % genießen können. Denn irgendetwas in dir selbst weiß ganz genau, dass du ein klein wenig geschummelt und dein Ziel nicht auf die ehrliche Art und Weise errungen hast. Also wähle deinen Tag und deine Zeit, und das Ergebnis wird ohne zu flunkern sein, wie es ist. Ein weiterer Grund, warum ich hierbei keine selbstbescheißerischen Varianten gelten ließ, war der größte und vermutlich herausforderndste Moment in all der Zeit. Der Moment, in dem die Waage stillsteht. Wo sich nichts bewegt hat, obwohl ich mich an alles gehalten habe. Ich wusste genau, ich hatte mich nicht selbst betrogen, und dennoch wollte dieses blöde batteriebetriebene Ding keinen noch so kleinen Gramm herausrücken. Oh mein Gott – in diesen Momenten war die Verzweiflung unbeschreiblich groß, und es wurde noch härter. Die Woche darauf ebenfalls keine Bewegung der Zahlen. Die dritte Woche gab mir fast den Rest, denn da war es sogar wieder nach oben gegangen. Ich war verzweifelt, heulte mir die Augen aus und konnte die Welt nicht mehr verstehen. Am liebsten hätte ich alles hingeschmissen, und glaube mir, dick zu bleiben für den Rest meines Lebens schien mir eine mehr als verlockende Idee. Ich kratzte also mein Häufchen Elend, zu dem ich geworden war, wieder zusammen und beschloss, mir noch drei Wochen zu geben. 21 Tage ziehe ich es noch durch, und wenn das nicht funktioniert, bleibe ich dick und unzufrieden mit mir selbst. Total kranke Einstellung, ich weiß. Da rackerst du dich ab und ziehst es durch, und dann will dieses Scheißteil keinen Gramm rausrücken, im Gegenteil, es haut mir sogar noch etwas drauf. ABER ich wusste eins, ich hatte mich selbst nicht beschissen, hab mich an meine Regeln gehalten, und daher sagte ich der Waage den Kampf an. 21 Tage und wir werden sehen, wer von uns beiden der Sieger ist. Ich sollte recht behalten, in der vierten Woche ging die Reise der purzelnden Kilos weiter, und die Motivation sowie die Freude kehrten zurück. Doch da ich der Waage den Kampf angesagt hatte, beschloss sie, mich noch mal auf die Probe zu stellen. Einige Wochen später das gleiche Spiel von vorn. Oh mein Gott, das kann es jetzt wohl echt nicht sein, oder? Doch, es war so. Die gleiche Scheiße ein weiteres Mal. Dieses Mal war meine Strategie eine andere. Ich fragte mich, ob es nicht einfach nur normal sei, und wie sich in all den Jahren, bis heute, bestätigte, geht es verdammt vielen Menschen genau so. Dazu bleibt mir daher nur eines zu sagen: Wenn du ehrlich mit dir selbst warst, kannst du dies als einen völlig natürlichen Prozess abschreiben, der einfach ist, wie er ist. Ich kann dir aber auch sagen, dass es weiter nach unten geht. Es geht weiter runter, versprochen. Eine letzte Sache zum Wiegen. Nimm immer die gleiche Waage, stell sie immer auf denselben Fleck. Warum der Blödsinn jetzt schon wieder? Ich habe die Waage bei meinen Eltern zu Hause verwendet; um nicht in Versuchung zu geraten, jeden Tag draufzuspringen, hatte ich mir für meine Wohnung keine gekauft. Meine Eltern haben eine leichte Unebenheit in ihrem Bad, und wenn ich die Waage auf andere Fliesen stellte, konnte ich das Ergebnis ein klein wenig beeinflussen. Das ist kein Witz, und warum das so war, weiß ich bis heute nicht. Fakt ist, ich hätte mich faken können. Auch wenn du unterschiedliche Waagen verwendest, kannst du minimal unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Kein Blödsinn, echt, es ist wirklich so. Nimm daher immer die gleiche Waage und immer die gleiche Stelle, auf der du dich wiegst. Also, deine erste Aufgabe ist es, dir einen Tag und