Mittendrin und am Rande – Lebenserinnerungen eines Vertriebenen. József Wieszt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: József Wieszt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991310266
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steif.

      Der Rücken schmerzte, ächzend nur konnten wir uns aufrichten. Den ganzen Tag über, beim Kartoffellesen oder Rübenladen hatten wir Kinder schon über Kreuzschmerzen geklagt, nur um jedes Mal den Spruch der Erwachsenen zu hören: „Ehr hött doch noch goar käh Kräehz!“ oder wenn es unsere Leute waren: „Eeis hodds jo nauh goar ka Grääz!“ („Ihr habt ja noch gar kein Kreuz!“) „Unsere Leute“ waren unsere Familien und die Verwandtschaft – bei uns hieß es „di Freindschoft“ – oder generell die Vertriebenen aus Perbál und den benachbarten deutschen Dörfern in Ungarn.

      Bei all dieser Plackerei hatte die Kartoffelernte auch ihre schönen Seiten. Da waren zum einen die Mahlzeiten, die wir auf dem Feld einnahmen. Dazu wurde Kartoffelkraut ausgebreitet und Säcke draufgelegt. Auf ihnen lagerten wir uns. Als die „Giwwelstante“ uns dann ein Stück Brot und Wurst zuteilte, das wir mit Genuss verzehrten, war das wie eine Erlösung. Manchmal gab es auch eine Suppe, die sie auf geheimnisvolle Weise warmgehalten hatte. Zum Trinken bekamen wir heißen Kräutertee aus der Thermosflasche, der mitunter mit Honig gesüßt war.

      Sehr schön war es auch, wenn nach der Ernte das Kartoffelkraut zu Haufen zusammengerecht und angezündet wurde. Noch heute sehe ich die brennenden Kartoffelfeuer vor mir und rieche diesen einmaligen, herben Duft. Waren die Feuer herabgebrannt, rösteten wir in der Glut unter der Asche Kartoffeln, die wir noch auf dem Feld gefunden hatten. Sie schmeckten wunderbar, auch wenn Asche und verbrannte Erde daran hafteten. Nicht selten haben wir uns die Lippen und den Gaumen verbrannt, weil wir es gar nicht abwarten konnten, die heißen, duftenden Leckerbissen zu verschlingen.

      Eine große Kartoffelaktion fand im Dezember statt, wenn die Knollen unter heißem Dampf gegart und für die Silage vorbereitet wurden. Dazu kam die „Dämpfkolonne“. Zu ihr gehörten ein großer beheizbarer Dampfkessel mit einem Schornstein und bis zu sechs verschließbare große Kessel, die mit Kartoffeln gefüllt wurden. Waren alle Kessel vollgefüllt, wurde ein verschließbarer Deckel daraufgeschraubt. Ein dicker Schlauch verband die einzelnen Kessel mit dem Dampfkessel. Sie wurden dann unter heißen Dampf gesetzt, um die Kartoffeln zu garen. Um einen Überdruck zu vermeiden, waren Ventile an den Kesseln, aus denen gelegentlich zischend heißer Dampf entwich.

      Nach etwa einer halben Stunde waren die Kartoffeln gar, und der Dampf wurde unter lautem Zischen vorsichtig aus den Kesseln abgelassen. Danach wurden die Deckel abgenommen und die Kessel wurden ins Silo gebracht. Der Transport dieser etwa zehn Zentner schweren Kessel erfolgte auf einem speziell dafür konstruierten Gefährt, das nur aus großen Eisenrädern und stabilen eisernen Halterungen bestand, die unter dicke Bolzen an der Seite der Kessel angesetzt wurden. Eine lange Führungsdeichsel, die von zwei Männern bedient wurde, hatte eine so große Hebelwirkung, dass die Kessel angehoben, ins Silo gefahren und dort ausgekippt werden konnten. Manches Mal funktionierte das aber nicht so reibungslos und der Kessel knallte auf den Boden, wobei die obere Kartoffelschicht herausgeworfen wurde. Manchmal kippte aber auch der gesamte Kessel beim Anheben um, und ein Berg heißer Kartoffeln lag auf der Straße. Sie wurden mit Schaufeln auf Schubkarren geladen und ins Silo gekippt.

      Das war der Augenblick für uns Kinder. Wir fischten uns eine Kartoffel, schälten sie und aßen sie auf, leider – wieder – oft zu gierig, sodass wir uns Mund, Schlund und Magen verbrannten. Bald hatten wir aber begriffen, dass wir erst heftig blasen mussten, um eine erträgliche Temperatur zu erreichen. Aus Schaden wird man eben klug. Die Kolonne stand häufig zwischen zwei Bauernhöfen auf der Straße und beide Bauern dämpften an einem Tag. Das bedeutete für uns eine lange Zeit mit heißen Kartoffeln, die uns bei Frost auch zum Wärmen der Hände dienten. Die Kartoffeln im Silo wurden mit einer Plane abgedeckt, darauf folgte bald eine dicke Schicht Erde. Unter dieser Abdeckung fingen die Kartoffeln an zu gären und wurden dadurch haltbar. Im Winter stachen die Bauern mit einem Spaten diese Silokartoffeln ab und verwendeten sie als Schweinefutter.

      Im Dorf gab es eine Dreschmaschine, die vermutlich der Raiffeisen-Genossenschaft gehörte. Die Bauern mieteten diese Maschine. Sie wurde nach einem vorher festgelegten Plan auf die Bauernhöfe gebracht und dort aufgestellt. Die Dreschmaschine wurde mit Starkstrom betrieben. Die Kraftübertragung erfolgte mittels Transmissionsriemen. Sie wurde von oben mit den Getreidegarben beschickt und warf auf der Vorderseite schwere Strohbündel aus, während hinten in angeklemmten Jutesäcken die Getreidekörner aufgefangen wurden. War ein Sack voll, wurde der Auslauf mit einem Schieber geschlossen und ein neuer Sack angeklemmt. Es hingen immer drei oder vier Säcke gleichzeitig an der Maschine.

      Ein voller Sack wurde auf einen Aufzug gestellt und damit so hochgezogen, dass die Träger ihn leichter schultern konnten. Für die Sackträger war das eine schwere Arbeit. Sie nahmen den offenen Sack auf den Rücken, trugen ihn drei Treppen hoch bis zum Getreideboden unter dem Dach des Wohnhauses, kippten ihn dort aus und gingen wieder zur Maschine, um den nächsten zu holen. Diese Arbeit leisteten sie stundenlang. Als ich erstmals Säcke auf den Speicher trug, war ich fünfzehn Jahre alt. Wir wohnten zu dieser Zeit nicht mehr bei Giebels, halfen aber dennoch bei der Ernte mit. Dafür erhielten wir einen halben oder ganzen Sack Getreide,

      Das Dreschen war für die Familien im Dorf eine freudige Angelegenheit, wurde dabei doch ein Teil des Ertrages ihrer Jahresarbeit offenbar. Damit man die Maschine nicht zu lange mieten musste, halfen auch Verwandte und Nachbarn beim Dreschen mit. Die Frauen kochten zu Mittag einen kräftigen Eintopf und die Männer bekamen einen Schnaps – manchmal auch zwei. Wenn abends die Maschine weggebracht und Hof und Scheune aufgeräumt waren, gab es noch ein gutes Abendessen, ein Bier und einen Schnaps. Man blieb noch eine Weile beisammen und erzählte sich vom Verlauf des Tages. Dabei wurde auch gelacht.

      Gab es neben dem Getreide noch andere Körnerfrüchte zu dreschen, wie Hirse und Linsen, so wurden getrockneten Pflanzen mit ihren Früchten auf dem Boden der Scheune ausgelegt und mit Dreschflegeln gedroschen. Die Flegel bestanden aus einem Stiel, an dessen oberen Ende mit einem Lederband ein flaches Holz von etwa 60 cm Länge angebracht war, dem Schlegel. Mit ihm schlugen drei Männer auf die trockenen Pflanzen auf dem Boden ein uns lösten so die Körner aus ihrer Umhüllung. Für mich war es faszinierend anzusehen, wie die Männer diese Arbeit in stets gleichbleibendem Takt erledigten.

      Noch interessanter aber war die Imkerei, die Otto betrieb. Er hatte ca. zwölf Bienenstöcke, die in einem Schuppen im Garten aufgestellt waren. Otto erklärte uns, dass die verschiedenen Farben den Bienen die Orientierung gaben, immer zu ihrem Volk zurückzufinden. Er zeigte uns auch, wie sich die Bienen mit Tänzen gegenseitig informierten, wenn sie mit kleinen Klümpchen Pollen an den Hinterbeinen von der Nahrungssuche zurückkehrten. Wir konnten zusehen, wie der Imker im Frühjahr vorgefertigte Rähmchen mit Waben in die Kästen hängte, die er im Herbst voll mit Honig wieder herausnahm. Otto entfernte zunächst die kleinen Wachsdeckel von den Waben. Danach spannte er die Rahmen in eine Zentrifuge. Zunächst vorsichtig und dann immer schneller schleudert er die Rahmen, sodass der Honig aus den Waben herauslief und sich in einem Gefäß sammelte. Danach wurde dieses flüssige Gold in Gläser mit Deckeln umgefüllt und verschlossen. Die Rahmen mit den Waben wurden danach wieder in die Bienenkästen eingehängt. Im Winter erhielten die Bienen Zuckerwasser als Nahrung.

      Wir staunten sehr, dass Otto diese Arbeiten ganz ohne Schutz durchführte, wussten wir doch, wie weh Bienenstiche taten. Er erklärte uns aber, dass die Bienen nicht stechen, solange man sie nicht reizt. Bei manchen Gelegenheiten zog er sich doch einen großen Hut mit Netz über und rauchte eine große qualmende Pfeife aus Blech. Das geschah meistens, wenn eine neue Königin herangewachsen war und ein Volk sich teilte. Die kleinere Hälfte der Bienen eines Stockes folgte der ausfliegenden jungen Königin, die sich auf einem Ast niederließ, wo sie von den sie umschwärmenden Drohnen befruchtet wurde. Um diese neue Königin sammelten sich die mit ihr ausgeschwärmten Arbeitsbienen.

      So entstand ein neues Bienenvolk. Der Imker wusste schon bald, wann ein Volk geschwärmt war. Er zog sich dann die erwähnte Schutzkleidung an, hielt einen Behälter unter das neue Volk, das wie ein großer summender Klumpen von dem Ast herunterhing, und schüttelte es dort hinein. Danach wurde es in einen vorbereiteten neuen Bienenkasten getan, der seinen Platz neben oder