Es ist noch keine Minute vergangen, dass der kleine Kerl vom Schlaf überwältigt in das spärliche Gras gefallen ist, da krabbelt auch schon das zweite Kätzchen an derselben Stelle unter den Rundhölzern hervor. Es ist auf der Suche nach dem Spielgefährten. Und dieser liegt faul im Gras und schläft. Schade, dass ich keine Filmkamera oder wenigstens einen Fotoapparat bei mir habe. Denn nur selten besteht die Gelegenheit, eine solche Szene, die den liebevollen Umgang zweier Kätzchen in so eindrucksvoller Weise belegt, festzuhalten. Die Kleine läuft geradewegs auf den vermissten Spielgefährten zu, legt sich daneben und kuschelt sich an. Eine Vorderpfote kommt auf den Körper des Brüderchens – wie bei einer Umarmung. So vereint schlafen sie im Schatten der Mittagssonne – am Rande des alten Holzstoßes.
Als ich Helga mein kleines Erlebnis erzähle, errät sie gleich, worauf ich hinaus will. „Meinetwegen“, sagt sie, „nehmen wir beide! Es wäre bestimmt sehr schön … Aber du musst dann mit einem von beiden zum Tierarzt gehen. Du weißt, was passiert, wenn sie größer werden.“ Helga lässt mir Zeit zum Überlegen. „Wenn du das machen willst … Ich mache es nicht!“, sagt sie dann. So liegt die Entscheidung also bei mir, und man kann sich schwer für eine Sache entschließen, die man nicht richtig kennt. Die Unsicherheit macht mich schnell wankelmütig. „Das Beste wird wohl sein, es bleibt dabei. Wir nehmen den kleinen Kater!“
Der milde Abend verlockt zu einem Spaziergang. Durch ein kleines Tal des hier angrenzenden Hochwaldes fließt der Milchbach. Dort könnten wir nach ein paar größeren flachen Steinen für unseren Garten suchen. Wir wählen den Weg über den Wäscheplatz und biegen von da aus auf den schmalen Fußweg ein, der schräg durch die Gärten in den dahinter liegenden Fichtenwald führt. Linker Hand taucht Hofmanns Gartenlaube auf. An der Rückwand sind Bretter zu einem kleinen Stapel aufgeschichtet und mit Dachpappe abgedeckt. Ich schaue beim Vorübergehen über die Zaunlatten hinweg.
„Sieh mal, wer da sitzt!“ Es ist unser kleiner Kater. Auch Helga hat ihn nun auf dem Bretterstapel entdeckt. „Da ist ja unser Kleiner!“ Ich lege meinen Arm über Helgas Schultern, und wir schauen uns den kleinen Kerl noch einmal richtig an. Als wir dicht an den Gartenzaun treten, um in seine Nähe zu kommen, steht er auf, weicht ein paar Schritte zurück und beobachtet uns. „Weißt du denn, dass wir dich mit zu uns nehmen? Weißt du das?“, fragt Helga, als würde sie wirklich eine Antwort von dem Kätzchen erwarten. Der Kleine aber setzt sich wieder und schaut uns mit seinen großen runden Augen ungläubig an.
Man merkt schon deutlich, wie die Tage kürzer werden – in der zweiten Hälfte des Monats August. Als wir uns zum Schlafengehen in mein Zimmer begeben, liegt längst Finsternis über dem alten Holzstoß. Wir kuscheln uns auf der schmalen Couch aneinander wie die beiden Kätzchen.
„Hast du dir denn nun überlegt, wie wir unseren kleinen Kater nennen wollen?“ Schon ein paarmal drängte Helga mit dieser Frage. „Ich habe das Kätzchen aussuchen dürfen, und du bist für den Namen verantwortlich!“ „Charli“, schlägt sie vor. „Das klingt doch sehr lustig!“ Ich bin schon ziemlich müde und möchte das schwierige Problem gern noch einmal verschieben. Aber Helga lässt nicht locker, als wäre es nun unaufschiebbar. Ich will sie nicht verärgern. Wir gehen noch einmal alle Katzennamen durch, die uns gerade so einfallen. Peterle, Purzel, Mingo, Mohrle. „Na, Mohrle passt ja nur zu einem schwarzen Kätzchen.“ Ich überlege: Mohrle? Mohrle?
Über den Anfangsbuchstaben M komme ich schließlich zu dem Namen. „Ja, der Name würde mir gefallen!“ Helga ist auch sofort einverstanden. „Da wird er bestimmt ein ganz Frecher!“ Ich merke, wie sie sich freut, dass das Problem nun endlich gelöst ist. Wir haben den Namen für unseren kleinen Kerl: MORITZ!
Vorfreude
Unserer Fahrt an die Ostsee geht noch ein wichtiges Ereignis voraus. Acht Monate lang haben wir um das Haus gekämpft, uns mit vollem Einsatz in die Arbeit gestürzt, die unschlüssige Haltung der Besitzerin geduldig hinnehmen müssen. Und acht Monate lang wussten wir nicht, ob am Ende nicht doch alles vergeblich war. Aber nun endlich sollte Schluss sein mit dem stets erneuten Infragestellen von Absprachen und verbindlichen Zusagen, mit dem belastenden Hin und Her, das so viel Verdruss und auch so manchen Konflikt zwischen uns und der Besitzerin heraufbeschworen hatte.
Diesmal hält Frau Petzold Wort, und drei Tage vor Antritt unseres Jahresurlaubes sitzen wir zusammen in einem kleinen Zimmer des staatlichen Notariats Hainichen. Herr Nestler verliest noch einmal den gesamten Text des Kaufvertrages, den er mühsam in die alte Schreibmaschine eingetippt hatte.
Dann unterschreiben wir alle drei das mehrfach ausgefertigte Dokument, und der Notar verabschiedet uns mit guten Wünschen. Erleichtert verlassen wir das betagte, ehrwürdige Gebäude. Lange waren wir nicht mehr in einer so guten Stimmung. Helga strahlt und hakt sich bei mir ein. „Endlich!“ Es ist, als hätte sich die Freude auf unseren Urlaub nun verdoppelt. „Wie gut, dass wir es noch geschafft haben!“, sagt Helga. „Wenn wir losfahren, liegt der ganze Ärger hinter uns!“ Ein für uns so wichtiges Problem war gelöst, und die Gewissheit, dass wir unser Ziel erreicht hatten, konnte uns in den Urlaub begleiten.
An einem der letzten Augusttage sind wir mit unserem Auto auf der Strecke. Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Die Pappeln am Straßenrand stehen wie Bogenlampen, und das Lenkrad zerrt in den Händen. Ein Wartburg mit Wohnanhänger fährt an die Seite und unterbricht notgedrungen seine Fahrt. Schon bei der Abfahrt bemerkten wir die stürmische Wetterlage, aber nun hat das Unwetter beängstigende Formen angenommen. Dicke abgebrochene Äste liegen auf der Fahrbahn umher. Ich muss die Fahrgeschwindigkeit stark drosseln. Die wilden Kräfte gebärden sich umso bedrohlicher, je weiter wir nach Norden kommen. Unser Zeitplan ist nicht mehr zu halten. Und zu allem Übel wissen wir noch nicht einmal genau, wo unser Urlaubsort zu finden ist. Auf keiner Karte war dieses Beckerwitz auszumachen. Dem Antwortschreiben von Frau Meschke war lediglich zu entnehmen, dass dieser wenig bekannte, unbedeutende Ort in der Nähe von Wismar liegen muss. Ohne auch nur für einen Augenblick der Fahrbahn meine Aufmerksamkeit zu entziehen, bespreche ich mit Helga die weitere Strategie. „Also, auf alle Fälle erst einmal Richtung Wismar! Dann werden wir weitersehen …“
Nach neunstündiger Fahrt passieren wir endlich das Ortseingangsschild dieser kleinen Hafenstadt. Linker Hand kommt bald eine Tankstelle ins Blickfeld. Die Tankfüllung könnte noch reichen, aber wir wissen ja nicht genau, wo die Reise hingehen soll. Es wäre nicht gut, ein Risiko einzugehen, und schließlich können wir die Gelegenheit gleich nutzen und uns vom Tankwart den Weg nach unserem Urlaubsort erklären lassen.
Doch die Überraschung ist groß. „Beckerwitz?“ Der ältere Herr in blauer Uniform grübelt lange. „Kann ich Ihnen wirklich nicht sagen – noch nie gehört!“
Was nun? Ende August sind die Tage schon recht kurz. Der Sturm hat uns daran gehindert, zügig zu fahren, und nun haben wir die nächste Bescherung: Die Dämmerung bricht schon herein. Wir fahren aufs Geratewohl weiter. Die Scheibenwischer sind in Betrieb, denn es regnet nun ununterbrochen. Ab und zu halte ich an, und Helga kurbelt die Scheibe herunter. Niemand kann uns helfen, und immer wieder die gleiche Antwort! „Beckerwitz? Tut mir leid, kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Vielleicht gibt es diesen Ort überhaupt nicht. Vielleicht gibt es kein Beckerwitz und keine Frau Meschke.“ Helga weiß nicht, was sie von meinem Galgenhumor halten soll. Stockfinster ist es mittlerweile geworden, und bei der Auswahl der Strecke könnten wir nun ebenso gut würfeln. Unsere Fahrt geht die Ostseeküste entlang in Richtung Westen. Die Wegweiser zeigen Klütz – Boltenhagen. Nur das gleichmäßige, leise Brummen des Motors und die typischen Rollgeräusche auf einer nassen Fahrbahn sind noch zu vernehmen. Es scheint, dass uns der Gesprächsstoff ausgegangen ist. Wir befinden uns in einer sehr unangenehmen Lage und wissen nicht recht, was werden soll. Auch Ermüdung macht sich bemerkbar. Das Einlegen einer Pause wird wohl das Beste sein, was wir im Moment tun können – ist es doch auch an der Zeit für eine kleine Mahlzeit.
Nur