SEX & other DRUGS - Novembertau. Mira Schwarz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mira Schwarz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741842801
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mich mit seinem Filmstar-Lächeln an. »Das ist doch ein Anfang, Sweety.«

      Anscheinend gibt er mir gerne Kosenamen. Ein Umstand, an den ich mich gewöhnen könnte.

      ***

      Sich selbst erkennen …

      Was für ein Bullshit!

      Die Krankenschwester lächelt, als sie mir den Spiegel in die Hand drückt und sich neben mich auf die Bettkante setzt. Dabei sieht sie aus, wie man sich Pflegerinnen halt vorstellt. Etwas beleibt, immer ein wenig in Eile, die Haare zu einem strengen Dutt zusammengebunden, aber trotzdem herzensgut, obwohl sie auch bestimmt einen ganz anderen Ton anschlagen kann. Schwester Betty scheint die Reinkarnation eines 40er-Jahre-Stereotyps zu sein.

      »Schau dich an, Kindchen«, sagt sie mit weicher Stimme. »Das bist du.«

      Interessant. Sobald man seine Erinnerungen temporär verloren hat, behandelt jedermann einen, als wäre man grenzdebil. Ich weiß, sie meint es gut und es ist auch möglich, dass »Sich selbst erkennen« ein erster Therapieansatz ist. Das alles hindert mich jedoch nicht daran, mich zu fühlen, als wäre ich ein Kleinkind.

      »Danke schön«, sage ich etwas zu lang gezogen, um es ernst zu meinen, und begutachte mein eigenes Spiegelbild.

      Meine brünetten Haare wirken etwas stumpf, man merkt, dass ihnen in den letzten drei Monaten die Pflege fehlte. Meine Haut ist etwas sehr weiß, aber ich habe das Gefühl, dass dies nicht an den drei Monaten Zwangsurlaub gelegen hat. Ich scheine wohl eher der Porzellanhaut-Typ zu sein. Lange Sonnenbäder sind also für mich nicht drin. Ansonsten gefällt mir, was ich sehe. Na ja, die Lippen könnten etwas voller sein und ist die Nase nicht ein winziges Stückchen zu groß? Eine längliche Narbe ziert die Stelle über meinem linken Auge und zieht sich zur Schläfe hin.

      »Wissen Sie, woher ich die habe?«, will ich an Betty gerichtet wissen.

      Sie überlegt einen Moment. »Ihr Verlobter hat davon gesprochen, die Narbe stammt wohl von einem Fahrradunfall vor einigen Jahren.«

      Ich seufze in mich hinein. Wenn ich nicht alle Bewertungskriterien für Attraktivität vergessen habe, kann ich wirklich zufrieden sein. Mein Körper scheint gut in Form und auch meine Brüste können sich sehen lassen. Ein schöner B-Cup mit leichter Tendenz zur C.

      »Zufrieden?«, möchte Schwester Betty wissen und legt eine bedeutungsschwangere Miene auf. »Ich weiß, Kindchen. Es ist immer schwierig, wenn man nach so langer Zeit erwacht und sich dann das erste Mal selber sieht. Vielleicht hat man etwas anderes erwartet, oder …«

      »Nein«, unterbreche ich sie leise. »Ich kann mich erinnern, dass ich die Frau im Spiegel bin.« Vielleicht ist dieses »Sich selbst erkennen«-Spiel doch nicht so nutzlos, wie ich dachte. Ich sehe in strahlend blaue Augen. Sie scheinen für einen Lidschlag das Tor zu meiner Seele zu öffnen. Einige wenige Erinnerungen finden den Weg zurück in meinen Verstand. Ich kann erkennen, wie ich mich geschminkt habe, welche Augenbrauen ich mir immer zupfe und wie ich meine Haare trage.

      Tränen schießen mir in die Augen. Schwester Betty ist sofort da und umarmt mich. Jetzt bin ich unendlich froh, sie hier zu haben. An ihrer breiten Schulter schluchze ich. Es dauert nur wenige Sekunden, nur ein kurzer Ausbruch der Gefühle. Sie reicht mir ein Taschentuch, damit ich meine Tränen trocknen kann. Noch während ich mich sammle, hebe ich die Decke und begutachte meinen Körper genauer.

      Schwester Betty muss leise lachen. »Die letzten drei Monate habe ich dich gewaschen, Kindchen. Ab jetzt bist du wieder dran. Meinst du, dass du es schaffst, oder soll ich hierbleiben?«

      »Das schaffe ich alleine«, entgegne ich mit fester Stimme. »Hätten Sie einen Shaver für mich?«

      »Hat dein Verlobter alles mitgebracht.« Sie zwinkert mir zu. »Lass dir Zeit, die nächste Untersuchung ist in zwei Stunden.«

      Ich nicke hastig, schlage die Bettdecke von meinem Körper und spüre seit langer Zeit mal wieder Boden unter meinen Füßen. »Ganz schön wackelig.« Der Arm von Betty gibt mir Sicherheit.

      »Ruhig, Kleines. Eigentlich solltest du nicht jetzt schon auf eigenen Beinen stehen. Erst müssen wir noch eine ganze Menge Untersuchungen machen, Physiotherapie, Ergo …«

      Weiter kommt sie nicht mehr. Noch bevor sie mich greifen kann, schaffe ich die ersten unsicheren Schritte bis zum Schrank.

      Einige Herzschläge dauert es, bis Schwester Betty sich fängt und mir nacheilt. Sie ist kalkweiß. »Herr im Himmel, du solltest eigentlich noch nicht einmal krabbeln können.« Vorsichtig fasst sie meinen Arm. »Wie ist das möglich?«

      »Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich schon immer zu den Schnelleren gehörte, die manchmal auch dumme Entscheidungen treffen«, hauche ich leise und stütze mich weiter ab.

      Betty wischt den Gedanken mit einer Handbewegung beiseite. »Du gehörst anscheinend wirklich zur schnellen Sorte. Aber mir ist das gleich, hörst du. Wir machen erst einmal ein paar Übungen.«

      Jeder Schritt schmerzt, mein ganzer Körper scheint sich gegen die Bewegung zu wehren. Betty und ich gehen im Zimmer umher. Erst sind meine Schritte langsam und tippelnd, doch schon bald lege ich an Sicherheit zu. Nach einer halben Stunde schaffe ich es, ohne fremde Hilfe zu gehen, und stehe aufrecht. Weitere 30 Minuten später sehen meine Bewegungsabläufe beinahe schon wieder menschlich aus. Ganz abgesehen davon, dass ich schweißgebadet in diesem sexy Patientenleibchen mitten im Zimmer stehe und mein Po für jeden offen einsehbar ist, fühle ich mich fast schon wohl.

      »Sehr gut, Kindchen«, lobt mich Betty. »Deine Muskeln scheinen weniger abgebaut zu haben als bei vielen anderen. Du bist ja richtig fit. Ich denke, dass ich dich alleine duschen lassen kann. Wenn etwas ist, ich bleibe hier und beziehe dein Bett erst einmal neu.«

      Puh – Glück gehabt. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt, während ich zum Bad gehe und die Klinke herabdrücke. Kurz bevor ich im Badezimmer verschwinde, drehe ich mich zu Betty. Immerhin kennt sie mich und jeden Zoll meiner Haut bereits seit drei Monaten. »Danke schön«, hauche ich.

      Als das warme Wasser wenige Sekunden später über meine Haare fließt, kann ich die Augen endlich schließen und genieße das Rauschen um mich herum. Zu viel Stille kann sehr laut sein. Wieder dehne ich meine Muskeln, streiche über meine Haut und massiere diverse Körperstellen. Meine Hände sind übersät von kleinen Narben und schlecht verheilten Abschürfungen. Anscheinend arbeite ich gerne im Garten oder gehe einer anderen Tätigkeit nach, die mit den Händen erledigt werden muss. Weitere Verletzungen sehe ich an meinem Bauch, den Knien und Ellenbogen. Alles nicht schlimm und wirklich nur auf den dritten Blick erkennbar, aber hier im Licht schimmert das weißliche Narbengewebe schon sehr. Besonders die Stelle rechts unter meinem Bauchnabel lässt mich nicht mehr los. Als ob ich dort operiert wurde … und zwar stümperhaft.

      Es dauert, bis ich mich von meinem eigenen Körper losreiße und das mitgebrachte Shampoo zwischen meinen Fingern verteile. Die Lotion duftet nach Vanille und Honig. Erst als ich mich wirklich vergewissert habe, dass Schwester Betty nicht einfach durch die Tür stürzt, massiere ich es in meine Haare und genieße die Berührungen. Dabei lasse ich mir Zeit und drücke meinen Rücken durch. Seitdem ich aufgewacht bin, fühle ich mich zum ersten Mal richtig wohl. Zu gerne würde ich dieses Gefühl noch ein wenig beibehalten, also ergreife ich das Duschgel und trage es langsam auf meine Haut auf.

      Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die alte Jasmin einen Busch dort unten schön fand. Also nehme ich mir vor, so lange zu rasieren, bis ich mich wieder erinnere. Das Wasser sucht sich windend einen Weg meinen Körper herab, während ich mit der Klinge über die eingeschäumte Haut fahre. Erst, als nur noch ein feiner Strich aus Härchen den Weg zu meiner intimsten Stelle weist, bin ich zufrieden. Auch meine Beine und etliche andere Stellen sind jetzt glatt. Ich begutachte mich von allen Seiten und lege den Rasierer zur Seite. Während das Wasser immer noch warm auf meinen Busen plätschert, streichle ich in langen Zügen über meine Haut. So langsam scheint auch die Erinnerung zurückzukommen. Ich kann meinen eigenen Körper wieder fühlen und was noch besser ist, dieser kurze Lustintervall, den ich beim Aufwachen spürte, scheint in voller Stärke wiederzukommen.