So kam es, wie es kommen musste. Und einmal muss es ja sein, dass Tina mit dem Straßenbahnschaffner, just an dem Tag, wo die Elbe Eisgang hatte, ein Treffen vereinbarte, welches im möblierten Zimmer des besagten Straßenbahners ein „blutiges" Ende fand.
Die ersten Grogs tranken sie im Wartesaal I. Klasse des Altonaer Bahnhofs und die nächsten im traulichen Heim. Da war es auch, wo der Schaffner seine rechte Hand auf Tinas linke Knie legte, sich die Sinnenlust im Schaffner gewaltig regte und ihm schier die Hose sprengen wollte. Tina, die vom Grog und Händespiel benebelt war, dachte nun nicht mehr an ihre Tante in Övelgönne.
Es kam, wie es kommen musste und einmal muss es ja sein.
Tina lag schon breitbeinig auf der Couch und ihr Seidenhöschen bildete einen Fleck auf dem imitierten Orientteppich, wie seinerzeit die Baumwollhose auf dem Rasenteppich des Deiches einen hellen Fleck bildete. Sonst trug Tina noch volle Montur, wollte sich doch von einem Straßenbahnschaffner der Hamburger Hochbahn nicht ganz austakeln lassen.
Was sollte der wohl von ihr denken.
Aber als der Straßenbahnschaffner der Hamburger Hochbahn seine Kurbel herausdrehte und sie in Tina eindrehen wollte, da kniff sie ihre Beine fest zusammen, denn Tina dachte jäh an Tante und Eisgang. Da wallte des Straßenbahners Blut und er haute der Tina, Tochter eines Reeders eine runter und noch eine, dass Tina bereitwillig ihre schlanken Beine wieder auseinander nahm und somit die Kurbel ihr blutiges Werk bewerkstelligen und zu Ende bringen konnte. Seitdem hasst Tina auch Straßenbahnen.
Wer kann es ihr übel nehmen?
SEELEUTE MOCHTE TINA aber auch nicht besonders, aus dem einfachen Grund schon nicht, weil Seeleute ein reichlich verworrenes Familien‑ und Liebesleben führen. Familienleben ohne Ordnung und ohne System, bedingt durch die unregelmäßigen Reisen und die kurzen Hafenliegezeiten der Schiffe. Tina hatte noch normale Vorstellungen über Familienleben, von Kindern und Kochen, vom Glück im „trauten Heim", vom Feierabend des Mannes. Und ihn für die Nacht an ihrer Seite und alles, was sonst dazu gehört. Und all das war bei und mit einem Seemann als Mann reichlich rar und oftmals gar nicht.
Heute ist Tina dreiundzwanzig Jahre alt und schmeißt praktisch den ganzen Laden, was das Kaufmännische der Reederei betrifft. Kümmert sich auch noch um den Apfelhof, um die Hühner und manchmal auch um das Schwein. Steht wohl noch weiter unter der Fuchtel ihres Vaters, denn, „Wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing'," aber sonst hat sie sich ihre eigene Welt geschaffen. Gebraucht natürlich, so der alte Faller zu Hause ist, noch keinen Lippenstift, keinen Puder und keine Schminke, hat aber Bücher und Schallplatten und jetzt, wo sie den Mercedes haben, fährt sie einmal im Monat nach Hamburg ins Theater.
Mit ihrem Vater kommt sie jetzt leidlich aus. Ihr Vater, das ist so einer, beliebt nie und nirgends. An Bord nicht, im Dorf nicht, leider auch in der Familie nicht. So erinnert Tina sich an ein Weihnachtsfest, das sie an Bord erlebt hat. Damals war sie noch ein Kind. Dachte an den Sauerbraten an Bord des alten Küstenschiffes, der alten TINA‑THERESA.
Sie waren auf der Reise von Kopenhagen nach Antwerpen. Acht Mann an Bord und ein kleines Mädchen, die Tochter vom Alten. Für jeden Tag, den der Herrgott werden ließ, schnitt Friedrich Faller für den Tagesverbrauch das Fleisch, den Speck, die Wurst und den Käse zurecht. Alles wurde aufs Gramm genau gewogen ‑„wat de Seelüd tosteiht, dat sollen sie auch haben", und beschiss sie dann doch noch. Außerdem traute er dem Kochsmaaten nicht. F. F. traute seinem eigenen Arsch nicht. Der Proviantraum war so ein kleiner Verschlag, irgendwo an Bord in eine Ecke gedrückt, hatte eine bombensichere Tür mit einem gewaltigen Hängeschloss. In diesem Kabuff wirkte der Alte täglich fast eine Stunde. Jetzt um diese Zeit war es, da warf Kapitän und Schiffseigner Friedrich Faller einen zärtlichen und wohl auch verfressenen Blick auf den zukünftigen Weihnachtsbraten, der in Essig gelegt, mit Lorbeerblättern, Pfeffer und Senfkörnern garniert, stichig seiner Vollendung entgegensäuerte. Was gut werden soll, muss eben langsam reifen. Dabei war nicht ganz von der Hand zu weisen, dass dieser Braten schon einen hauchdünnen Stich ins Verderbliche hatte.
Von diesem Sauerbraten, saftigste, schiere Oberschale, konnte F. F. bildreich sprechen, sprach aber meistens davon, wie sündhaft teuer so ein Stück Fleisch sei. Weiß der Deubel, wie der Alte auf den ausgefallenen Bolzen gekommen war, gerade an einem Festtag, gerade Weihnachten, Sauerbraten essen zu wollen. Jedenfalls bezeichnete er Sauerbraten als den Adeligen unter den Fleischgerichten, daran könne kein Puter, keine Gans und kein Hase klingeln. Solche und ähnliche Vorträge hielt der dem Kochsmaat, gelernter Bäcker, der das Kochen mit Hilfe des alten Fallers leidlich erlernt hatte, erzählte, dass er einen fürchterlichen Traum gehabt habe. Er hätte eine Rinderherde gesehen, die mit Affenfahrt über die Prärie der Stadt zugejagd sei, in einer Essigfabrik gelandet sei und sich daselbst im Essig ertränkt habe.
Jedenfalls, ehrfürchtig schlich die Besatzung am Proviantraum vorbei und die Männer flüsterten sich zu: „Da ist er drin, da wird er langsam ‑ der Sauerbraten!"
Zu sehen gekriegt hat ihn keiner, den Sauerbraten, denn der Proviantraum war so eine Art Heiligtum für jeden Maat und tabu, auch für den Steuermann. In Provianträumen werden die ersten Fundamente für Schiffsneubauten gelegt, durch Geiz, Beschiss und Sparsamkeit.
Tabu für all hands, einschließlich des Steuermanns. F. F. traute eben seinem eigenen Arsch nicht, er könnte ihn vielleicht auch bescheißen.
Antwerpen! Der Heilige Abend verklang in langweiliger Harmonie. Der Baum brannte. Eine kümmerliche Tanne nur, die der Alte, so wurde gemunkelt, auch noch geklaut haben sollte.
Nun brannte der Baum und auch das Feuer im Kombüsenherd und es war in der Kombüse mollig warm. Hier wurde Weihnachten gefeiert. Mit stotternder Stimme sagte der Decksjunge ein Weihnachtsgedicht auf, verschluckte sich oft, wohl in Erinnerung an andere, bessere, schönere Weihnachten im Elternhaus. Tina piepste ein Weihnachtsliedchen und F. F. dachte an seinen Sauerbraten. Doch, doch, es war schon ein büschen feierlich. Auf dem Bunten Teller krümelten sich ein paar faltige Äpfel, aus F. F's. eigenem Garten selbstverständlich, kollerten einige Nüsse a la Ernte dreiundzwanzig, und lederte zum Schluss eine Tafel Schokolade ohne Verpackung. Schwarz wie eine Negerhaut und gallenbitter.
Nun waren die Kerzen fast runtergebrannt, genügt wohl für den Heiligen Abend. Einmal ist ja nur Weihnachten im Jahr. Wat'n Glück!
„Na, Jungens", so sagte der Alte, „morgen schall ober so richtig Wiehnachten sien, morgen Middag de Surbroten!"
Nahm Tina an die Hand, und Vater und Tochter verzogen sich in Kammer und Koje. Das arme Kind, es glaubte noch an den Weihnachtsmann.
Steuermann, made in Cranz (Unterelbe), und der Kochsmaat blinzelten sich zu.
„Lass uns man noch für eine Stunde an Land gehen, Koch. Das ist doch keine Weihnachten, wenn man keine Alte sieht, so einen Weihnachtsengel, verstehste?"
„Ja, ja, hast auch recht, Steuermann!"
So saßen sie wenige Zeit später in der Kneipe „Flandern Flaamsch", der Steuermann und der Smutje, wieder mal unter einem brennenden Baum. Saßen bei dampfenden Grogs und einsamen, müden Mädchen.
Soffen sich das Heimweh in die Knie und dachten an andere, schönere Weihnachten. Dachten und sprachen von Gänsebraten, gefüllt und zubereitet von Muttern, gebraten in der alten Backröhre.
Schauderten und schüttelten sich in Gedanken an den und über den Sauerbraten.
Und soffen! Das beste Mittel, um hohe und harte Hürden zu überspringen.
Sprachen auch von der armen, langarmigen Tina, die der brutale Vater an Bord geholt hatte, damit sie die Seefahrt kennenlernte. Nun, Tina ist doch kein Junge. Der Steuermann wusste zu berichten, dass Frau Theresa keine Eierstöcke mehr hat.
Schon Scheiße