Der Morgen flimmert fahl durch die dunklen Palmen. Dorfköter kläffen heiser. Im Osten zeigt sich das erste Rot. Die Moskitos sind abgeflogen. Wir sind erst gegen Morgen eingeschlafen, da weckt uns dieses verdammte Schnurren und Klopfen. Die Mädchen werden ins Boot bugsíert. Ihre Gesichtsfarbe ist fahl, fahl von den Anstrengungen der Nacht, fahl vom grauen Schimmer des Morgens. Der Abschied ist unfreundlich, nur Ernesto wird noch mit einem langen Kuss von wulstigen Lippen bedacht. Ja, Ernesto hat einen dicken Schlag bei den Huren. Wir sind hundemüde. Der Spanier und der Portugiese haben ausgeschlafen, sie hat das Weibervolk nicht weiter berührt. Wir schlürfen den dünnen Kaffee, den der Moses eben von der Kombüse geholt hat, und sind mürrisch. Gehen bis zum Arbeitsbeginn an Deck. Der Morgen ist heller und etwas kühler, auf dem Gambia liegt leichter Nebeldunst. Es ist windstill, und aus den Elendshütten des Dorfes steigt schmutziger Rauch in den Morgen. Die grüne Mauer des Urwalds schweigt. Vom Ufer lösen sich flache Boote. Die Ladung kommt. Mit hastigen Ruderschlägen kämpfen sie gegen die Strömung. In graue Lumpen sind sie gehüllt, die Ruderer. Sie schnalzen mit der Zunge, und die Riemen ächzen. Die Ladung kommt. Endlich ist diese verdammte Liegezeit in diesem gottverdammten Nest vorbei. Die Winden rattern und rumoren wieder. Die Ladebäume schwenken und zerren in den Geien. Die schwarzen Ladungsarbeiter palavern und singen bei der Arbeit. Hiew auf Hiew wird vom Bauch des Schiffes gefressen. Hiew auf Hiew. So geht das zwei Tage und zwei Nächte. Maststrahler und Sonnenbrenner erhellen das das Schiff. Die Ladungsboote finden ihren Weg leicht. Rudern hin und her. Leer ans Ufer, voll zurück zum Schiff, und Hiew auf Hiew wird gefressen. So geht das zwei Tage und zwei Nächte. –
Die Anker lösen sich aus dem Schlick des Gambia. Das Rummeln und Poltern der Ankerkette ist an diesem Morgen ein unbarmherziger Wecker. Wir dampfen den Gambia hinab, und der blaue Südatlantik nimmt uns auf. Die Tage sind heiß, und die Wachen im Maschinenraum heißer. Aber keine Moskitos mehr. Sonnenheiße Tage und glatte See. Sternenhelle Nächte und phosphoreszierendes Bug- und Schraubenwasser. Jeden Morgen um vier Uhr, nach Wachschluss, stehen Ernesto und ich auf dem Vorschiff. Lehnen auf der Verschanzung, lassen den Schweiß aus unseren Wachklamotten vom warmen Fahrtwind trinken. Rauchen, sprechen und lassen den Morgen kommen. Die afrikanische Küste liegt in den Wehen des beginnenden Tages. „Du, Ernesto, was wissen wir Seeleute eigentlich von den Ländern, die wir besuchen, oder von den Städten in diesen Ländern?“ Ernesto sagte: „Nichts, mein lieber Freund. Absolut nichts. Aber wozu auch? Was weiß denn ein Taxifahrer von den Sehenswürdigkeiten seiner Stadt? Nichts. Ja, er kennt wohl das Rathaus und die Kirchen und sonstige Gebäude, kennt jede Straße - das ist berufsbedingt - aber die Bedeutung und die Herkunft der Namen bestimmt nicht. Interessiert ihn auch gar nicht. Was weiß denn das Zugpersonal eines Fernzuges von den Sehenswürdigkeiten der Städte, wo ihre Züge enden? Nichts, von Ausnahmen abgesehen. Kennen Artisten die Städte und Landschaften, in denen sie auftreten? Nein. Und wir, was kennen wir? Auch nichts. Den Namen der Stadt oder des Landes wissen wir. Wir kennen dafür aber die Puffs und die Kneipen, wo die Huren sind. Oder hast du schon mal einen Seefahrer kennengelernt, oder bist du mit einem gefahren, der Museen besuchte oder Kirchen besichtigte, in den Zoo oder botanischen Garten ging? Ich jedenfalls noch nicht. Aber was sollen wir auch da? Du, ich sage dir, es gibt Seefahrer, die wissen nicht einmal, in welchem Lande sie sich befinden, können es dir nicht einmal auf der Karte zeigen. Die meinen, Rotterdam läge in Belgien und Monrovia in Tunesien. Aber die Preise in den Puffs und in den Kneipen wissen sie, und die Nutten kennen sie mit Namen. Und in den Hafenstädten wissen die Taxifahrer über die Nutten und Kneipen auch Bescheid. Bist du schon mal über die Grenzen einer Hafenstadt hinaus gekommen?“ „Ich muss gestehen, dass es selten genug war.“ „Siehste. Meistens bist du in der ersten Kneipe an der Küste, wo Tingeltangel war, eine Box plärrte, oder eine Band wieherte, hängengeblieben. Oder wenn du dich in eine Taxe gesetzt hast, um nicht an der Küste hängen zu bleiben, brauchtest du dem Taxifahrer gar nicht dein Reiseziel zu sagen, er fuhr dich sowieso in den Puff. Das passiert dir in der ganzen Welt.“ Ich sage: „Das stimmt schon alles, Ernesto, aber es ist doch nicht richtig.“ „Wieso nicht richtig? Aus welchem Grund wolltest du wohl in alten Gemäuern herum krauchen, wo dir der Putz auf den Kopf fällt? Was interessieren dich Kirchen oder Tempel, wo du Gold siehst, das man den verbohrten Gläubigen aus der Nase gezogen hat? Was hast du von Museen, wo du alten, vergammelten, ausgegrabenen Plunder sehen kannst, wenn 's hoch kommt, ein paar vertrocknete Mumien, von denen du nicht weißt, ob sie echt sind? Oder denke an Gemäldeausstellungen, wo das Publikum durch rast. Irgendwann, vor zweihundert oder mehr Jahren, hat ein geiler Maler vollbusige und vollärschige Weiber gemalt, Weiber, die heute im Puff kein Mensch auch nur mit dem Arsch ansieht - jedenfalls ich nicht. Was haste von so einer Gemäldeausstellung, hm? Da gehen die feinen Leute auf die Fuchsjagd. Da steht irgendwo so 'n schwuler Lord in Positur. Da flattern goldene Engel um einen heiligen Kopf, oder ein heiliger Knabe wird von Pfeilen durchbohrt. Du siehst einen angeschnittenen roten Schinken, einen gekochten Hummer und einen toten Hasen, der seinen Rüssel über die Tischplatte hängt … und der Hintergrund ist dunkel. Du siehst in einer alten Bauernstube Leute beim Fressen oder Landsknechte beim Saufen.“ „Und wie ist es mit dem Theater?“ werfe ich ein. „Theater“, sagt Ernesto verächtlich, „das ist genau so 'n fauler Zauber. Da hopsen so ein paar Leutchen in einer Scheinwelt herum, verzapfen irgendwelchen Mist aus dem vorigen Jahrhundert oder singen sich stundenlang an.“ „Aber trotzdem. Andere Leute geben viel Geld aus, um in der Welt herumzukommen. Und ich will gar nicht mal sagen, dass es immer nur die Reichen sind. Mancher spart sich für eine Seereise das Geld mühsam zusammen, spart es sich wohl auch am Munde ab. Andere wieder haben eine Schwäche für alte Gebäude, für mittelalterliche Städte und so weiter, das kannst du doch nicht einfach als Nonsens bezeichnen. Nein, Ernesto, das kannst du nicht.“ Ernesto schnippt seine Camelkippe lässig über Bord und sagt: „Du Idiot. Hast du dir die Leute eigentlich schon einmal näher angeguckt, die da so durch die Welt reisen? So! Erstmal fragen sie den Seeleuten an Bord das Hemd vom Arsch, und wenn sie irgendwo an Land gehen, stehen sie da mit den Reiseführern vor einem Bauwerk, Prospekte in der Hand und reißen das Maul auf und mimen Erstaunen und Verstehen, manchmal auch Andacht. Mensch, dann könnt' ich ihnen in die Fresse schlagen. Abends aber sitzen sie in der Kneipe und peilen hinter dem Rücken ihrer Ehefrauen doch nach den Schönen des Landes, oder sie sind in den Puffs die Kunden, die die Preise versauen. Und ihre Erinnerungen, die sie zu Hause am Stammtisch preisgeben, drehen sich um die Weiber, um das Wetter und um den ausgezeichneten Wein oder Cognac oder was weiß ich für 'n Gesöff. Vielleicht sind nicht alle so, aber die meisten doch.“ „Ja, das ist alles schon richtig, aber was uns Seeleute angeht, da darfst du auch nicht vergessen, Ernesto, dass uns meistens die Zeit fehlt. In unseren Hafenliegezeiten arbeiten wir von morgens bis abends in Scheiß und Dreck und arbeiten schwer, das weißt du. Da hat kein Deubel mehr Lust, noch Museen oder Kirchen zu besichtigen oder ins Theater zu gehen. Dann ist man abends doch froh, dass man sich auf den Sack legen und filzen kann.“ „Faule Ausreden, stinkfaule Ausreden. Gib doch ruhig zu, dass uns das alles nicht interessiert. Wieso? Du bist ja nicht zu müde, um abends noch in eine Kneipe zu latschen oder in den Puff zu gehen, wo du ja bekanntlich auch nicht schläfst. Nee, nee, mein Lieber, wir wollen einander keinen Wind vormachen und das Kind beim richtigen Namen nennen.“ Wir schweigen. Sehen über das Wasser. Die afrikanische Küste steigt aus dem Blau, und die Sonnenscheibe schiebt sich blutrot an der Kimm empor. „Komm, Valentin, wir gehen schlafen.“ Von der Brücke glast es zwei Schläge – Fünf Uhr.
Die Wachen und Tage vergehen im Gleichmaß der Zeit. Den Äquator haben wir überquert. Sang- und klanglos. Auf einem deutschen Schiff ist das immer ein Fest, allerdings auch nur ein Grund, um sich wieder einmal anständig zu besaufen. Für mitfahrende Passagiere ein Grund, um Bier und Schnaps für die Besatzung springen zu lassen. Als Gegengeschenk wird ihnen nach der täuflichen Drangsalierung ein bunt bedruckter Taufschein überreicht, der sie mit dem Namen irgendeines Meerungeheuers bedenkt. Auf ausländischen Trampfahrern, gar noch unter der Panamaflagge, gibt es so einen Firlefanz nicht, obwohl wir einer zünftigen Sauferei und anschließendem Beischlaf mit den weiblichen Passagieren nicht abgeneigt wären. –
Wir laufen zum Bunkern für einige Stunden Kapstadt an. Bunkern Kohle, für uns eine mörderische Schinderei. Übernehmen Frischproviant, das meiste sind natürlich Konserven ... und Hammelfleisch. Landgang unmöglich. Abends sind wir wieder auf offener