»Alles, was Sie mir sagen, fügte sie hinzu, beweist mir, daß Sie mich sehr lieben; aber ich weiß nicht, weshalb Sie dies so trüb stimmt, während Ihre Liebe mir ein unendliches Vergnügen macht. Sie wollten mich aus Ihrer Gegenwart verbannen, weil Sie Ihre Liebe fürchten. Was würden Sie dann aber tun, wenn Sie mich haßten? Trifft mich eine Schuld, weil ich Ihnen gefalle? Und wenn die Liebe, die ich Ihnen eingeflößt, ein Verbrechen ist, so versichere ich Ihnen, daß ich nicht die Absicht gehabt, eins zu begehen, und daher können Sie mich mit gutem Gewissen auch nicht strafen. Ich kann Ihnen auch nicht verschweigen, daß ich mich sehr darüber freue, daß Sie mich lieben. Können wir den Gefahren, die ich wohl kenne, nicht trotzen? Ich wundere mich, daß dies mir unwissenden Person nicht schwer erscheint, während Sie, der, wie alle sagen, so gelehrt ist, sich so sehr davor fürchten. Ich wundere mich, daß die Liebe, die doch keine Krankheit ist, Sie krank machen kann und auf mich aber eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervorbringt. Oder sollte ich mich täuschen und das, was ich für Sie fühle, etwas andres als Liebe sein? Als ich heute morgen zu Ihnen kam, war ich so heiter, wie Sie mich noch nie gesehen, weil ich die ganze Nacht von Ihnen geträumt; das hat mich jedoch nicht gehindert zu schlafen; nur bin ich fünf- oder sechsmal aufgewacht, um mich zu überzeugen, ob mein Traum wahr sei, denn ich träumte, daß ich bei Ihnen wäre; wenn ich sah, daß dies nicht der Fall, schlief ich rasch wieder ein, um wieder zu meinem Traume zu gelangen, und dies gelang mir auch. Hatte ich also heute morgen nicht Grund, heiter zu sein? Wenn, mein lieber Abbé, für Sie die Liebe eine Qual ist, so tut es mir leid; oder sollten Sie vielleicht bestimmt sein, nicht zu lieben? Ich werde alles tun, was Sie befehlen, nur werde ich, sollte auch Ihre Heilung davon abhängen, nicht aufhören, Sie zu lieben, weil dies nicht möglich ist. Wenn Sie aber, um gesund zu werden, mich nicht mehr lieben dürfen, so tun Sie, was in Ihrer Macht steht, denn ich will lieber, daß Sie leben und nicht lieben, als daß Sie vor zu großer Liebe sterben. Aber sehen Sie erst zu, ob Sie nicht ein andres Mittel finden, denn das, welches Sie mir vorgeschlagen haben, betrübt mich. Bedenken Sie sich, vielleicht gelingt es Ihnen, ein weniger schmerzliches zu finden. Geben Sie mir ein ausführbares an die Hand und vertrauen Sie auf Lucia.«
Diese wahre, naive und natürliche Rede überzeugte mich, wie sehr die Beredsamkeit der Natur der der philosophischen Bildung überlegen ist. Ich drückte das himmlische Mädchen zum ersten Male in meine Arme und sagte: »Ja, teure Lucia, du kannst dem Leiden, welches mich verzehrt, die süßeste Erleichterung bringen; gib deinen göttlichen Mund, welcher mir versichert, daß du mich liebst, meinen glühenden Küssen hin.«
So verbrachten wir eine Stunde in einem köstlichen Schweigen, welches nur durch die von Lucia von Zeit zu Zeit wiederholten Worte: »O mein Gott, ist es wahr, daß ich nicht träume?« unterbrochen wurde.
Ich hörte nicht auf, ihre Unschuld zu achten, und vielleicht gerade deshalb, weil sie sich ganz und ohne den geringsten Widerstand hingab. Endlich aber, sich sanft aus meinen Armen losmachend, sagte sie mit dem Ausdruck der Unruhe: »Mein Herz fängt an zu sprechen, ich muß gehen«, und stand augenblicklich auf.
Als sie sich etwas in Ordnung gebracht, setzte sie sich, und einige Augenblicke später kam ihre Mutter, welche mir über mein gutes Aussehen und meine frische Farbe Komplimente machte und sodann zu ihrer Tochter sagte, sie möchte sich zur Messe ankleiden. Nach einer Stunde kam Lucia wieder und sagte, das Wunder, welches sie bewerkstelligt, mache sie ganz glücklich und sie sei stolz darauf; denn mein jetziger Zustand der Gesundheit überzeuge sie mehr von meiner Liebe als der erbarmenswerte, in welchem sie mich heute morgen gefunden.
»Wenn dein vollkommenes Glück«, fügte sie hinzu, »nur von mir abhängt, so genieße, ich habe dir nichts abzuschlagen.«
Als sie mich zwischen Trunkenheit und Furcht schwankend verlassen hatte, bedachte ich, daß ich am Rande eines Abgrundes stände und daß ich einer übernatürlichen Kraft bedürfte, um nicht in ihn hineinzufallen. Ich blieb während des ganzen Septembers in Pasean, und die elf oder zwölf letzten Nächte meines dortigen Aufenthalts brachte ich im ruhigen und freien Besitze Lucias zu, die, nachdem sie sich überzeugt, daß ihre Mutter schlafe, zu mir kam und in meinen Armen die köstlichsten Stunden verbrachte. Meine Glut, weit entfernt, abzunehmen, vermehrte sich durch meine Enthaltsamkeit, die zu bekämpfen sie alles mögliche tat. Sie konnte, so schien es mir, die Süßigkeit der verbotenen seltenen Frucht nur dann recht kosten, wenn sie diese nicht völlig pflücken ließ, und die Wirkung einer beständigen Berührung war zu stark, als daß ein junges Mädchen zu widerstehen vermocht hätte. Auch tat Lucia alles mögliche, um mich auf falsche Fährte zu führen, indem sie mir sagte, ich hätte schon die äußersten Gunstbezeigungen genossen, und ich erreichte das Ende meines dortigen Aufenthalts, ohne so süßen Versuchungen gänzlich zu unterliegen. Bei meiner Abreise von Pasean versprach ich ihr, im nächsten Frühjahr wiederzukommen. Als ich aber später wiederkam, hörte ich zu meinem Schrecken, daß Lucia mit dem Läufer des Grafen entflohen, nachdem durch ihre Körperbeschaffenheit ihre Verführung offenbar. Ich war nicht mehr stolz auf meine Selbstbeherrschung, sondern schämte mich ihrer. Untröstlich machte mich der Gedanke, daß ich das Mädchen vielleicht ins Elend gejagt. Erst nach einundzwanzig Jahren sollte ich sehen, was ich angerichtet: Als ich mich in Amsterdam aufhielt, besuchte ich eines Tages eine Musikhalle. Mein Begleiter nannte einmal laut meinen Namen, da stellte sich eines jener unseligen Geschöpfe vor mich hin, rief mich mit trauriger Stimme an, und trotz des schlechten Lichtes erkannte ich Lucia: sie war zur gemeinen Matrosendirne geworden, verdorben durch Laster und Krankheit, ein Gegenstand des Ekels.
3
Annita und Marietta
Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Venedig schwärmte ich wieder um Angela, mit welcher ich so weit zu kommen hoffte, wie mit Lucia. Ihre beiden Freundinnen, mit denen zusammen sie die Sticklehrerin besuchte, waren in all ihre Geheimnisse eingeweiht, und da sie die Strenge Angelas tadelten, klagte ich ihnen mein Leid und offenbarte ihnen das verzehrende Feuer meiner Liebe, was ich in Angelas Gegenwart nicht zu tun wagte. Wahre Liebe flößt immer Zurückhaltung ein; man fürchtet, übertrieben zu erscheinen, wenn man alles sagt, der bescheidene Liebhaber sagt aus Furcht, zu viel zu sagen, oft zu wenig. Die Sticklehrerin, eine alte Frömmlerin, machte den Onkel Angelas auf meine Besuche aufmerksam, so daß mir der eines Tages bedeutete, diese könnten dem Rufe seiner Nichte schaden. Das traf mich wie ein Donnerschlag. Aber die Freundinnen wußten meiner Liebe Rat. Sie waren Waisen und lebten im Hause ihrer Tante, Madame Orio, welche zwar aus gutem Hause stammte, aber nicht besonders reich war. Diese Dame wünschte nun in die Liste der adligen Damen eingetragen zu werden, welche sich um die Gnadenbewilligungen der Brüderschaft des heiligen Sakramentes bewarben. Da Angela, welche jeden Sonntag bei Madame Orio zu Besuch weilte, nun der Dame mitteilte, ich unterhielte die besten Beziehungen mit dem Präsidenten, Herrn von Malpiero, glaubte Madame Orio nichts gefährliches darin zu sehen, wenn sie mich in ihr Haus einlud, trotz meiner Liebe zu einer ihrer Nichten, was Angela ihr eingeredet hatte. Ich wurde also mit Madame Orio und ihrem alten Freunde, dem Prokurator Rosa, bekannt. Mit Hilfe der Therese Imer erlangte ich von meinem Gönner Genehmigung des Gesuchs der Madame Orio, und als ich damit ins Haus trete, übergibt mir Annita ein Billett mit der Bitte, ich möchte es noch lesen, bevor ich das