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Bellino
Ich war im glücklichsten Schwunge meines Lebens: beliebt bei Seiner Eminenz, beliebt bei den Damen und Herren der hohen römischen Gesellschaft; es konnte mir jedermann die sicherste Laufbahn zu allen Würden voraussagen. Aber leider ist das Geschick unerbittlich. Die Tochter meines Lehrers, bei dem ich Französisch lernte, hatte mich gebeten, einige Nachrichten an ihren Geliebten zu übermitteln, von dem sie durch ihren überaus strengen Vater ferngehalten wurde. Ich tat's einige Male, wenn auch ungern, und dieser kleine Liebesdienst ließ das Mädchen in mir einen wohlwollenden Freund sehen. Das wurde verhängnisvoll für mich. Die beiden Liebenden hatten sich zur Flucht verabredet. In der Nacht aber, als sie zur Ausführung schritten, lauerten Sbirren dem Pärchen auf; sie faßten aber nur die alte Magd, während das Mädchen, in der Kleidung eines Abbés, sich in den spanischen Palast, in mein Zimmer rettete. Sie blieb die Nacht bei mir, und obwohl wir zusammen in einem Bett schliefen, erfuhr ich hier: das Mitleid vermag auch die ungestümste Begierde zum Schweigen zu bringen, trotz des Anblicks aller Reize, welche sie zum höchsten Grade der Erregung steigern können. Es gelang mir. das Mädchen am andern Morgen, auf die listigste Weise, ohne daß jemand etwas merkte, unter den Schutz des Kardinals zu bringen, der sich ihrer aufs freundlichste annahm und sie in ein Kloster bringen ließ. Aber es war bekannt geworden, daß ich mit ihr und dem Entführer, einem jungen Doktor, in Verbindung stand, und so vermutete jeder, ich habe an der Intrige teilgenommen. Es war eine Verleumdung, und so sichere Beweise ich dagegen brachte: man will nicht das wissen, was die Verleumdung zerstört, sondern das vielmehr, was sie befestigt, denn man liebt sie in der heiligen Stadt. Kurz, dadurch wurde mein weiterer Aufenthalt in Rom unmöglich, bei allem Wohlwollen mußte mir der Kardinal eröffnen, daß ich ihn und Rom verlassen müsse, als Zeichen seiner Achtung aber verspreche er mir, zu jedermann zu sagen, ich sei in einem wichtigen Auftrage verreist; ich konnte mir das Land aussuchen, wohin ich wollte, überallhin könne er mir die besten Empfehlungen mitgeben. Ich war so verärgert, daß ich Seiner Eminenz am andern Tag Konstantinopel angab, wohin ich geschickt sein wollte. Der Kardinal lächelte fein und ließ mir bei meiner Abreise einen Paß nach Venedig übergeben und einen versiegelten Brief an Osman Bonneval, Pascha von Karamanien, in Konstantinopel. Wenn ich auch allen die Adresse zeigte, es glaubte mir niemand, daß ich nach Konstantinopel ginge. Außerdem erhielt ich noch siebenhundert Zechinen, so daß ich mit etwa tausend im ganzen aufbrach, um meiner Vaterstadt zuzueilen. Als ich in Ankona anlangte, müde in einem Gasthause abstieg, wurde ich durch einen Disput mit dem Wirte mit einem Kastilianer Sancio Pico bekannt. Im Laufe des Gesprächs sagte er mir, wenn ich gute Musik hören wolle, möchte ich ihm ins benachbarte Zimmer folgen, wo die erste Sängerin wohne. Das Wort Sängerin interessiert mich, und ich folge ihm. Ich sehe an einem Tische eine Frau von einem gewissen Alter mit zwei jungen Mädchen und zwei Knaben sitzen, aber ich suche vergeblich die Sängerin, welche Don Sancio Pico mir vorstellt, indem er mir einen der beiden Knaben zeigt, der von entzückender Schönheit war und höchstens siebzehn Jahre alt sein konnte. Ich glaubte, es wäre ein Kastrat, der, wie in Rom, alle Funktionen einer ersten Sängerin versähe. Die Mutter stellte mir ihren anderen, ebenfalls sehr niedlichen Sohn vor, der männlicher war als der Kastrat, obwohl er jünger war, er hieß Petron. Dieser stellte in weiterer Fortsetzung der Umwandlung die erste Tänzerin vor. Das älteste der beiden Mädchen, welche mir die Mutter ebenfalls vorstellte, hieß Cäcilie und lernte die Musik, sie war noch sehr jung; ihre jüngere Schwester, namens Marina, war aber kräftiger als sie, und war wie ihr Bruder dem Dienste Terpsichorens geweiht; beide waren sehr hübsch. Diese Familie war aus Bologna und lebte von den Früchten ihrer Talente; die Gefälligkeit und die Heiterkeit ersetzten ihnen den Reichtum. Bellino, so hieß der Kastrat, gab den dringenden Bitten Don Sancios nach, stand vom Tische auf, setzte sich an sein Klavier und sang mit einer Engelsstimme und mit bezaubernder Grazie. Der Kastilianer hörte mit geschlossenen Augen und in einer Art Exstase zu; aber ich war weit entfernt, die Augen zu schließen, sondern bewunderte vielmehr die Bellinos, welche schwarz und feurig Funken zu schleudern schienen, von denen ich mich entzündet fühlte. Ich entdeckte an ihm mehrere Züge Lucrezias und alles an ihm ließ mich auf ein schönes Weib schließen, denn sein Mannesanzug verbarg sehr schlecht die schöne Brust; trotz der mir gemachten Mitteilung setzte ich mir daher auch in den Kopf, daß der angebliche Bellino eine verkleidete Schönheit wäre und da meine Phantasie den höchsten Schwung nahm, wurde ich ganz in ihn verliebt. Nachdem ich zwei köstliche Stunden verlebt, entfernte ich mich mit dem Kastilianer, welcher mich in mein Zimmer begleitete und mir beim Abschied sagte, er reise in der Früh, komme aber übermorgen zum Abendessen wieder zurück. Ich wünschte ihm eine glückliche Reise und sagte, wir würden uns wohl unterwegs begegnen, denn ich würde wohl übermorgen abreisen, sobald ich meinem Bankier einen Besuch abgestattet. Ich legte mich nieder, erfüllt von dem Eindrucke, den Billino auf mich gemacht; ich bedauerte, abreisen zu müssen, ohne ihm den Beweis liefern zu können, daß ich mich nicht durch eine Erdichtung habe täuschen lassen. Bei dieser Stimmung mußte ich mich sehr angenehm überrascht finden, als ich ihn am Morgen, sobald ich meine Tür geöffnet, bei mir eintreten sah. Er bot mir seinen jungen Bruder zur Bedienung während meines Aufenthaltes an. Ich willigte gern ein und schickte den Knaben sogleich Kaffee für die ganze Familie holen. Ich lasse Bellino sich auf mein Bett setzen, um ihm Schmeicheleien zu sagen und ihn als Mädchen zu behandeln, aber da kommen die beiden Schwestern und stürzen auf mich zu: das störte meine Pläne. Indes bildete das Trio vor meinen Augen ein Tableau, welches mir nicht mißfallen konnte; es war die Schönheit ohne Schminke und die naive natürliche Fröhlichkeit in drei verschiedenen Formen; sanfte Vertraulichkeit, theatralischer Charakter, hübsche Scherze und die kleinen Bologneser Grimassen, welche ich noch nicht kannte. Dies war alles reizend und geeignet, in gute Laune zu versetzen, wenn das für mich nötig gewesen wäre. Cäcilie und Marina waren zwei niedliche Rosenknöspchen, welche, um sich zu öffnen, nur den Hauch, nicht des Zephirs, sondern Amors erwarteten, und gewiß würde ich ihnen den Vorzug vor Bellino gegeben haben, wenn ich in diesem nur einen elenden Auswurf der Menschheit oder vielmehr nur ein beklagenswertes Opfer priesterlicher Grausamkeit gesehen hätte; denn trotz ihrer Jugend trugen diese beiden liebenswürdigen Mädchen auf ihrem entstehenden hübschen Busen das Bild früher Reife. Bald kam auch Petron zurück, ich gab ihm eine Zechine, um den Kaffee zu bezahlen, den Rest schenkte ich ihm, wofür er mir mit einem Kuß dankte, woran ich sofort den Buhlknaben erkannte. Ich enttäuschte ihn aber in seiner Erwartung, ohne daß er gedemütigt schien. Sobald ich imstande war, mich zu zeigen, glaubte ich der gefälligen Mutter einen guten Morgen wünschen zu müssen. Ich ging in ihr Zimmer und machte ihr Komplimente über ihre Kinder. Sie dankte mir für das Geschenk, welches ich ihrem Sohne gemacht, und begann mir ihre Not zu klagen.
»Der Theaterunternehmer«, sagte sie, »ist ein Barbar, welcher mir für den ganzen Karneval nur fünfzig römische Taler hat geben wollen. Wir haben sie für unseren Lebensunterhalt aufgebraucht und können nun zu Fuße und bettelnd nach Bologna zurückkehren.«
Diese Mitteilung rührte mich; ich zog aus meiner Börse einen goldenen Quadrupel und gab ihn ihr, worüber sie Tränen der Dankbarkeit weinte.
»Ich verspreche Ihnen einen andern, Madame, für eine Mitteilung«, sagte ich; »gestehen Sie, daß Bellino ein verkleidetes hübsches Weib ist.«
»Seien Sie überzeugt, daß er es nicht ist, aber er sieht so aus.«
»Er hat das Aussehen und den Ton, Madame, denn ich verstehe mich darauf.«
»Er ist so