»Ach was, er hat andere!«
Da wandte der junge Mann sich, über die eigenen Gedanken errötend, beschämt ab und fügte entschlossen hinzu:
»Seine Frau vergilt es ihm wohl.«
»Durchaus nicht! Sie ist anständig.«
Frédéric hatte Gewissensbisse und zeigte sich häufiger in der Redaktion.
Die großen Buchstaben, die den Namen Arnoux auf der Marmorplatte über dem Laden bildeten, schienen ihm ganz seltsam und voll Bedeutung, wie eine heilige Inschrift. Das breite, abschüssige Trottoir erleichterte ihm das Gehen, die Türen öffneten sich fast von selbst; und der vom Anfassen glatte Türgriff hatte die Weichheit und fast das Wesen einer Hand in der seinen. Unvermerkt wurde er ebenso pünktlich wie Regimbart.
Täglich setzte sich Regimbart an den Kamin in seinen Fauteuil, bemächtigte sich des »National«, gab ihn nicht mehr aus der Hand und drückte seine Gedanken durch Ausrufe oder bloßes Achselzucken aus. Von Zeit zu Zeit trocknete er sich die Stirn mit seinem wurstförmig gerollten Taschentuch, das er auf der Brust zwischen zwei Knöpfen seines grünen Überrocks trug. Er hatte eine Hose an mit Bügelfalte, Stiefeletten, eine lange Krawatte; und ein Hut mit aufgeschlagener Krempe machte ihn schon von weitem kenntlich in der Menge.
Um acht Uhr morgens stieg er die Höhen des Montmartre hinunter, um den Weißwein in der Rue Notre-Dame-des-Victoires zu trinken. Sein Frühstück, dem mehrere Partien Billard folgten, währte bis drei Uhr. Darauf begab er sich nach der Panorama-Passage, um einen Absinth zu nehmen. Nach der Sitzung bei Arnoux ging er in die Wirtschaft Bordelais, um Wermut zu trinken; dann, anstatt zu seiner Frau zurückzukehren, zog er es vor, in einem kleinen Café, Place Gaillan, allein zu speisen, wo er »häusliche Gerichte«, »Hausmannskost« vorgesetzt haben wollte! Endlich suchte er ein anderes Café auf, wo er bis Mitternacht blieb, bis ein Uhr morgens, bis zu dem Moment, wo das Gas ausgelöscht, die Fensterläden geschlossen wurden, und der erschöpfte Wirt ihn beschwor, zu gehen.
Und nicht einmal die Liebe zu Getränken zog Regimbart an diese Orte, sondern nur die alte Gewohnheit, dort über Politik zu sprechen; mit dem Alter hatte seine Begeisterung abgenommen, und nur eine mürrische Schweigsamkeit war ihm geblieben. Beim Anblick seines ernsten Gesichts hätte man glauben können, er wälze die Welt in seinem Kopf. Nichts kam dabei heraus, und niemand, selbst seine besten Freunde, sahen ihn je arbeiten, obwohl er vorgab, ein Geschäftsbüro zu halten.
Arnoux schien ihn unendlich zu schätzen. Er sagte eines Tages zu Frédéric:
»Dieser Mann weiß viel! Er ist ein bedeutender Mensch!«
Ein anderes Mal breitete Regimbart auf seinem Pult Papiere aus, die Kaolin-Minen in der Bretagne betrafen; Arnoux verließ sich auf seine Erfahrung.
Frédéric war Regimbart gegenüber von übertriebener Aufmerksamkeit, – so sehr, daß er ihm mitunter sogar einen Absinth anbot; und obwohl er ihn für beschränkt hielt, blieb er doch oft eine volle Stunde in seiner Gesellschaft, und einzig, weil er der Freund Jacques Arnoux’ war.
Nachdem er zeitgenössischen Meistern zum ersten Erfolg verholfen, hatte dieser Kunsthändler, ein Mann des Fortschritts, immer unter Wahrung der artistischen Allüren versucht, seine pekuniären Vorteile wahrzunehmen. Er trachtete nach Selbständigkeit der Kunst, nach Solidem bei wohlfeilen Preisen. Alle Pariser Luxus-Industrien waren von seinem Einfluß abhängig, der für die kleinen Dinge gut, für die großen verderblich war. Mit seiner Sucht, die Meinung zu beeinflussen, lenkte er die geschickten Künstler von ihren Zielen ab, ruinierte die Starken, beutete die Schwachen aus und machte die Mittelmäßigen berühmt; und dies alles erreichte er durch seine Verbindungen und durch seine Revue. Die Farbenkleckser strebten ehrgeizig danach, ihre Werke in seinem Fenster zu sehen, und die Dekorateure nahmen bei ihm die Modelle für Einrichtungen. Frédéric betrachtete ihn gleichzeitig als Millionär, als Dilettant und als Mann der Tat. Allein vieles setzte ihn in Erstaunen, denn dieser Monsieur Arnoux war ein gewiegter Geschäftsmann.
Er erhielt aus Deutschland oder Italien eine Leinwand, die für fünfzehnhundert Francs in Paris gekauft war, und verkaufte sie dann, indem er eine Rechnung vorlegte, die auf einen Preis von viertausend lautete, aus Gefälligkeit für dreitausendfünfhundert. Einer seiner gewöhnlichen Kniffe mit den Malern war, daß er unter dem Vorwand, eine Gravüre herausgeben zu wollen, eine Verkleinerung ihres Bildes von ihnen verlangte; er verkaufte dann die Verkleinerung, und die Gravüre erschien nie. Denen, die sich beklagten, ausgebeutet zu werden, antwortete er mit einem Klaps auf den Bauch. Im übrigen war er ein vortrefflicher Mensch, verschwendete Zigarren, duzte Unbekannte, und begeisterte er sich für ein Werk oder für einen Menschen, so war er doppelt eifrig in seinem Geschäft mit Korrespondenzen und Reklamen. Er hielt sich für sehr anständig, und in seinem Bedürfnis, sich mitzuteilen, erzählte er naiv seine Schliche.
Um einen Kollegen zu ärgern, der ein anderes Kunstblatt durch ein großes Fest einweihte, bat er Frédéric eines Tages unter seinen Augen, kurz vor Beginn der Feier, Billets zu schreiben, durch die die Gäste wieder ausgeladen werden sollten.
»Es geht nicht gegen die Ehre, wissen Sie!«
Und der junge Mann wagte nicht, ihm diesen Dienst abzuschlagen.
Am nächsten Tage, als er mit Hussonnet in sein Bureau trat, sah Frédéric durch die Tür (oben auf der Treppe) den Saum eines Kleides verschwinden.
»Bitte tausendmal um Entschuldigung!« sagte Hussonnet. »Wenn ich gewußt hätte, daß Damen hier sind…«
»O, das war meine Frau,« erwiderte Arnoux. »Sie kam im Vorübergehen herauf, mir eine kleine Visite zu machen.«
»Wie, hier?« sagte Frédéric.
»Jawohl! sie geht jetzt zurück nach Haus.«
Alles ringsum verlor plötzlich seinen Reiz. Was er eben dunkel empfand, schwand wieder oder war vielmehr niemals gewesen. Er fühlte eine unsagbare Bestürzung, einen Schmerz wie über einen Verrat.
Arnoux, der in seinem Schubfach kramte, lächelte. Machte er sich über ihn lustig? Der Kommis legte ein Paket feuchter Papiere auf den Tisch.
»Ah! Die Plakate!« rief der Kaufmann. »Ich komme heute nicht zu meinem Mittagessen.«
Regimbart nahm seinen Hut.
»Wie, Sie gehen fort?«
»Sieben Uhr!« sagte Regimbart.
Frédéric folgte ihm.
An der Ecke der Rue Montmartre drehte er sich um; er sah die Fenster der ersten Etage und lachte innerlich mitleidig über sich selber, als er sich erinnerte, mit welcher Liebe er sie oft betrachtet hatte! Wo wohnte sie denn? Wie ihr jetzt begegnen? Und stärker denn je empfand er seine Sehnsucht und namenlose Einsamkeit!
»Nehmen Sie einen?« sagte Regimbart.
»Einen Absinth?«
Und seinem Drängen nachgebend, ließ Frédéric sich in die Wirtschaft Bordalais führen. Während er, auf den Ellbogen gestützt, die Karaffe betrachtete, schweiften die Blicke seines Gefährten nach rechts und links. Da bemerkte er das Profil Pellerins auf dem Trottoir, klopfte lebhaft an die Scheibe, und kaum hatte der Maler sich gesetzt, als Regimbart ihn fragte, warum man ihn nicht mehr in der Kunsthandlung sehe.
»Lieber krepieren, als dahin zurückkehren! Das ist ein Vieh, ein Philister, ein Lump, ein Narr!«
Diese Beleidigungen taten Frédérics Zorn wohl und doch verletzen sie ihn, denn ihm schien, daß sie Madame Arnoux ebenfalls trafen.
»Was hat er Ihnen denn getan?« fragte Regimbart.
Pellerin stampfte mit dem Fuß auf den Boden und schnaufte, anstatt zu antworten.
Er ließ sich zu unsauberen Geschäften herbei, wie Porträts in zweierlei Kreide oder Nachahmungen großer Meister für wenig bewanderte Amateure anzufertigen; und da diese Arbeiten ihn demütigten, zog er es gewöhnlich vor, zu schweigen. Aber »der schmutzige Geiz« Arnoux’ erbitterte ihn. Er machte sich Luft.