Der Spieler. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189115
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Er teilte mir mit, er sei in diesem Sommer am Nordkap gewesen und habe große Lust, sich die Messe in Nischni-Nowgorod anzusehen. Ich weiß nicht, wie er mit dem General bekannt wurde; mir scheint, daß er bis über die Ohren in Polina verliebt ist. Als sie eintrat, wurde sein Gesicht rot wie der Himmel beim Aufgang der Sonne. Er freute sich sehr darüber, daß ich bei Tisch neben ihm saß, und scheint mich schon als seinen Busenfreund zu betrachten.

      Bei Tisch spielte sich der kleine Franzose stark auf und benahm sich gegen alle geringschätzig und hochmütig. Und dabei weiß ich noch recht gut, wie knabenhaft er in Moskau zu reden pflegte. Er sprach jetzt furchtbar viel über Finanzwesen und über die russische Politik. Der General raffte sich mitunter dazu auf, ihm zu widersprechen, aber nur in bescheidener Weise und lediglich in der Absicht, auf seine Würde nicht völlig Verzicht zu leisten.

      Ich befand mich in einer eigentümlichen Stimmung. Selbstverständlich legte ich mir, schon ehe noch die Mahlzeit halb zu Ende war, meine gewöhnliche, stete Frage vor: »Warum gebe ich mich mit diesem General ab und bin nicht schon längst von all diesen Menschen weggegangen?« Mitunter blickte ich zu Polina Alexandrowna hin; sie schenkte mir gar keine Beachtung. Schließlich wurde ich ärgerlich und bekam Lust, grob zu werden.

      Ich machte den Anfang damit, daß ich mich auf einmal ohne jede Veranlassung laut und ungefragt in ein fremdes Gespräch einmischte. Namentlich hatte ich den Wunsch, mich mit dem kleinen Franzosen zu zanken. Ich wandte mich an den General und bemerkte, indem ich ihn unterbrach, auf einmal sehr laut und in sehr bestimmtem Ton, es sei in diesem Sommer für Russen so gut wie unmöglich, in den Hotels an der Table d'hôte zu speisen. Der General warf mir einen verwunderten Blick zu.

      »Wenn man einige Selbstachtung besitzt«, fuhr ich fort, »so gerät man unfehlbar in Streit und setzt sich argen Beleidigungen aus. In Paris und am Rhein, sogar in der Schweiz sitzen an der Table d'hôte so viel Polen und so viel Franzosen, die mit ihnen sympathisieren, daß es unmöglich ist, ein Wort zu reden, wenn man bloß Russe ist.«

      Ich hatte das auf französisch gesagt. Der General sah mich ganz verblüfft an und wußte nicht, sollte er sich darüber ärgern oder sich nur darüber wundern, daß ich mich so vergessen hatte.

      »Es hat Ihnen gewiß irgendwo jemand eine Lektion erteilt«, sagte der kleine Franzose in nachlässigem, geringschätzigem Ton.

      »In Paris stritt ich mich einmal zuerst mit einem Polen herum«, antwortete ich, »und dann mit einem französischen Offizier, der die Partei des Polen nahm. Darauf aber ging ein Teil der Franzosen auf meine Seite über, als ich ihnen erzählte, daß ich einmal einem Monsignore hätte in den Kaffee spucken wollen.«

      »Spucken?« fragte der General mit würdevollem Erstaunen und blickte rings um sich. Der kleine Franzose sah mich ungläubig an.

      »Allerdings«, erwiderte ich. »Da ich ganze zwei Tage lang glaubte, daß ich in unserer geschäftlichen Angelegenheit möglicherweise würde für ein Weilchen nach Rom reisen müssen, so ging ich in die Kanzlei der Gesandtschaft des Heiligen Vaters in Paris, um meinen Paß visieren zu lassen. Dort fand ich so einen kleinen Abbé, etwa fünfzig Jahre alt, ein dürres Männchen mit kalter Miene; der hörte mich zwar höflich, aber sehr gleichgültig an und ersuchte mich zu warten. Obwohl ich es eilig hatte, setzte ich mich natürlich doch hin, um zu warten, zog die Opinion nationale aus der Tasche und begann eine furchtbare Schimpferei auf Rußland zu lesen. Währenddessen hörte ich, wie jemand durch das anstoßende Zimmer zu dem Monsignore ging, und sah, wie mein Abbé ihn durch eine Verbeugung grüßte. Ich wandte mich noch einmal an ihn mit meiner früheren Bitte; aber in noch trocknerem Ton ersuchte er mich wieder zu warten. Bald darauf trat noch jemand ein, kein Bekannter, sondern einer, der ein geschäftliches Anliegen hatte, ein Österreicher; er wurde angehört und sogleich nach oben geleitet. Da wurde ich nun aber sehr ärgerlich; ich stand auf, trat an den Abbé heran und sagte zu ihm in entschiedenem Ton, da der Monsignore empfange, so könne er auch mich abfertigen. Mit einer Miene des äußersten Erstaunens wankte der Abbé vor mir zurück. Es war ihm geradezu unfaßbar, wie so ein wertloser Russe es wagen könne, sich mit den andern Besuchern des Monsignore auf eine Stufe zu stellen. Im unverschämtesten Ton, wie wenn er sich darüber freute, mich beleidigen zu können, rief er, indem er mich vom Kopf bis zu den Füßen mit seinen Blicken maß: ›Meinen Sie wirklich, daß Monsignore um Ihretwillen seinen Kaffee stehenlassen wird?‹ Nun fing ich gleichfalls an zu schreien, aber noch stärker als er: ›Spucken werde ich Ihrem Monsignore in seinen Kaffee; das mögen Sie nur wissen! Wenn Sie meinen Paß nicht augenblicklich fertigmachen, so gehe ich zu ihm selbst hin.‹

      ›Wie? Während der Kardinal bei ihm ist?‹ rief der kleine Abbé, indem er erschrocken von mir wegtrat, zur Tür eilte, die Arme kreuzweis übereinanderlegte und dadurch zu verstehen gab, daß er eher sterben als mich durchlassen wolle. Da antwortete ich ihm, ich sei ein Ketzer und ein Barbar, que je suis hérétique et barbare, und all diese Erzbischöfe, Kardinäle, Monsignori usw. seien mir absolut gleichgültig. Kurz, ich machte Miene, meinen Willen durchzusetzen. Der Abbé blickte mich mit grenzenlosem Ingrimm an; dann riß er mir meinen Paß aus der Hand und ging mit ihm nach oben. Eine Minute darauf war er schon visiert. »Da ist er; wollen Sie ihn sich ansehen?« Ich zog den Paß heraus und zeigte das römische Visum.

      »Aber da haben Sie denn doch . . .«, begann der General.

      »Das hat Sie gerettet, daß Sie sich als einen Barbaren und Ketzer bezeichneten«, bemerkte der kleine Franzose lachend. »Cela n'était pas si bête.«

      »Sollen wir Russen uns so behandeln lassen? Aber unsere Landsleute sitzen hier, wagen nicht, sich zu mucken, und verleugnen wohl gar ihre russische Nationalität. Aber wenigstens in Paris, in meinem Hotel, gingen die Leute mit mir weit respektvoller um, nachdem ich allen mein Renkontre mit dem Abbé erzählt hatte. Ein dicker polnischer Pan, der an der Table d'hôte am feindseligsten gegen mich aufgetreten war, sah sich völlig in den Hintergrund gedrängt. Die Franzosen nahmen es sogar geduldig hin, als ich erzählte, daß ich vor zwei Jahren einen Menschen gesehen hätte, auf den im Jahre 1812 ein französischer Chasseur geschossen habe, einzig und allein, um sein Gewehr zu entladen. Dieser Mensch war damals noch ein zehnjähriger Knabe gewesen, und seine Familie hatte nicht Zeit gefunden, aus Moskau zu flüchten.«

      »Das ist unmöglich!« fuhr der kleine Franzose auf. »Ein französischer Soldat wird nie auf ein Kind schießen!«

      »Und es ist trotzdem wahr«, erwiderte ich. »Der Betreffende, nun ein achtungswerter Hauptmann a. D., hat es mir selbst erzählt, und ich habe auf seiner Backe die Schramme von der Kugel selbst gesehen.«

      Der Franzose opponierte mit großem Wortschwall und in schnellem Tempo. Der General wollte ihm dabei behilflich sein; aber ich empfahl ihm, beispielsweise einzelne Abschnitte aus den Memoiren des Generals Perowski zu lesen, der sich im Jahre 1812 in französischer Gefangenschaft befunden hatte. Endlich begann Marja Filippowna, um dieses Gespräch abzubrechen, von etwas anderem zu reden. Der General war sehr unzufrieden mit mir, weil ich und der Franzose schon beinahe ins Schreien hineingeraten waren. Aber Mister Astley hatte, wie es schien, an meinem Streit mit dem Franzosen großes Gefallen gefunden; als wir vom Tisch aufstanden, lud er mich ein, mit ihm ein Glas Wein zu trinken.

      Am Abend gelang es mir, wie das ja auch dringend erforderlich war, eine Viertelstunde lang mit Polina Alexandrowna zu sprechen. Unser Gespräch kam auf dem Spaziergang zustande. Alle waren in den Park zum Kurhaus gegangen. Polina setzte sich auf eine Bank, der Fontäne gegenüber, und gestattete der kleinen Nadja in ihrer Nähe mit anderen Kindern zu spielen. Ich ließ Mischa gleichfalls zur Fontäne gehen, und so blieben wir beide endlich allein.

      Zuerst begannen wir natürlich von den geschäftlichen Angelegenheiten zu reden. Polina wurde geradezu böse, als ich ihr insgesamt nur siebenhundert Gulden einhändigte. Sie hatte mit Bestimmtheit geglaubt, ich würde ihr aus Paris als Erlös von der Verpfändung ihrer Brillanten mindestens zweitausend Gulden oder sogar noch mehr mitbringen.

      »Ich brauche unter allen Umständen Geld«, sagte sie. »Beschafft muß es werden; sonst bin ich einfach verloren.«

      Ich fragte, was sich an Ereignissen während meiner Abwesenheit zugetragen habe.

      »Weiter nichts, als daß wir aus Petersburg zwei