Er machte absichtlich eine Bewegung und murmelte etwas vor sich hin, um nicht den Anschein zu er wecken, daß er hier lauere; dann läutete er zum drittenmal, solid und nicht zu laut, und ganz ohne Ungeduld. Dieser Augenblick prägte sich für immer grell und klar seinem Gedächtnisse ein. Er konnte später nie begreifen, wie er mit solcher List und Vorsicht hatte handeln können, während seine Vernunft im Verlöschen war und er selbst seinen Körper nicht mehr fühlte ... Einen Augenblick später hörte er, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde.
VII
Die Tür ging auf und ließ, wie bei seinem ersten Besuch, nur einen schmalen Spalt offen. Zwei scharfe mißtrauische Augen richteten sich auf ihn aus der Dunkelheit. Raskolnikow verlor die Selbstbeherrschung und machte einen Fehler.
Er fürchtete, daß die Alte vor ihm Angst bekäme und daß seine Gestalt ihr wenig Vertrauen einflöße. Damit sie die Tür nicht wieder zuschlüge, ergriff er die Türklinke und zog sie zu sich. Die Alte machte keine Gegenbewegung, sie ließ jedoch auch ihre Klinke nicht aus der Hand, so daß er sie mit der Tür beinahe auf den Flur hinauszog. Als er sie mitten in der Tür stehen und ihm so den Eingang versperren sah, ging er auf sie zu. Sie taumelte erschrocken zurück und schien etwas sagen zu wollen, sagte aber nichts und sah ihn nur durchdringend an.
»Guten Abend, Aljona Iwanowna«, begann er möglichst ungezwungen. Aber er verlor die Gewalt über seine Stimme, und sie begann zu zittern. »Ich habe Ihnen da ... einen Gegenstand gebracht ... Wollen wir lieber hineingehen ... zum Licht ...« Er schob sie zur Seite und ging ohne Aufforderung in die Wohnung. Sie lief ihm nach; ihre Zunge löste sich.
»Mein Gott! Was wollen Sie da? ... Wer sind Sie? Was wünschen Sie?«
»Erlauben Sie, Aljona Iwanowna, Sie kennen mich ja! ... Raskolnikow ... da habe ich Ihnen das Pfand gebracht, wie neulich versprochen ...« Mit diesen Worten reichte er ihr den Gegenstand.
Die Alte warf einen Blick auf das Paket und blickte dann den ungebetenen Gast wieder durchdringend an. Sie betrachtete ihn aufmerksam, feindselig und mißtrauisch. So verging eine Minute; da schien ihm, daß sie lächelte, als hätte sie alles erraten. Er fühlte, wie er den Boden unter sich verlor und von einem namenlosen Entsetzen ergriffen wurde. Wenn sie ihn noch eine halbe Minute so angestarrt hätte, ohne ein Wort zu sprechen, wäre er davongelaufen.
»Was starren Sie mich so an? Erkennen Sie mich nicht?« sagte er mit verhaltener Wut. »Wenn Sie wollen, nehmen Sie es, wenn nicht, – gehe ich zu einer andern. Ich habe keine Zeit.«
Er sagte dies ganz automatisch ohne Überlegung.
Die Alte kam zu sich, und sein energischer Ton schien sie zu ermutigen.
»Was denn, Väterchen, so plötzlich ... Was ist's denn?« fragte sie mit einem Blick auf das Pfand.
»Ein silbernes Zigarettenetui; ich habe Ihnen davon erzählt.«
Sie streckte ihre Hand aus.
»Warum sind Sie denn so blaß? Auch zittern Ihre Hände! Haben Sie ein Bad genommen?«
»Ich habe Fieber«, sagte er kurz. »Man muß schon blaß aussehen ... wenn man nichts zu essen hat«, fügte er mit schwacher Stimme hinzu. Seine Kräfte verließen ihn wieder. Seine Antwort erschien ihr glaubwürdig; die Alte nahm das Pfand in die Hand.
»Was ist es denn?« fragte sie wieder, Raskolnikow aufmerksam musternd und das Pfand mit der Hand auf sein Gewicht prüfend.
»Ein Pfand ... Ein Zigarettenetui ... aus Silber ... Schauen Sie nach.«
»Es scheint doch nicht Silber zu sein ... Wie er das nur verschnürt hat!«
Sie machte sich nun an der Verschnürung zu schaffen und wandte sich zum Fenster (trotz der drückenden Luft waren alle Fenster zu), ihm für einige Augenblicke den Rücken kehrend. Er knöpfte seinen Mantel auf, nahm das Beil aus der Schlinge und hielt es mit der Rechten unter dem Mantel bereit. Seine Hände waren wie gelähmt; er spürte, wie sie mit jedem Augenblick starrer und hölzerner wurden. Er fürchtete, das Beil fallen zu lassen ... plötzlich schwindelte ihm der Kopf.
»Wie er das nur verpackt hat!« rief die Alte geärgert und wandte sich halb zu ihm.
Er durfte keinen Augenblick mehr verlieren. Er zog das Beil hervor, hob es mit beiden Händen hoch und ließ es dann ganz ohne Anstrengung halb mechanisch mit dem Rücken auf den Kopf der Alten niederfallen. Es kostete ihn gar keinen Kraftaufwand. Kaum hatte er aber das Beil einmal fallen gelassen, als er auch Kräfte in sich spürte.
Die Alte war, wie immer, barhäuptig. Ihr helles, leicht ergrautes dünnes Haar war stark eingefettet und zu einem dünnen Zopf geflochten, der mit einem zerbrochenen Hornkamm im Nacken festgesteckt war. Der Schlag traf sie direkt auf den Scheitel, denn sie war klein gewachsen. Sie schrie schwach auf und setzte sich plötzlich auf den Boden; sie hatte noch die Kraft, beide Hände zum Kopf zu heben. In der einen Hand hielt sie noch immer das Pfand. Da schlug er sie zum zweiten- und zum drittenmal immer mit dem Beilrücken und immer auf den Scheitel. Das Blut lief wie aus einem umgefallenen Glas, und der Körper fiel auf den Rücken. Er trat etwas zurück, ließ dem Körper Zeit, ganz umzusinken, und beugte sich dann über ihr Gesicht; sie war tot. Die Augen traten so stark aus ihren Höhlen hervor, als ob sie herausspringen wollten; die Stirn und das ganze Gesicht waren runzlig und vom Todeskampf entstellt.
Er legte das Beil auf den Fußboden neben der Toten nieder und steckte seine Hand in ihre rechte Tasche, aus der sie bei seinem vorigen Besuch ihre Schlüssel hervorgeholt hatte; er gab sich die größte Mühe, um sich nicht mit dem Blut zu beschmieren. Er war bei vollem Bewußtsein, hatte weder Kopfschwindel noch Schwächeanfälle, aber seine Hände zitterten noch. Er war sogar, wie er sich später erinnerte, sehr aufmerksam und vorsichtig und gab sich immer Mühe, Blutflecken zu vermeiden ... Bald hatte er die Schlüssel in den Händen, es war das ihm bekannte Schlüsselbund auf einem Stahlreifen. Er eilte sofort in die Schlafkammer. Es war ein ganz kleiner Raum mit einem großen Heiligenschrein. An der anderen Wand stand ein großes, sehr sauberes Bett mit einer aus Seidenflecken zusammengesetzten wattierten Decke. An der dritten Wand stand eine Kommode. Im Augenblick, als er sich an der Kommode zu schaffen machte und das Rasseln der Schlüssel hörte, ging ein krampfartiges Zucken durch seinen Körper. Er wollte schon wieder alles im Stich lassen und davonlaufen. Es war nur ein kurzer Augenblick; auch war es schon zu spät, umzukehren. Er lächelte über diesen Gedanken, da kam ihm aber gleich ein anderer: wenn nun die Alte noch lebt und zu sich kommt! Er ließ das Schlüsselbund bei der Kommode, eilte zur Leiche, erhob das Beil, ließ es aber nicht niederfallen. Er zweifelte nicht, daß sie tot sei. Er sah sie sich genauer an und bemerkte, daß der Schädel gespalten und sogar etwas verrenkt war. Er wollte ihn betasten, zog aber die Hand gleich wieder zurück; er konnte es ja auch so sehen. Das Blut hatte inzwischen eine große Lache gebildet. Plötzlich bemerkte er auf ihrem Hals eine Schnur. Er zog an ihr, doch sie war zu fest und riß nicht, auch war sie mit Blut durchtränkt. Er versuchte, die Schnur herunterzuzerren, es gelang ihm aber nicht, denn er stieß auf einen Widerstand. In seiner Ungeduld griff er wieder zum Beil, um die Schnur direkt auf dem Körper entzweizuhauen, aber er wagte nicht, es zu tun. Er arbeitete noch einige Minuten, und endlich gelang es ihm, die Schnur zu zerschneiden, ohne den Körper mit dem Beil zu berühren; er beschmierte sich dabei seine Hände und auch das Beil mit dem Blut. Er hatte sich nicht geirrt: da war ein Beutel. An der Schnur hingen zwei Kreuze – eins aus Zypressenholz und eins aus Messing, ein kleines Heiligenbild aus Email und ein kleiner schmieriger Geldbeutel aus Sämischleder mit Stahlbügel und Ring. Der Beutel war ganz vollgestopft. Raskolnikow steckte ihn ein, ohne ihn näher zu untersuchen; die Kreuze warf er der Alten auf die Brust. Dann ging er mit dem Beil in die Schlafkammer.
Er hatte große Eile. Er nahm wieder