Es ängstigte sie nun nicht mehr ihn zu berühren. Sie fühlte sich, als ob sie einen Krieg gewonnen hatte. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Kraft es den Mann kostete, der Stimme zu trotzen, die in ihm triumphierte. Odile feierte ein Freudenfest in ihrem Kerker und ihr Lachen hieb tiefe Wunden in seine innere Sicherheit. Für ihn fühlte es sich an wie die schlimmste Tracht Prügel, die er je erhalten hatte. Und es gab kein Loch mehr, in das er sich kauern konnte. So hielt er still und steckte Treffer um Treffer ein, während ihm immer klarer wurde, dass es keinen Ausweg gab.
....
In seiner eigenen Hölle gefangen, brachte er sie auf den Berg zurück. Blickte man Mira an, das konnte man sehen, wie sicher sie wirkte. Wie aufrecht sie ihren Kopf hielt. Doch blickte man ihn an, dann war da nichts in seinen Augen! Nichts außer Schwärze! Und die die ihn kannten, fürchteten um das Leben der Frau!
5 Ein letztes Zaudern
Es war Nacht geworden auf dem Berg. Die letzten Stunden des Tages hatte Dogan allein verbracht. Tief im Berg war sein Revier. In der ersten Ebene befand sich der Kerker. Tief darunter verborgen lagen unzählige verborgene Räume, zu denen nur er Zugang haben sollte. Seine Zähne knirschten vor Wut als ihm ein weiteres Mal bewusst wurde, dass Farq ohne den geringsten Respekt seine Sachen auch von hier hatte fortschaffen lassen. Noch nie zuvor war er so tief in Dogans Reich eingedrungen!
Doch für diesen Moment schob Dogan all das in den Hintergrund. Das Gemäuer um ihn herum schwieg und schirmte alle Geräusche ab, die von oben kamen. Hier blendete Dogan die Stimme aus, die ihn quälte. Heute kostete ihn das kaum Kraft. Odile schien ihm in der Vorfreude über ihren baldigen Sieg eine Pause zu gönnen und ließ ihm freies Geleit in seine eigenen schwarzen Gedanken. Er versuchte nicht einmal mehr einen Ausweg zu finden. Es gab keinen. Irgendwann erhob er sich. Es war Zeit, diese Farce zu beenden.
Sein Schritt war schwer und ihm war klar, dass überall auf dem Berg seine Männer innehielten und warteten wohin er sich wenden würde. Es war totenstill und niemand begegnete ihm auf seinem Weg durch die langen Flure.
Schließlich stand er vor der Tür, durch die er nicht gehen wollte. Lange Zeit stand er einfach da und starrte sie an. Er wusste, wie viele Gedanken ihn in diesen Raum zwingen wollten. Ruhig zählte er seine Atemzüge und mit jedem Atemzug schloss er alles um sich herum weiter und weiter aus. Als er den Raum betrat, lagen undurchdringliche schwarze Schatten vor der Tür. Niemand würde Mira nun noch zu Hilfe eilen können.
Als er eintrat und die leisen Atemzüge der schlafenden Frau wahrnahm, war er ruhig. Stumm hielt er inne. Er konnte sie riechen. Langsam trat er näher. Er würde ihr nicht wehtun müssen. Ein Griff in ihren Nacken und sie würden ihren Tod verschlafen. Es würde ein sanfter Tod werden.
So stand er eine ganze Zeitlang an ihrem Bett und betrachtete die Frau. Er konnte einfach nicht fassen, dass es ein so unwürdiges Wesen war, das am Ende alles zu Fall brachte. Er hoffte keinen Augenblick auf Farqs Gnade. Die konnte er ihm nicht gewähren. Starb sie, dann würde das auch Dogans Schicksal besiegeln.
Sie lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugedreht. Langsam streckte er die Hand aus und für einen winzigen Augenblick zögerte er, als ihre Haare seine Finger kitzelten. Mit ruhiger Hand schob er die Locken beiseite, bis ihr Nacken blank vor ihm lag. Ihr Hals war dünn. Er hielt seine riesige Hand dagegen und nicht eine einzige Sekunde lang hatte er den Wunsch, diesen Kopf zu streicheln. Zu deutlich stand ihre Genugtuung ihm vor Augen. Sein Blick war schwarz, sein Atem ruhig. Seine Hand glitt an den Punkt, der sie ausschalten sollte. Doch in dieser Sekunde drehte sie sich herum und wie in einem kitschigen Märchen suchte sich der verdammte Mond genau diesen Moment aus, um durch das Fenster mit seinem kalten Licht auf ihren Bauch zu scheinen.
Und genau dieses Bild, dieser Lichtfleck auf ihrem Bauch fing ihn, hielt ihn auf. Der Bauch nun deutlich sichtbar unter ihren Händen. Das Bild, das sich in ihm einbrannte, war das einer Mutter, die im Schlaf ihr Ungeborenes schützt. Und es war, als ob es genau dieses Bildes bedurfte, um ihn zu stoppen.
Ein schrilles Heulen setzte in seinem Verstand ein und er erstarrte. Wieder drehte Mira sich ein wenig und ihre Hände rutschten ab. Das war der Augenblick in dem Dogan tat, womit niemals jemand gerechnet hätte. Er legte seine Hand auf ihren Bauch und sofort fühlte der Schlächter das Wesen, das sich darin befand. Geschützt im Dunkeln schwimmend, umhüllt von Mutters Körper. Mit Liebe erwartet. Langsam sank Dogan vor dem Bett auf die Knie ohne seine Hand von ihr zu nehmen. In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er niemals so erwartet worden war und seine Finger zuckten.
Wie es sich wohl anfühlte, etwas in sich zu tragen das man liebte und beschützen wollte? Wütend schrie die Schwärze in ihm auf und wie um dagegenzuhalten, zuckte das Kind durch die Bauchdecke gegen seine Hand. Etwas in Dogan klirrte laut. Es war ein Ton, als ob Glas zerbrach, und Odile verstummte augenblicklich.
Minutenlang harrte er bewegungslos auf den Knien aus. Seine Hand hielt die Verbindung zu einem Wesen, das er nicht erfassen konnte. Es wollte nichts von ihm außer das Gefühl der Verbindung. An die Frau, die dieses Wesen in sich barg, verschwendete er keinen Gedanken. Er fühlte nur das winzige Lebewesen, das sich unter seiner Hand bewegte. Und während Dogan anfing, sich in dem Gefühl für das Ungeborene zu verlieren, herrschte angespannte Stille auf dem Berg. Es dauerte lange, bis er die Hand von ihrem Bauch nahm, sich aufrichtete und den Raum verließ.
Dogan und Adara
Adara erwachte, weil sie fror. Als sie die Augen öffnete, konnte sie in der Kälte den Dunst ihres Atems sehen. Sie fuhr auf, sah sich um und traf auf Dogans ruhigen Blick.
Er saß dem großen Bett gegenüber in einem der Sessel. Die schneidende Kälte ging von ihm aus. Mit einer kaum sichtbaren Bewegung bedeutete er ihr, sich umzusehen. Sie suchte nach dem König und erschrak. Wie eine Puppe hing Farq an der Wand! Er hing aufrecht und stocksteif ohne sichtbare Verletzung. Doch sein Gesicht war leichenblass und leblos. Adara wagte kaum zu atmen »Ist er tot?«, hauchte sie leise. Wortlos schüttelte Dogan den Kopf. »Nein,« sagte er dann »aber ich kann ihn im Moment nicht brauchen!« Diese wenigen so abfällig gesprochenen Worte gingen ihm so leicht über die Lippen, das Adara noch mehr erschrak. Es war, als ob nicht Dogan hier mit ihr saß, sondern ein völlig Fremder. Er konnte Farq jetzt nicht brauchen? Himmel! Es stand schlimm um sie alle, wenn Dogan eine solche Entscheidung traf. Er beobachtete sie, wusste um jeden ihrer Gedanken »Wir müssen reden!« sagte er leise »Du und ich! Ohne sein beschissenes Ego!«
Adara fror unsäglich. Sie zog die Decke enger um sich. Dieser Moment, hier und jetzt mit Dogan ängstigte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Vorsichtig schaute sie sich um. Der Raum war voller schwarzer Schatten! Und sie drängten sich um ihn.
Adara kannte Dogans Schatten, doch diese hier waren anders! Sie rochen anders, sie ... schufen eine andere Art von Dunkelheit. Sie sah ihn an und verbarg ihre Angst nicht. Er hatte Farq ausgeschaltet! Hatte Adara einfach so aus dem Gefängnis von Farqs mentaler Gewalt befreit! Ohne Aufruhr, ohne Geschrei! Niemand war hier! Niemand hatte auch nur den Hauch einer Ahnung! Niemand hatte Farq vor ihm beschützen können, und niemand würde sie beschützen! Er war mächtig – so viel mächtiger, als sie alle ahnten. Ob Farq wirklich klar war, wen er da wie einen Hofhund an der Kette hielt?
»Wer zum Teufel bist du?«, fragte sie ihn, als sein Antlitz anfing, sich zu verändern. Sie flüsterte nur noch und wagte keine schnelle Bewegung. »Wer bist du?«, fragte sie noch einmal.
»Das weißt du doch!«, entgegnete er ruhig, während die Kälte um ihn herum klirrte und seine Augen jeden Glanz verloren »Ihr alle wisst es! Ihr wollt es nur nicht aussprechen!«
»Also stimmen die Gerüchte? Du trägst ihr Mal?«
»Natürlich stimmen sie! Ich trage ihr Mal und ich trage sie!«
»Und Farq weiß es?«
Als Dogan nickte flüsterte sie »Ich habe es nicht glauben wollen ...«
Für