„Die dritte Stufe!“ knurrt das Haupt. „Immer die dritte Stufe. Alle Unordnung im Bau. Ihr Geld, Ihre Arbeitsbelohnung...“
„Ja –?“ fragt Kufalt, als nichts mehr kommt.
„Aufs Wohlfahrtsamt. Da kannst du dir jede Woche fünf Mark holen.“
„Herr Hauptwachtmeister“, fleht Kufalt „das werden Sie doch nicht tun, wo ich meine Zelle immer so fein gewienert habe!“
„Wat denn! Tu' ich. Mach' ich. Mir ganz egal. Wienern –? Ordnung mit Vögeln – hahaha!“
„Haha“, lächelt auch Kufalt gehorsam.
„Was ist“, fragt der Hauptwachtmeister und kann plötzlich Deutsch, „mit dem Netzemeister und dem neuen Netzekalfaktor?“
„Neuer Netzekalfaktor?“ fragt Kufalt. „Ist denn ein neuer da? Den hab' ich noch gar nicht gesehen.“
„Viole! Scheiß die anderen an! Zehn Minuten warst du bei denen in der Zelle!“
„Aber nein, Herr Hauptwachtmeister, ich war heute überhaupt nur zur Freistunde aus meiner Zelle!“
Der Hauptwachtmeister streicht mit dem Finger nachdenklich über das Schrankdach. Er besieht den Finger, nicht unbefriedigt, dann beriecht er ihn. Nein: es hat auch nicht eine Spur von Staub auf dem Schrank gelegen. Er besinnt sich und geht gegen die Tür. „Also Arbeitsbelohnung durch Wohlfahrt.“
Kufalt überlegt fieberhaft: ‚Sag ich jetzt nichts, so geht er und ich kann den Hunderter verstecken, aber hänge ewig bei der Wohlfahrt. Hau' ich die aber in die Pfanne, bin ich zwar den Hunderter los, kriege aber übermorgen meine Arbeitsbelohnung hier bar ausbezahlt. Aber auch nur vielleicht.’
„Herr Hauptwachtmeister...“
„He –?“
„Ich war in der Zelle – bei denen.“
Der wartet. Schließlich: „Was ist –“
„Der kriegt für den dicken Juden Briefe. Das müssen Sie mal filzen gehen.“
„Nur Briefe?“
„Er wird's ja nicht tun für die schöne Nase von dem.“
„Weißt du was?“
„Filzen müssen Sie, Herr Hauptwachtmeister. Heute noch, gleich – da finden Sie was.“
Die Tür geht auf: „Kufalt zum Arzt!“
Kufalt sieht auf den Hauptwachtmeister.
„Los!“ sagt er gnädig. „Vögel krepieren hier alle im Bau.“
„Dem Aas, dem Netzemeister, habe ich das fein besorgt“, denkt Kufalt, als er die Treppe hinunterschlurrt. „Nun hat er keine Zeit in meiner Zelle zu suchen. Ach Gott das wäre ja jetzt auch egal! Nun habe ich den Schein doch noch bei mir, verdammt!“
* * *
Erstes Kapitel – Reif zur Entlassung – 6
Erstes Kapitel – Reif zur Entlassung – 6
Der Wachtmeister sieht Kufalt über das Geländer weg nach. „Ein bisschen dalli, Kufalt! Tut, als wüsste er nicht Bescheid. Bist doch wahrhaftig genug zum Arzt gelaufen!“
‚Ist ja gar nicht wahr’, denkt Kufalt. ‚Seit der mich damals angezeigt hat wegen Simulieren, als ich den Daumen verknackst hatte und nicht stricken konnte, bin ich keine dreimal mehr bei ihm gewesen. Und ich hatte nicht Viole geschoben, ich hatte den Daumen wirklich verknackst!’
Nein, es sind schlechte Aussichten, den Schein noch irgendwie loszuwerden. Auf allen Gängen ist Hochbetrieb. Vorführung zum Direktor, zum Polizeiinspektor, zum Arbeitsinspektor, zum Arzt, zum Pastor, zum Lehrer – auf allen Stationen knallen die Riegel, knacken die Schlösser, laufen Beamte mit Listen, schieben sich Gefangene in ihren blauen Schlotterhosen lang.
‚Mir geht eben alles schief. Wenn ich mal wirklich kess bin und schneide mir eine Scheibe ab – ein richtiger Ganove werde ich doch nie...’
Unten begrüßt ihn Oberwachtmeister Petrow, ein oller Posener, schon in der Vorkriegszeit Kittchenhengst gewesen, Liebe aller Gefangenen.
„Na, Kufalt, olles Haus, is sich Zeit rum? Siehst du, is gewesen ein Blitz! Warum hat Hauptwachtmeister dir Zelle gegeben? Hättest du machen können auf der Treppe ab das kleine Endchen Knast! – Wie lange? Fünf Jahre? Mensch, Kufalt, Zeit läuft sich wie Auto; was sich kleines Mädchen freuen wird, dass du alles hast aufgespart für sie.“
Der dicke Petrow schnauft strahlend, und die Gefangenen grinsen beifällig.
„Nein, stell dich dort hin, Kufalt, Haus. Nich zu Batzke, denn ihr schwatzt, und der Olle kuckt aus Glaskasten, kuckt, kuckt! – Siehst du, hier, und drei Schritte Abstand. – Komm her, du Neuer mit Brille, willst du zu Fuß gehen auf Hamburg –? Bleib hier, mein Söhnchen, mach ein bisschen halt hier bei uns, Liebling ... Geh nicht mehr weiter.“
An die dreißig Gefangene stehen schon da, wartend auf die Arztvisite, und noch kommen immer mehr von allen Stationen dazu. Kufalt hat den kleinen Tischler, den Emil Bruhn, entdeckt und winkt ihm aus der Ferne zu.
„Das wird ja heute wieder endlos“, stöhnt er zu seinem Vordermann, „todsicher ist der Fraß eiskalt, wenn wir auf die Zelle kommen. Und heute gibt's Erbsen.“
Der vor ihm dreht sich um. Er ist ein langes Reff in einer unglaublichen Kledage, Röhren aus lauter hell- und dunkelblauen Flicken, eine Weste, die so kurz ist, dass zwischen Hosen- und Westenrand eine Handbreit Hemd hervorsieht, und eine Jacke mit Ärmeln nur bis an die Ellbogen. Darüber ein kleiner, blasser, böser Kopf.
„Dich haben sie ja beim Hausvater fein in der Mache gehabt“, sagt Kufalt. „Hast ihn wohl geärgert. – Wie lange reißt du ab?“
„Sprechen Sie mit mir?“ fragt das Reff. „Darf man denn hier sprechen?“
„Nee. Aber du darfst ruhig du zu mir sagen, unsre Kübel werden doch alle zusammen ausgeschüttet. – Wieviel musst du abreißen?“
„Ich bin zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt. Aber ich bin unschuldig, zwei Zeugen haben einen Meineid geschworen. Ich habe schon Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.“
„Das mit dem Meineid sagen wir alle, wenn wir reinkommen“, tröstet Kufalt. „Das gibt sich. – Was hat auf deinem Schild über der Zelle gestanden, vor der Verhandlung?“
„Schild –? Wie meinen Sie das? Ach so! Untersuchungsgefangener, als ein ‚U’.“
„Quatsch, das ‚U’ heißt doch nicht Untersuchungsgefangener, das heißt Unschuldiger. Und was hängt jetzt an deiner Zelle?“
„Strafgefangener. ‚S’.“
„Wieder Quatsch. Schuldiger! Das ist alles ganz einfach. Wenn du verknackt bist, bist du auch schuldig, da hilft kein Reden. Urteil ist Urteil. Rede hier bloß keinen Stuss von wegen Meineidsanzeigen, auf die süße Tour fallen wir hier nicht rein. Da sind 'ne ganze Menge, die nehmen das gewaltig sauer, wenn du so daherredest.“
„Na, erlauben Sie mal, ich bin unschuldig, meine Frau und mein Prokurist werden ein paar Jahre Zuchthaus wegen Meineid kriegen. Hören Sie mal zu, ich werde Ihnen das erzählen ...“
Aber es kommt nicht mehr zum Erzählen. Vom Glaskasten her klingt heftiges Schlüsselgeklopfe. „Herr Petrow, passen Sie gefälligst auf! Der Lange da, der Menzel, schwatzt immerzu mit dem Kufalt.“
Petrow stürzt sich wutenbrannt auf den ‚Unschuldigen’: „Soll ich dir Giftzahn ausreißen, Laster, langes, geklebtes? Bist du in Judenschule, denkst du? Glaubst du? Marsch, marsch, marsch, Linken, Rechten, Linken, Rechten in Arrestzelle, kannst du reden mit Eisen, bis Arzt kommt, Schwätziges,