Erniedrigte und Beleidigte. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189146
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Darüber wird sich mein Vater sogar freuen: er drängt mich immer, ein Amt zu übernehmen, und ich habe mich bisher immer mit Kränklichkeit ausgeredet. (Übrigens werde ich in irgendeinem Ressort bereits in den Listen geführt.) Aber wenn er sehen wird, daß die Heirat mir Vorteil gebracht und mich zu einem gesetzten Menschen gemacht hat und daß ich tatsächlich in den Dienst getreten bin, wird er sich freuen und mir verzeihen . . .«

      »Aber, Alexej Petrowitsch, haben Sie auch wohl bedacht, wie schrecklich sich jetzt das Verhältnis zwischen Ihrem und Nataschas Vater gestalten wird? Was meinen Sie, wie es heute abend in Nataschas Elternhaus zugehen wird?«

      Ich wies dabei auf Natascha hin, die bei meinen Worten leichenblaß geworden war. Ich war erbarmungslos.

      »Ja, ja, Sie haben recht; es ist schrecklich!« antwortete er. »Ich habe schon daran gedacht, und das Herz hat mir weh getan . . . Aber was soll ich tun? Sie haben recht: wenn doch wenigstens ihre Eltern uns verziehen! Wenn Sie wüßten, wie ich sie beide liebe! Haben sie mich doch ganz so behandelt, als ob sie meine Eltern wären, und nun vergelte ich es ihnen so! Ach, diese Streitigkeiten, diese Prozesse! Sie glauben gar nicht, wie unangenehm uns das jetzt ist! Und um was streiten sie sich! Wir alle lieben einander ja so sehr, und doch streiten wir uns! Sie sollten sich versöhnen; dann wäre die Sache erledigt! Wirklich, so würde ich an ihrer Stelle handeln . . . Ihre Worte haben mir einen ordentlichen Schreck eingejagt. Natascha, es ist etwas Schreckliches, was wir beide jetzt vorhaben! Ich habe das auch schon früher gesagt . . . Du bestehst selbst darauf . . . Aber hören Sie, Iwan Petrowitsch, vielleicht kann das alles zum Guten führen; was meinen Sie? Endlich müssen sie sich ja doch versöhnen! Wir werden die Versöhnung herbeiführen. So wird es sein, unfehlbar; sie werden gegen unsere Liebe nicht standhalten . . . Mögen sie uns verfluchen; wir werden doch fortfahren, sie zu lieben, und sie werden nicht standhalten können. Sie glauben gar nicht, was für ein gutes Herz mein Vater manchmal hat! Er sieht ja oft so finster aus; aber zu anderen Zeiten ist er wieder außerordentlich nett. Wenn Sie wüßten, wie freundlich er heute zu mir gesprochen und mich zu überreden gesucht hat! Und gerade heute handle ich seinem Willen zuwider; das macht mich sehr traurig. Und alles wegen dieser abgeschmackten vorgefaßten Meinungen! Es ist der reine Wahnsinn! Wenn er sie nur einmal ordentlich sähe und auch nur eine halbe Stunde mit ihr zusammen wäre! Dann würde er uns sofort alles erlauben.«

      Bei diesen Worten blickte Aljoscha zärtlich und leidenschaftlich Natascha an.

      »Tausendmal habe ich es mir mit Entzücken vorgestellt«, fuhr er in seinem Geplauder fort, »wie lieb er sie gewinnen wird, wenn er sie kennenlernt, und wie sie alle in Erstaunen versetzen wird. Es hat ja keiner von ihnen jemals ein solches Mädchen gesehen! Mein Vater ist der Überzeugung, daß sie einfach eine Intrigantin ist. Es ist meine Pflicht, ihre Ehre wiederherzustellen, und das werde ich tun! Ach, Natascha! Alle werden sie dich lieben, alle; es gibt keinen Menschen, der es fertigbringen könnte, dich nicht zu lieben«, fügte er entzückt hinzu. »Ich bin deiner zwar unwert, aber liebe mich trotzdem, Natascha; dann werde ich schon . . . du kennst mich ja! Und brauchen wir denn viel zu unserm Glück? Nein, ich glaube, ich glaube fest, daß dieser Abend uns allen Glück und Frieden und Eintracht bringen wird! Gesegnet sei dieser Abend! Nicht wahr, Natascha? Aber was ist dir? Mein Gott, was ist dir?«

      Sie war leichenblaß. Die ganze Zeit über, während Aljoscha schwatzte, hatte sie ihn unverwandt angesehen; aber ihr Blick war immer trüber und starrer geworden, ihr Gesicht immer blasser und blasser. Es kam mir vor, als ob sie zuletzt gar nichts mehr vernähme, sondern sich in einem Zustand der Geistesabwesenheit befände. Aljoschas Ausruf schien sie plötzlich aufzuwecken. Sie kam zur Besinnung, blickte um sich und stürzte plötzlich auf mich zu. Schnell und hastig, und wie wenn sie es vor Aljoscha verbergen wollte, zog sie einen Brief aus der Tasche und reichte ihn mir. Der Brief war an ihre Eltern gerichtet und schon am vorhergehenden Abend geschrieben. Während sie ihn mir gab, blickte sie mich starr an, als ob sie ihren Blick nicht von mir losreißen könne. In diesem Blicke sprach sich die vollste Verzweiflung aus; ich werde diesen furchtbaren Blick nie vergessen. Eine namenlose Angst packte mich; ich sah, daß ihr erst jetzt die Tragweite ihres Schrittes in seiner ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtsein kam. Sie machte Anstrengungen, mir etwas zu sagen, und begann auch wirklich zu reden, fiel aber auf einmal in Ohnmacht. Ich konnte sie noch auffangen. Aljoscha wurde blaß vor Schrecken; er rieb ihr die Schläfen, küßte ihr die Hände und den Mund. Nach etwa zwei Minuten kam sie wieder zu sich. Nicht weit davon hielt die Droschke, in der Aljoscha gekommen war; er rief sie herbei. Als Natascha einstieg, ergriff sie, wie von Sinnen, meine Hand, und eine heiße Träne brannte auf meinen Fingern. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Ich stand noch lange auf demselben Fleck und folgte ihm mit den Augen. Dieser Augenblick vernichtete mein ganzes Glück und zerstörte mein Leben. Das fühlte ich mit Schmerz . . . Langsam wanderte ich denselben Weg zurück zu den alten Eltern. Ich wußte nicht, was ich ihnen sagen, wie ich zu ihnen hereintreten sollte. Meine Denkkraft war erstorben; die Beine wankten mir . . .

      Das ist die ganze Geschichte meines Glückes; so endete und schloß meine Liebe. Jetzt werde ich in der unterbrochenen Erzählung fortfahren.

      Fünf Tage nach Smith' Tod siedelte ich in seine Wohnung über. Diesen ganzen Tag lang war mir sehr traurig zumute. Das Wetter war trüb und kalt: es fiel ein feuchter, mit Regen gemischter Schnee. Erst gegen Abend brach die Sonne auf einen Augenblick durch, und ein verirrter Strahl blickte, wahrscheinlich aus Neugier, in mein Zimmer. Ich fing schon an zu bereuen, daß ich hierhergezogen war. Das Zimmer war zwar groß, aber sehr niedrig, verräuchert und dumpfig und machte trotz der darinstehenden paar Möbelstücke einen unangenehm leeren Eindruck. Es kam mir gleich damals der Gedanke, daß ich mir in diesem Zimmer unfehlbar den Rest meiner Gesundheit verderben würde. Und das ist denn auch geschehen.

      Diesen ganzen Vormittag war ich mit meinen Papieren beschäftigt, die ich sichtete und ordnete. In Ermangelung einer Mappe hatte ich sie in einem Kopfkissenbezug transportiert, und dabei waren sie arg zerknittert und durcheinandergeraten. Dann setzte ich mich hin, um zu schreiben. Ich schrieb damals immer noch an meinem großen Roman; aber ich hörte bald wieder auf; mein Kopf war mit anderen Gedanken erfüllt . . .

      Ich warf die Feder hin und setzte mich ans Fenster. Die Dunkelheit brach herein, und meine Stimmung wurde immer trauriger und trauriger. Mancherlei bedrückende Gedanken bemächtigten sich meiner. Ich hatte die Empfindung, daß ich in Petersburg schließlich völlig zugrunde gehen würde. Der Frühling nahte; ich dachte: ›Könnte ich mich nur aus dieser beklemmenden Enge in die freie Natur flüchten und den Geruch der frischen Felder und Wälder einatmen, die ich so lange nicht gesehen habe; dann würde ich wieder aufleben! . . .‹

      Es kam mir auch der Gedanke: ›Wie gut wäre es, wenn ich durch irgendwelche Zauberei oder durch ein Wunder alles in den letzten Jahren Geschehene und Erlebte vollständig vergäße, einen frischen Geist bekäme und wieder mit neuer Kraft anfinge!‹ Damals hing ich noch solchen Zukunftsträumereien nach und hoffte auf eine Art von Wiedergeburt. ›Meinetwegen will ich sogar ins Irrenhaus kommen‹, sagte ich mir, ›damit man mir da auf irgendwelche Weise das ganze Gehirn umkehrt und neu einrichtet und ich dann wieder ganz gesund werde!‹ Es steckte noch ein starker Lebensdurst in mir, und ich glaubte noch an das Leben! . . . Aber ich erinnere mich, daß ich damals in ein Gelächter ausbrach. ›Was sollte ich denn nach dem Aufenthalt im Irrenhaus tun?‹ fragte ich mich. ›Etwa wieder Romane schreiben?‹

      So überließ ich mich meinen Träumereien und meinem Trübsinn; aber unterdessen rückte die Zeit weiter, und die Nacht kam heran. Für diesen Abend hatte ich Natascha zugesagt, zu ihr zu kommen; sie hatte mich schon tags zuvor durch ein Billett dringend dazu aufgefordert. Ich sprang auf und begann, mich zurechtzumachen. Auch ohnedies war es mir ein Bedürfnis, möglichst schnell aus der Wohnung hinauszukommen, irgendwohin, meinetwegen in den Regen und in den Schmutz.

      Je stärker die Finsternis wurde, um so geräumiger schien mein Zimmer zu werden, um so mehr schien es sich auszudehnen. Ich hatte die Vorstellung, ich würde in jeder Nacht in jeder Ecke den alten Smith sehen: er werde dasitzen und mich regungslos anblicken, so wie er in der Konditorei Adam Iwanowitsch angeblickt hatte, und Asorka werde zu seinen Füßen liegen. Und gerade in diesem Augenblick hatte ich ein Erlebnis, das mir einen starken Eindruck