Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754189092
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      Sie betraten das Zimmer fast gleichzeitig mit dem Starez, der bei ihrem Erscheinen aus seiner Schlafkammer herauskam. In der Zelle warteten bereits zwei Priestermönche aus der Einsiedelei auf den Starez, der Vater Bibliothekar und der Vater Paissi, ein kranker, noch nicht einmal alter Mann, der als sehr gelehrt galt. Außerdem wartete in einer Ecke, die er in der ganzen folgenden Zeit nicht verließ, ein etwa zweiundzwanzigjähriger junger Mann in ziviler Kleidung, ein Seminarist und künftiger Theologe, der aus irgendeinem Grunde die Protektion des Klosters und der Brüderschaft genoß. Er war ziemlich groß und hatte ein frisches Gesicht, breite Backenknochen und kluge, aufmerksam blickende schmale braune Augen. Sein Gesicht drückte grenzenlose, dabei anständige, nicht buhlerische Ehrerbietung aus. Die eintretenden Gäste begrüßte er nicht einmal mit einer Verbeugung, als sei er nicht ihresgleichen, sondern untergeordnet und abhängig.

      Der Starez Sossima trat in Begleitung Aljoschas und eines Novizen ein. Die Priestermönche erhoben sich und begrüßten ihn mit einer sehr tiefen Verbeugung, bei der sie mit den Fingern den Boden berührten; darauf empfingen sie den Segen und küßten ihm die Hand. Nach der Erteilung des Segens verbeugte sich auch der Starez tief vor jedem von ihnen, wobei er gleichfalls den Boden berührte, und erbat auch für sich von jedem den Segen. Die Zeremonie ging sehr ernsthaft vor sich, durchaus nicht wie ein alltäglicher Ritus, sogar mit einem gewissen Gefühl. Miussow schien es jedoch, als geschehe das mit der Absicht, Eindruck zu machen. Er stand vor den anderen, die mit ihm eingetreten waren; er hätte also, wie er ei sich am Abend auch vorgenommen hatte, ohne Rücksicht auf irgendwelche Ideen, einfach aus Höflichkeit, vortreten und sich, da es hier nun einmal Brauch war, von dem Starez segnen lassen müssen – der Handkuß konnte ja unterbleiben. Als er jedoch die Verbeugungen und Handküsse der Priestermönche sah, änderte er sofort seinen Entschluß; würdevoll und ernst machte er eine ziemlich tiefe Verbeugung nach weltlicher Art und ging dann zu einem Stuhl. Genau so verhielt sich Fjodor Pawlowitsch, der wie ein Affe Miussow kopierte. Iwan Fjodorowitsch verbeugte sich würdevoll und höflich, behielt aber ebenfalls die Hände an der Hosennaht; Kalganow endlich war so verlegen, daß er sich gar nicht verbeugte, Der Starez ließ die schon zum Segnen bereite Hand wieder sinken, verbeugte sich zum zweitenmal vor ihnen und bat sie, Platz zu nehmen. Aljoscha brannte das Blut in den Wangen; er schämte sich. Seine schlimmen Ahnungen erfüllten sich.

      Der Starez setzte sich auf ein kleines, lederbezogenes Mahagonisofa von altmodischer Bauart; die Gäste hatte er bis auf die beiden Priestermönche an der gegenüberliegenden Wand Platz nehmen lassen, in einer Reihe, auf vier Lehnstühlen, die mit stark abgewetztem schwarzem Leder ausgeschlagen waren. Die Priestermönche setzten sich etwas abseits, der eine an die Tür, der andere ans Fenster. Der Seminarist, Aljoscha und der Novize blieben stehen. Die Zelle bot nicht allzu viel Raum und sah gewissermaßen verfallen aus. Die Möbel waren schlicht und ärmlich, es war nur das Nötigste vorhanden. Auf dem Fensterbrett standen zwei Blumentöpfe, in der einen Ecke befanden sich viele Ikonen; eine davon, eine Darstellung der Muttergottes, war sehr groß, sie war offenbar lange vor der Kirchenspaltung gemalt worden. Vor diesem Bild brannte ein Lämpchen. Daneben hingen zwei andere Heiligenbilder in glänzenden Rahmen, und außerdem gab es zwei holzgeschnitzte Cherubim, Ostereier aus Porzellan, ein Kruzifix mit der Mater dolorosa und aus Elfenbein einige ausländische Stiche nach berühmten italienischen Meistern früherer Jahrhunderte. Neben diesen schönen und kostbaren Stichen prangten ein paar vulgäre russische Lithographien von Heiligen, Märtyrern, Metropoliten und so weiter, wie sie für wenige Kopeken auf den Jahrmärkten verkauft werden. Auch einige lithographierte Porträts zeitgenössischer und früherer russischer Bischöfe waren vorhanden, allerdings an den anderen Wänden. Miussow ließ seine Augen flüchtig über »den ganzen Kram« hingleiten und blickte dann unverwandt auf den Starez. Er hatte von seinem eigenen Blick eine hohe Meinung, eine verzeihliche Schwäche, wenn man bedenkt, daß er schon fünfzig war – ein Alter, in dem kluge und in gesicherter Stellung lebende Leute von Welt sich selbst mehr und mehr zu verehren pflegen, manchmal ganz unwillkürlich.

      Im ersten Augenblick mißfiel ihm der Starez wirklich. In seinem Gesicht lag etwas, was Miussow und vielen anderen mißfallen mußte. Er war ein kleiner, gebeugter Mann auf sehr schwachen Beinen, zwar erst fünfundsechzig Jahre alt, doch infolge seiner Kränklichkeit mindestens zehn Jahre älter wirkend. Sein mageres Gesicht war übersät mit kleinen Runzeln, besonders um die Augen. Die Augen waren nicht groß, aber hell, sehr beweglich und glänzend wie leuchtende Punkte. Das graue Haar hatte sich nur an den Schläfen erhalten; das spitze Bärtchen war klein und dünn, die Lippen, die öfters zu lächeln pflegten, waren schmal wie zwei Schnürchen. Die Nase war nicht sehr lang, dafür spitz wie der Schnabel eines Vogels.

      ›Allen Anzeichen nach ist das ein boshaftes und kleinlich anmaßendes Seelchen‹, schoß es Miussow durch den Kopf. Und überhaupt war er mit sich sehr unzufrieden.

      Das Schlagen einer Uhr half, das Gespräch in Gang zu bringen. Eine kleine billige Wanduhr mit Gewichten schlug in schnellen Schlägen zwölf.

      »Genau die festgesetzte Stunde«, rief Fjodor Pawlowitsch, »aber mein Sohn Dmitri Fjodorowitsch ist noch nicht da. Ich bitte für ihn um Entschuldigung, heiliger Starez!« (Bei dem Ausdruck »heiliger Starez« zuckte Aljoscha zusammen.) »Ich selbst bin immer pünktlich, auf die Minute, denn Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.«

      »Sie sind aber doch kein König«, brummte Miussow, der sich von vornherein nicht beherrschen konnte.

      »Ja, das ist richtig, ich bin kein König. Denken Sie nur, Pjotr Alexandrowitsch, ich wußte das selbst, bei Gott! Sehen Sie, ich rede immerzu unpassende Dinge! Euer Ehrwürden«, rief er mit plötzlichem Pathos, »Sie sehen einen echten Possenreißer vor sich! So empfehle ich mich denn auch. Eine alte Angewohnheit von mir, ach ja! Daß ich aber manchmal am unrechten Ort Unsinn schwatze, liegt sogar in meiner Absicht; ich will die Leute erheitern und mich beliebt bei ihnen machen. Man muß sich doch etwas beliebt machen, wie? Kam ich da vor sieben Jahren in ein Städtchen, wo ich so meine Geschäfte hatte; ich wollte mit irgendwelchen Kaufleuten ein Kompaniegeschäft gründen. Wir gehen also zum Isprawnik, zum Bezirkshauptmann, denn wir mußten ihn um dies und jenes bitten und ihn zum Essen einladen. Der Bezirkshauptmann tritt in das Zimmer, in dem wir warten: ein großer, dicker, blonder, finsterer Mensch – in solchen Fällen die gefährlichsten Typen, denen läuft leicht eine Laus über die Leber. Ich sprach ihn ohne weiteres an, mit weltmännischer Ungeniertheit! ›Wissen Sie was, Herr Isprawnik, seien Sie sozusagen unser Naprawnik!‹ ›Was für ein Naprawnik?‹ fragte er. Ich sah augenblicks, daß mein Witz nicht gewirkt hatte; er stand ernst da und sah mich starr an. ›Ich wollte‹, sagte ich, ›zur allgemeinen Erheiterung einen kleinen Scherz machen, da Herr Naprawnik ein berühmter russischer Kapellmeister ist und wir, damit sich unser Unternehmen harmonisch gestalte, gleichfalls so was wie einen Kapellmeister nötig haben.‹ Ein ganz vernünftiger Vergleich und eine ganz vernünftige Erklärung, nicht wahr? ›Entschuldigen Sie‹, sagte er, ›ich bin Isprawnik und erlaube niemand, mit meinem Amtstitel Späße zu treiben!‹ Damit drehte er sich um und ging weg. Ich lief hinter ihm her und rief: ›Ja, ja, Sie sind Isprawnik und nicht Naprawnik!‹ – ›Nein‹, sagte er, ›wenn Sie es nun einmal gesagt haben, bin ich eben Naprawnik!‹ Und denken Sie, unsere Sache ging wirklich in die Brüche! So mache ich es immer. Immer! Ich schade mir unweigerlich durch meine eigene Liebenswürdigkeit! Einmal, vor vielen Jahren, sagte ich zu einer einflußreichen Persönlichkeit: ›Ihre Frau Gemahlin ist eine sehr kitzlige Dame!‹ Ich meinte das in bezug auf Ehre, im geistigen Sinne; er aber erwiderte sofort: ›Haben Sie sie denn gekitzelt?‹ Ich konnte mich nicht beherrschen. ›Nur zu!‹ dachte ich. ›Ich will mal liebenswürdig sein‹ ›Ja‹, sage ich, ›ich habe sie gekitzelt.‹ Na, da hat er mich auch ein bißchen gekitzelt. Aber das ist schon lange, lange her, so daß ich mich deswegen nicht mehr zu schämen brauche. Mein Leben lang schade ich mir selbst.«

      Naprawnik

      »Das tun Sie, auch jetzt«, brummte Miussow voll Widerwillen. Der Starez sah schweigend von einem zum anderen.

      »Na, so was! Denken Sie nur, Pjotr Alexandrowitsch, das habe ich gewußt. Mehr noch: ich habe sogar geahnt, daß Sie der erste sein würden, der es mir sagt. In dem Augenblick, Ehrwürden, wo ich sehe, daß eines meiner Späßchen nicht einschlägt, beginnen meine beiden Backen am unteren