Der Fürst schwieg und blickte die Damen alle an.
»Das sieht nun freilich nicht wie Quietismus aus«, sprach Alexandra vor sich hin.
»Und jetzt, bitte, erzählen Sie uns, wie Sie verliebt waren!« sagte Adelaida.
Der Fürst blickte sie erstaunt an.
»Tun Sie mir den Gefallen!« fuhr Adelaida schnell fort.
»Sie sind uns ja allerdings auch noch die Beschreibung des Baseler Bildes schuldig; aber jetzt möchte ich hören, wie Sie verliebt waren; leugnen Sie nicht, Sie sind verliebt gewesen! Zudem werden Sie, sobald Sie zu erzählen anfangen, aufhören ein Philosoph zu sein.«
»Jedesmal, wenn Sie mit einer Erzählung fertig sind, schämen Sie sich sofort dessen, was Sie erzählt haben«, bemerkte Aglaja plötzlich. »Woher kommt das?«
»Was redest du da für dummes Zeug!« schalt die Generalin und blickte Aglaja mißbilligend an.
»Ja, das war sehr unverständig«, stimmte Alexandra ihr bei.
»Glauben Sie nicht, daß sie das wirklich meint, Fürst!« wandte sich die Generalin an diesen; »sie redet absichtlich so, aus irgendeiner Tücke; so dumm ist sie gar nicht. Nehmen Sie es nicht übel, daß die Mädchen Sie so quälen! Gewiß führen sie irgend etwas im Schilde; aber sie sind schon sehr für Sie eingenommen. Ich kenne ihre Gesichter.«
»Auch ich kenne die Gesichter der jungen Damen«, erwiderte der Fürst mit besonders starker Betonung.
»Wieso?« fragte Adelaida neugierig.
»Was wissen Sie von unsern Gesichtern?« fragten auch die beiden andern in lebhafter Spannung.
Aber der Fürst schwieg mit ernster Miene; alle warteten auf seine Antwort.
»Ich werde es Ihnen später sagen«, versetzte er leise und ernst.
»Sie wollen sich durchaus bei uns interessant machen«, rief Aglaja. »Und was machen Sie dabei für ein feierliches Gesicht!«
»Nun gut«, sagte Adelaida wieder in ihrer hastigen Art. »Aber wenn Sie ein solcher Kenner von Gesichtern sind, dann sind Sie sicherlich auch verliebt gewesen; ich habe also richtig vermutet. Erzählen Sie uns also davon!«
»Ich bin nicht verliebt gewesen«, antwortete der Fürst ebenso leise und ernst wie vorher; »ich ... ich war auf andere Weise glücklich.«
»Wie denn? Wodurch denn?«
»Nun gut, ich will es Ihnen erzählen«, sagte der Fürst; er schien in tiefes Nachdenken versunken zu sein.
VI
»Da schauen Sie mich nun alle mit solcher Neugier an«, begann er, »daß Sie mir am Ende noch böse werden, wenn ich diese Neugier nicht befriedige. Nein, nein, ich scherze nur«, fügte er schnell mit einem Lächeln hinzu. »Dort ... dort gab es viele Kinder, und ich bin die ganze Zeit über mit Kindern zusammen gewesen, nur mit Kindern. Es waren die Kinder jenes Dorfes, eine ganze Schar, die die Schule besuchte. Unterrichtet habe ich sie nicht, oh nein; dazu war ein Schullehrer dort, Jules Thibaut; ich habe sie wohl auch dies und das gelehrt; größtenteils aber war ich ohne solche Absicht mit ihnen zusammen, und die ganzen vier Jahre habe ich in dieser Weise verlebt. Weiter hatte ich keine Wünsche. Ich sagte ihnen alles, ohne ihnen etwas zu verheimlichen. Ihre Eltern und Verwandten waren alle auf mich ärgerlich, weil die Kinder zuletzt ohne mich gar nicht mehr leben konnten und mich immer umdrängten, und der Schullehrer wurde schließlich mein ärgster Feind. Ich hatte dort viele Feinde, alle um der Kinder willen. Sogar Schneider machte mir Vorwürfe. Und was fürchteten sie eigentlich? Man kann einem Kind alles sagen, geradezu alles; mich hat oft die Wahrnehmung überrascht, wie schlecht die Erwachsenen die Kinderken nen, sogar die Väter und Mütter ihre eigenen Kinder. Man darf den Kindern nichts unter dem Vorwand verheimlichen, sie seien noch zu klein, und es sei für sie noch zu früh, dies und jenes zu wissen. Welch ein trauriger, unglücklicher Gedanke! Und wie gut merken es die Kinder selbst, daß die Väter sie für zu klein und unverständig halten, während sie doch in Wirklichkeit alles verstehen! Die Erwachsenen wissen nicht, daß die Kinder selbst in den schwierigsten Angelegenheiten oft einen sehr guten Rat geben können. Oh Gott, wenn einen so ein hübsches Vögelchen vertrauensvoll und glücklich anblickt, da schämt man sich ja, es zu betrügen! Vögelchen nenne ich die Kinder, weil die Vögelchen das Schönste sind, was es auf der Welt gibt. Übrigens waren alle Leute im Dorf namentlich wegen eines bestimmten Falles über mich aufgebracht ... Thibaut aber beneidete mich einfach; am Anfang schüttelte er immer den Kopf und wunderte sich darüber, wie es zuging, daß die Kinder bei mir alles begriffen und