Die Trauung war auf acht Uhr abends angesetzt; Nastasja Filippowna war schon um sieben Uhr fertig. Schon von sechs Uhr an begannen sich allmählich Scharen von Gaffern um Lebedjews Landhaus zu sammeln, besonders aber bei Darja Alexejewnas Haus; von sieben Uhr an fing auch die Kirche an, sich zu füllen. Wjera Lebedjewa und Kolja waren in großer Angst um den Fürsten; indes hatten sie zu Haus viel zu tun: sie arrangierten in der Wohnung des Fürsten alles für den Empfang und die Bewirtung der Gäste. Übrigens war nach der Trauung fast gar keine Gesellschaft in Aussicht genommen; außer denjenigen Personen, die bei der Eheschließung notwendig zugegen sein mußten, hatte Lebedjew noch Ptizyns, Ganja, den Arzt mit dem Anna-Orden am Hals und Darja Alexejewna eingeladen. Als der Fürst ihn verwundert fragte, wie er denn darauf gekommen sei, den Arzt einzuladen, der ihnen ja fast ganz unbekannt sei, antwortete Lebedjew selbstgefällig: »Er hat einen Orden am Hals; er ist ein respektabler Herr, eine schöne Dekoration«, und brachte dadurch den Fürsten zum Lachen. Keller und Burdowski sahen in Frack und Handschuhen sehr anständig aus; nur setzte Keller immer noch den Fürsten und seine übrigen Vollmachtgeber durch seine unverhohlene Kampflust in Verlegenheit und warf den Gaffern, die sich um das Haus gesammelt hatten, feindselige Blicke zu. Endlich, um halb acht, begab sich der Fürst im Wagen nach der Kirche. Wir bemerken bei dieser Gelegen heit, daß er selbst absichtlich nichts von den herkömmlichen Sitten und Gebräuchen unterlassen wollte; alles vollzog sich in voller Öffentlichkeit und »wie es sich gehört«. In der Kirche schritt er mit Mühe durch die Volksmenge hindurch unter ununterbrochenem Geflüster und lauten Bemerkungen des Publikums, geleitet von Keller, der drohende Blicke nach rechts und links richtete; dann verschwand der Fürst für einige Zeit im Allerheiligsten. Keller aber begab sich fort, um die Braut zu holen, und fand vor Darja Alexejewnas Haustür eine Menschenmenge, die nicht nur zwei- oder dreimal so dicht war wie bei dem Fürsten, sondern vielleicht auch dreimal so ausgelassen. Als er die Stufen vor der Haustür hinanstieg, hörte er solche Bemerkungen, daß er sich nicht beherrschen konnte und sich bereits zum Publikum umwandte mit der Absicht, eine kräftige Ansprache zu halten; aber zum Glück hielten Burdowski und Darja Alexejewna selbst, die die Stufen hinuntergelaufen kam, ihn noch davon zurück; sie faßten ihn an und zogen ihn mit Gewalt in die Wohnung hinein. Keller befand sich in gereizter Stimmung und drängte zur Eile. Nastasja Filippowna erhob sich, blickte noch einmal in den Spiegel, bemerkte »mit einem schiefen Lächeln«, wie Keller nachher erzählte, daß sie leichenblaß aussehe, verbeugte sich andächtig vor dem Heiligenbild und ging hinaus vor die Haustür. Ein dumpfes Gemurmel begrüßte ihr Erscheinen. Im ersten Augenblick erscholl Gelächter, Beifallklatschen, vereinzeltes Pfeifen; einen Augenblick darauf ließen sich auch mündliche Äußerungen vernehmen:
»So eine Schönheit!« wurde in der Menge gerufen.
»Sie ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein!«
»Der Brautkranz deckt alles zu, ihr Dummköpfe!«
»Nein, so eine Schönheit kann man lange suchen; hurra!« riefen die Nächststehenden.
»Eine Fürstin! Um einer solchen Fürstin willen würde ich meine Seele verkaufen!« rief ein Kanzlist. »Mein Leben gäbe ich hin für eine Nacht ...!«
Nastasja Filippowna war, als sie heraustrat, wirklich bleich wie Leinwand; aber ihre großen schwarzen Augen funkelten die Menge an wie glühende Kohlen; diesem Blick konnte die Menge nicht widerstehen; die Entrüstung verwandelte sich in ein enthusiastisches Geschrei. Schon war der Wagenschlag geöffnet, schon bot Keller der Braut den Arm, als sie plötzlich aufschrie und sich von den Stufen vor der Haustür gerade in die Volksmenge hineinstürzte. Alle ihre Begleiter standen starr vor Staunen; die Menge trat vor ihr auseinander, und fünf oder sechs Schritte von der Haustür entfernt erschien plötzlich Rogoschin. Sein Blick war es gewesen, den Nastasja Filippowna in der Menge aufgefangen hatte. Sie lief wie eine Wahnsinnige zu ihm hin und ergriff seine beiden Hände.
»Rette mich! Schaffe mich weg! Wohin du willst, sofort!« Rogoschin nahm sie beinahe auf die Arme und trug sie fast zum Wagen hin. Darauf zog er in einem Augenblick aus seinem Portemonnaie einen Hundertrubelschein und reichte ihn dem Kutscher hin.
»Nach dem Bahnhof, und wenn du noch zum Zug hinkommst, bekommst du noch einen Hunderter!«
Damit sprang er selbst hinter Nastasja Filippowna her in den Wagen und warf den Schlag zu. Der Kutscher bedachte sich nicht einen Augenblick und schlug auf die Pferde los. Keller schob nachher alles auf das Überraschende des Vorgangs: »Noch eine Sekunde, und ich hätte mich gefaßt gehabt, und dann hätte ich es nicht geschehen lassen!« erklärte er, als er das Begebnis erzählte. Er nahm sich schnell mit Burdowski einen andern Wagen, der zufällig dort stand, und machte sich auf die Verfolgung; aber er wurde, als sie schon unterwegs waren, andern Sinnes. »Es ist jedenfalls zu spät!« sagte er. »Mit Gewalt kann man sie nicht wiederholen!«
»Auch der Fürst würde es nicht wollen!« bemerkte der tief ergriffene Burdowski.
Rogoschin und Nastasja Filippowna kamen noch rechtzeitig zum Bahnhof. Nachdem sie aus dem Wagen ausgestiegen waren, fand Rogoschin, fast schon im Begriff, in den Zug zu steigen, doch noch Zeit, ein vorübergehendes Mädchen in einer alten, aber anständigen, dunklen Mantille und einem Kopftuch anzuhalten.
»Wollen Sie mir für fünfzig Rubel Ihre Mantille überlassen?« fragte er, indem er dem Mädchen das Geld hinhielt.
Während das Mädchen noch staunte und vergeblich den Zusammenhang zu begreifen suchte, hatte er ihr schon einen Fünfzigrubelschein in die Hand geschoben, ihr die Mantille nebst dem Tuch abgenommen und beides Nastasja Filippowna über die Schultern und den Kopf geworfen. Ihre so prächtige Toilette fiel in die Augen und würde im Waggon die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben; und erst nachher verstand das Mädchen, warum ihr jemand mit solchem Profit für sie ihre alten geringwertigen Kleidungsstücke abgekauft hatte.
Das Gerücht von dem merkwürdigen Ereignis gelangte mit außerordentlicher Schnelligkeit nach der Kirche. Als Keller zum Fürsten hinkam, stürzten eine Menge ihm ganz unbekannter Leute auf ihn zu, um ihn auszufragen. Man redete laut über die Sache, schüttelte den Kopf und lachte sogar; niemand verließ die Kirche; alle warteten sie darauf, wie der Bräutigam die Nachricht aufnehmen werde. Er wurde etwas blaß, hörte aber die Mitteilung mit Ruhe an und sagte kaum hörbar: »Befürchtungen hatte ich; aber ich hatte doch nicht gedacht, daß gerade dies ...« Und dann fügte er nach kurzem Stillschweigen hinzu: »Übrigens ... bei ihrem Zustand ... ist das durchaus erklärlich.« Eine solche Äußerung nannte nachher Keller selbst »beispiellos philosophisch«. Der Fürst verließ die Kirche, anscheinend ruhig und gefaßt; wenigstens hatten viele diesen Eindruck und erzählten es nachher. Wie es schien, verlangte es ihn, nach Hause zu kommen und möglichst bald allein zu sein; aber dieses letztere vergönnte man ihm nicht. Hinter ihm her traten mehrere der Eingeladenen ins Zimmer, unter andern Ptizyn, Gawrila Ardalionowitsch und mit ihnen auch der Arzt, der ebenfalls noch nicht fortzugehen gedachte. Außerdem war das Haus von einer Schar von Müßiggängern buchstäblich belagert. Als der Fürst noch in der Veranda war, hörte er, wie Keller und Lebedjew in heftigen Streit mit einigen ganz unbekannten, aber anscheinend dem Beamtenstand angehörigen Leuten gerieten, die um jeden Preis in die Veranda einzudringen suchten. Der Fürst trat zu den Streitenden hin, erkundigte sich, um was es sich handle, schob Lebedjew und Keller höflich beiseite, wandte sich liebenswürdig an einen schon grauhaarigen, behäbigen Herrn, der auf den Stufen der Freitreppe an der Spitze mehrerer anderer Neugieriger stand, und lud ihn ein, ob er nicht die Güte haben und ihm die Ehre seines Besuches erweisen wolle. Der Herr wurde verlegen, trat aber doch näher; ihm folgte ein zweiter und ein dritter. Unter dem ganzen Haufen fanden sich sieben bis acht Menschen, die zu einem Besuch Lust hatten und eintraten, wobei sie sich Mühe gaben, es möglichst ungeniert zu tun; aber weiter bekundete niemand mehr Verlangen, und in der Menge selbst begann man bald, die Vorwitzigen zu tadeln. Die Eingetretenen wurden gebeten, Platz zu nehmen; ein Gespräch kam in Gang; es wurde Tee gereicht: alles vollzog sich in sehr anständigen, gesitteten Formen, zu großer Verwunderung der Eindringlinge. Allerdings wurden von diesen einige Versuche unternommen, dem Gespräch eine heitere Wendung