Eines Tages (es war Anfang des Winters, ungefähr vier Monate, nachdem Afanasi Iwanowitsch im Sommer wieder in Otradnoje zu Besuch gewesen war, wo er sich jedoch diesmal nur vierzehn Tage aufgehalten hatte) ereignete es sich, daß auf irgendeine Weise zu Nastasja Filippownas Ohren ein Gerücht drang, daß Afanasi Iwanowitsch in Petersburg im Begriff sei, eine schöne, reiche, vornehme Dame zu heiraten, kurz eine solide, glänzende Partie zu machen. Es stellte sich dann heraus, daß dieses Gerücht nicht in allen Einzelheiten mit der Wirklichkeit übereinstimmte: die Heirat war erst in Aussicht genommen und alles noch sehr unbestimmt; aber in Nastasja Filippownas Wesen ging seitdem doch eine gewaltige Wandlung vor. Sie bewies auf einmal eine große Entschlossenheit und legte eine ganz unerwartete Energie an den Tag. Ohne sich lange zu besinnen, verließ sie ihr kleines Gutshaus, reiste völlig allein nach Petersburg und begab sich dort geradewegs zu Tozki. Dieser war äußerst erstaunt und fing an, mit ihr zu reden; aber fast vom ersten Wort an stellte es sich heraus, daß er die ganze Art, in der er sonst mit ihr geredet hatte, ändern mußte: die Ausdrucksweise, den Stimmklang, die bisher so erfolgreich benutzten Themata netter, angenehmer Gespräche, die Form der logischen Schlußfolgerungen, kurz alles, alles, alles! Vor ihm saß ein ganz anderes weibliches Wesen, das keinerlei Ähnlichkeit mit demjenigen hatte, das er bisher gekannt und erst im Juli in Otradnoje verlassen hatte.
Erstens wußte und verstand dieses neue Weib, wie sich herausstellte, außerordentlich vieles, so vieles, daß man höchst erstaunt sein mußte, wie sie es möglich gemacht habe, sich ein solches Wissen zu erwerben und sich zu so klaren Anschauungen durchzuarbeiten. (Hatte ihr wirklich ihre Mädchenbibliothek dazu verholfen?) Und damit nicht genug: sie verstand auch sehr viel von juristischen Dingen und besaß sichere Kenntnisse, wenn auch nicht von der menschlichen Gesellschaft, so doch von dem Gang, den gewisse Dinge in der menschlichen Gesellschaft neh men. Zweitens aber hatte sich ihr Charakter gegen früher vollständig geändert: Es war da keine Rede mehr von jenem schüchternen, unsicheren Mädchentypus, der manchmal durch seine originelle Munterkeit und Naivität bezaubert und dann wieder sich trüb und melancholisch, erstaunt und mißtrauisch, unruhig und zum Weinen geneigt ist. Nein, diejenige, die ihm da ins Gesicht lachte und ihn mit beißendem Spott verwundete, war ein fremdes, überraschendes Wesen. Nastasja erklärte ihm geradezu, sie habe ihm gegenüber in ihrem Herzen nie etwas anderes empfunden als die tiefste Verachtung; dieses bis zum Ekel gesteigerte Gefühl sei bei ihr gleich nach dem ersten Erstaunen eingetreten. Dieses neue Weib erklärte ihm, es sei ihr eigentlich vollständig gleichgültig, ob er sich jetzt verheirate und mit wem; aber doch sei sie hergekommen, um ihm diese Heirat zu verbieten, und zwar einfach aus Bosheit, einzig und allein, weil es ihr so beliebe; somit müsse es nun einmal so sein. »Und war's auch nur, damit ich über dich lachen kann, soviel ich will«, sagte sie, »denn jetzt habe auch ich schließlich Lust bekommen zu lachen.«
So drückte sie sich wenigstens aus; vielleicht hatte sie damit nicht einmal alles, was sie dachte, ausgesprochen. Aber während die neue Nastasja Filippowna höhnisch lachte und ihm all dies auseinandersetzte, überdachte Afanasi Iwanowitsch diese Angelegenheit für sich und brachte nach Möglichkeit seine etwas durcheinander geworfenen Gedanken wieder in Ordnung. Diese Erwägungen dauerten ziemlich lange; er brauchte zu seinen Überlegungen und zum Fassen eines endgültigen Beschlusses fast zwei Wochen; aber als diese Zeit um war, hatte er sich auch entschieden. Afanasi Iwanowitsch war damals schon ungefähr fünfzig Jahre alt und ein höchst solider, gesetzter Mann. Seine Stellung in der Welt und in der Gesellschaft war schon seit langer Zeit auf die festesten Fundamente gegründet. Sich selbst sowie seine Ruhe und Bequemlichkeit liebte und schätzte er über alles in der Welt, wie sich das auch für einen im höchsten Grade anständigen Menschen schickt. Diesen Zustand, der sich durch sein ganzes bisheriges Leben konsolidiert und eine so schöne Form angenommen hatte, war er nicht gewillt, auch nur im geringsten stören oder ins Schwanken bringen zu lassen. Andererseits ließen ihn seine Erfahrung und sein Scharfblick für die Dinge dieser Welt sehr bald und mit völliger Klarheit erkennen, daß er es jetzt mit einem ganz ungewöhnlichen Wesen zu tun habe, daß dies eine Persönlichkeit sei, die nicht nur drohe, sondern auch unfehlbar handle und namentlich vor keinem Hindernis haltmache, um so weniger, da ihr nichts in der Welt teuer sei, so daß man sie auch durch Geschenke nicht bestechen könne. Hier lag augenscheinlich etwas anderes vor: man spürte eine Art von seelischem Ekel, eine Art von romanhafter Entrüstung über Gott weiß wen und was, eine Art von unersättlichem, alles Maß überschreitendem Gefühl der Verachtung, kurz etwas, was in anständiger Gesellschaft als im höchsten Grad lächerlich und unerlaubt gilt und womit zu tun zu haben für jeden anständigen Menschen geradezu eine Strafe Gottes ist. Selbstverständlich hätte Tozki bei seinem Reichtum und bei seinen Verbindungen ohne weiteres irgendeine kleine, ganz harmlose Freveltat begehen können, um sich diese Unannehmlichkeit vom Hals zu schaffen. Andererseits war auch Nastasja Filippowna sicherlich kaum imstande, ihm etwas Schlimmes, etwa auf gerichtlichem Weg, zuzufügen; sie konnte nicht einmal einen besonderen Skandal hervorrufen, weil man sie immer mit größter Leichtigkeit in Schranken halten konnte. Aber all das war nur für den Fall richtig, daß Nastasja Filippowna sich dafür entschied, so zu handeln, wie es alle anderen Frauen in ähnlichen Fällen tun, und nicht in ihrer Exzentrizität alles Maß überschritt. Aber hier kam dem klugen Tozki seine Menschenkenntnis zustatten: Er merkte, daß Nastasja Filippowna selbst sehr wohl einsah, wie wenig sie ihm durch die Gerichte schaden konnte, und daß sie ganz andere Gedanken in ihrem Kopf umherwälzte; das verrieten ihm ihre funkelnden Augen. Da ihr nichts wertvoll war und am wenigsten ihre eigene Person (es bedurfte eines sehr klaren, eindringenden Verstandes, um in diesem Augenblick zu erkennen, daß sie schon längst aufgehört hatte, ihrer eigenen Person irgendwelchen Wert beizulegen, und um als Skeptiker und zynisch denkender Weltmann doch an die Ernsthaftigkeit dieses Gefühles zu glauben), so war Nastasja Filippowna imstande, sich selbst in häßlicher Art, etwa durch Sibirien und Zuchthaus, unwiederbringlich zugrunde zu richten, nur um den Menschen zu beschimpfen, gegen den sie einen so unmenschlichen Haß nährte. Afanasi Iwanowitsch hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ein wenig feige oder, besser ausgedrückt, im höchsten Grad auf Bewahrung des Dekors bedacht war. Hätte er zum Beispiel gewußt, daß man ihn auf seiner Hochzeit ermorden werde oder sich dabei sonst etwas sehr Unpassendes, Lächerliches und in der Gesellschaft nicht Übliches begeben werde, so hätte er gewiß einen großen Schreck bekommen, aber nicht sowohl eben darüber, daß man ihn ermorden, ihn schwer verwunden oder ihm vor aller Augen ins Gesicht speien werde usw., als vielmehr darüber, daß ihm dies unter Verletzung alles Brauches und Anstandes widerfahren werde. Und gerade so etwas war von Nastasja Filippowna zu erwarten, wiewohl sie noch darüber schwieg; aber er wußte, daß sie ihn durch und durch kannte und folglich wußte, wie sie ihn am empfindlichsten treffen könne. Und da die Heirat in der Tat bisher nur in Aussicht genommen war, so gab Afanasi Iwanowitsch nach und fügte sich der Forderung Nastasja Filippownas.
An seinem Entschluß wirkte auch noch ein anderer Umstand mit: Man konnte kaum begreifen, wie unähnlich das Gesicht dieser neuen Nastasja Filippowna dem früheren geworden war. Früher war sie nur ein recht hübsches Mädchen gewesen, aber jetzt ... Tozki konnte es sich lange Zeit nicht vergeben, daß er sie vier Jahre lang angesehen hatte, ohne zu rechtem Verständnis ihres Gesichts zu gelangen. Allerdings fällt es in solchen Fällen auch sehr ins Gewicht, wenn auf beiden Seiten eine plötzliche innere Umwandlung vorgeht. Übrigens erinnerte er sich auch an einzelne Momente in der Vergangenheit, wo ihm manchmal sonderbare Gedanken gekommen waren, wenn er zum Beispiel in diese Augen hineinblickte: man konnte in ihnen sozusagen eine tiefe, geheimnisvolle Finsternis ahnen. Diese Augen blickten, als ob sie einem ein Rätsel aufgäben. In den letzten zwei Jahren hatte er sich oft über die Veränderung gewundert, die mit Nastasja Filippownas Gesichtsfarbe vorgegangen war: Das junge Mädchen war erschreckend blaß, merkwürdigerweise aber dadurch sogar noch schöner geworden. Tozki, der, wie alle Lebemänner, anfangs mit Geringschätzung daran gedacht hatte, für wie billigen Preis ihm dieses des Lebens noch unkundige Wesen zugefallen war, war in der letzten Zeit an der Richtigkeit seiner Ansicht einigermaßen irre geworden. Jedenfalls hatte er noch im letzten Frühjahr beabsichtigt, Nastasja Filippowna in Bälde mit irgendeinem verständigen, ordentlichen, in einem andern Gouvernement angestellten Beamten gut zu verheiraten und ihr eine hübsche Summe als Mitgift zu geben. (Oh, wie schrecklich und boshaft lachte Nastasja Filippowna jetzt über diesen Plan!) Aber jetzt war Afanasi Iwanowitsch, entzückt über ihren neuen Reiz, sogar