Mörder im eigenen Dezernat. Denise Remisberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Denise Remisberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748557784
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      «Was ist passiert?», wiederholte Gregor Bohlbrühl mit böser Vorahnung.

      «Sie sind überfallen worden. Jemand hat versucht, Sie zu erstechen. Der Mordversuch ist aber misslungen.»

      «Nicht so schnell, junger Mann», lächelte Gregor, «da müssen erst Beweise her.»

      «Na hören Sie mal. Sie verbluten fast und erfrieren beinahe und liegen jetzt hier in diesem Zimmer und wollen noch mehr Beweise? Hätte Sie Frau Peter nicht sofort gefunden, wären Sie jetzt schon tot.»

      «Frau Peter? Laura hat mich gerettet? Oh. Wo ist sie denn?»

      «Soviel ich mitbekommen habe, ist sie heute Morgen um acht Uhr mit angsterregendem, äusserst grimmig entschlossenem Gesicht aus diesem Zimmer hinausmarschiert, um diesen Fall hier zu lösen, obwohl sie gar nicht im zuständigen Dezernat arbeitet.»

      «Oh. Und ich kann mich an keinen Überfall erinnern.»

      «Das ist nur psychisch. Ihr Kopf ist unverletzt.»

      «Mein junger Herr Doktor, der Körper in allen Ehren. Aber mein Lebensalter hat mich gelehrt, dass die Psyche den Menschen ausmacht. Wenn die Schaden nimmt, kann das ganze Leben aus sein. Wenn die Psyche angegriffen ist, geht der ganze Mensch zu Grunde. Vielleicht langsamer, aber völlig unentdeckt. Und dann wirkt sich ein psychisches Problem auch noch psychosomatisch aus. Und die Überwindung, diesen Sog in die Tiefe zu stoppen, ist wohl das Allerschwierigste auf der Welt.»

      9

      Trevor Engelmann wusste beim besten Willen nicht, wie er Frau Peter anbaggern sollte, ohne Gefahr zu laufen, seinen Job zu verlieren, denn schliesslich war Frau Peter eine Kundin. Als er nun in ihrer Türe stand, mit den neu verkabelten antiken Lampen in einer offenen Kiste, sagte er kein Wort, sondern schaute Frau Peter nur an.

      Laura Peter fühlte sich gleich wunderbar, denn Trevor Engelmann schenkte ihr einen nie mehr aufhören wollenden Blick, der irgendetwas mit seinem Herzen zu tun haben musste.

      «Kommen Sie doch herein, Herr Engelmann.»

      Laura zeigte ihre Freude über das Wiedersehen deutlicher, als ihr lieb war, und führte ihn ins Schlafzimmer, wo die Lampen halt hinmussten.

      Beide vermieden es kategorisch, zum Bett hinüberzuschauen, und fanden es schwierig, die richtigen Worte zu finden, um ein Gespräch zu beginnen. Die Situation wurde richtig peinlich, doch ging Laura weder in ein anderes Zimmer, noch beeilte sich Trevor Engelmann mit dem Zusammenschrauben der Lampen. Ganz im Gegenteil: Das Ganze dauerte volle zwei Stunden, was Trevor Engelmann später seinem Chef so gar nicht erklären konnte.

      10

      Nachdem Polizeichef Gregor Bohlbrühl eine Stunde bei sich zuhause in seinem geliebten Schaukelstuhl gesessen hatte und den vertrauten Anblick aus seinem einen Wohnzimmerfenster auf sich wirken gelassen hatte, konnte er sich langsam entspannen und sich auch zuhause fühlen.

      Er griff in sein holzgeschraubtes Schränkchen, das praktischerweise neben dem Schaukelstuhl auf einer kurzen Bank platziert war, und holte seine Appenzeller Krummpfeife, einen Topf, gefüllt mit erlesenem Tabak, und ein Stopfinstrument daraus hervor, um endlich wieder zu rauchen. Inzwischen erinnerte er sich zwar wieder an den Überfall, doch eigentlich hatte er gar nichts mitbekommen. Fast zeitgleich hatte er jemanden hinter sich und einen scharfen Stich, der sich in eine Rissspur verwandelt hatte, da er sich instinktiv abgedreht hatte, gespürt und eine vermummte Gestalt mit etwas Funkelndem in der Faust wahrgenommen, die weggerannt war.

      Die Tatwaffe auf alle Fälle war nicht liegen gelassen worden.

      11

      Pierre Slagovic, halb Franzose, halb Kroate, eingebürgert in der Schweiz seit seiner Volljährigkeit, besass, trotzdem, dass er bei der Polizei arbeitete oder gerade deswegen, eine blühende Fantasie. Dieser Umstand würde ihm nicht gerade zu einer grossartigen Beförderung verhelfen, doch durfte er sein kreatives Potential wenigstens ausleben im Dienst.

      Pierre Slagovic wurde dazu abberufen, E-Mails an verdächtige Personen zu senden, aber nicht etwa unter der Adresse der Kantonspolizei St. Gallen, sondern unter diversen gefälschten Namen, die ihm zugeteilt wurden. Diese Falschadressen fand er zwar ein bisschen einfallslos, so wie zum Beispiel die auf [email protected] lautende, aber das lag gewiss an seinem hohen Kreativitätsniveau. Unser Slagovic war festgelegt verantwortlich für die jeweilige Betreffzeile der Spam-Mails und für den darunter folgenden Text, der wahrscheinlich eher selten von den Angemailten gelesen wurde. Das Hinzufügen zur «Liste der blockierten Absender» wurde viel häufiger benutzt.

      «Pierre, wir haben im Schlafzimmerfenster einer Verdächtigen ein rotes Licht brennen sehen. Sie ist korrekt bei Bluewin angemeldet. Wir haben den Datenschutz geknackt. Hier ist ihre E-Mail-Adresse. Könntest du ein paar pornografische Mails an die Frau schicken? Wir wollen testen, ob sie darauf eingeht», befahl Nulbert Kies in forschem Tonfall, so wie wenn es sich um eine ganz trockene Angelegenheit handeln würde.

      «Wegen was verdächtigen wir sie?», wollte Pierre Slagovic, seine Grenzen als Befehlsempfänger überschreitend, wissen.

      «Sie könnte Drogen nehmen und sich prostituieren, um ihren Konsum auch bezahlen zu können.»

      «Welche Drogen?»

      «Woher soll ich denn das wissen! Drogen halt. Ist doch egal, welche. Das rote Licht ist auf alle Fälle komisch. Sonderbar, dieses Licht.»

      Da Nulbert Kies langsam seine Contenance verlor, ging er lieber aus dem Raum und überliess Slagovic seinen fingierten Fantasien.

      12

      Eingetrocknetes Rot schmückte Hauswand und Kopfsteinpflaster dort, wo Polizeichef Gregor Bohlbrühl zusammengeklappt war. Laura Peter starrte auf die Flecken, regungslos in der Hocke, und erregte das Aufsehen der Vorbeieilenden.

      «Sucht die ihre Nadel?», war eine der netten Bemerkungen, die an ihr Ohr drangen.

      «Sind das die Reste ihres Ehemannes?», witzelte eine Frauenstimme.

      Die Leute äusserten sich gerne dann laut, wenn es nicht um sie selber ging und doch irgendwie mit ihnen zu tun hatte. Laura konnte der subjektive Unsinn gestohlen bleiben. Sie suchte nach Spuren. Möglichst objektiven.

      Doch obwohl sie die ganze Gasse samt Nebengässchen nach Verwertbarem absuchte, fand sie nichts. Nichts Verräterisches war hinterlassen worden. Allerdings konnte sie gerade aus diesem Grund Täterprofile ausschliessen. Kein Junkie, der in Hysterie nach Geld schreit. Überhaupt kein Raub, denn Gregor Bohlbrühl besass sein Portemonnaie samt Inhalt immer noch.

      Dieser Anschlag hatte etwas sehr Überlegtes. Er ist geplant worden. Und es gab keine Anzeichen von Wut. In dem Falle wäre die Anzahl der Messerstiche unzählig gewesen. Einfach eine überlegte Sache. Ein Aus-dem-Weg-Räumen mit möglichst geringem Aufwand und ohne Aufsehen. Ein Mittel zum Zweck.

      13

      Gregor Bohlbrühl sass in seinem Schaukelstuhl und zog an seiner Appenzeller Krummpfeife.

      Mit seiner bedächtigen Art hatte er brutalere Naturen schon oft vor den Kopf gestossen.

      Rohe Gewalt war etwas für Teenager, die in Selbstkon­trolle noch nicht geübt waren. Bei Erwachsenen fand er jegliches An-anderen-Auslassen unakzeptabel.

      Wer wollte seinen Tod? Wer hatte ein Problem mit sich selber?

      Eifersucht konnte es nicht sein, denn er hatte keine Frau. Und keine hatte ihn. Neid? Ja, Neid wäre denkbar, denn er war der Polizeichef.

      Wer hätte überhaupt die nötigen dienstgradlichen Voraussetzungen, um zum jetzigen Zeitpunkt seine Stelle zu «erben»? Sein Stellvertreter, wer sonst. Alle anderen