Das war nun alles vorbei. - Und es war Sommer.
Immer wenn die deutsche Fußballmannschaft spielte, war vor dem griechischen Restaurant, das direkt neben meiner Wohnung lag, auf dem Fußweg und der dortigen Straßenkreuzung, die Hölle los. Der Wirt hatte vor dem Restaurant einen Großfernseher aufgestellt, damit seine Gäste, die dort auf der Terrasse saßen, und andere Vorbeilaufende sich die WM dort ansehen konnten. Spielte die deutsche Mannschaft, und sie spielte ja sogar erfolgreich, war bis morgens vor meiner Wohnung die Hölle los.
In fast jeder Kneipe in der Stadt hatten deren Wirte Fernseher aufgestellt, um die Gäste von der heimischen Bildröhre wegzulocken. Bei einem Spaziergang durch die Stadt kam ich an der Kneipe „Carrickfergus“ vorbei. Der Wirt hatte ein Schild ans Fenster geklebt: „Hier WM-freie Zone“. Typisch Horst dachte ich damals. Während die anderen mit der WM-Werbung machen, bietet er Obdach für WM-Flüchtlinge.
Als das Achtelfinale für die deutsche Mannschaft losgehen sollte, floh ich aus meiner Wohnung. Es war mir klar, sollte die deutsche Mannschaft gewinnen, würde vor meiner Wohnung bis zum Morgen jubelnder Lärm sein und Autokorsos Fahnen schwingend, laut hupend durch die Straßen fahren. Nicht nur das Wetter hatte diesen Sommer mediterrane Auswüchse. Auch die Norddeutschen zeigten ein für sie ungewohntes Temperament, während dieser Fußball-WM. Da ich somit, zumindest wenn die deutsche Mannschaft gewinnen würde, sowieso nicht in Ruhe hätte schlafen können, war ein Besuch in der „WM-freien Zone“ doch nur sinnvoll.
Früher, vor meiner Zeit in Meck-Pomm, war „Carrickfergus “, meine Stammkneipe gewesen. Als ich aus Lübeck weggezogen war, verlor es sich damit, bis ich wieder Ende 1999 nach Lübeck zurückkam. Damals fing ich erneut an mich dort wohlzufühlen, zumindest bis das, kurz, nachdem ich wieder in Lübeck und im „Carrickfergus“ heimisch geworden war, mit Carola passierte. Carola war damals neu in der Kneipe, zumindest kannte ich sie nicht von früher. Lange Haare und na ja, irgendwie nett. Sie bediente dort, wenn der Wirt selbst keine Lust hatte hinter dem Tresen zu stehen. Man plauderte, dazu ist eine Kneipe schließlich da, am Tresen locker miteinander, und lernte sich so flüchtig kennen.
Irgendwann damals, es war gerade Frühling im Jahr 2000, hatte ich von Carola dann eine E-Mail bekommen. Die E-Mail ging nicht direkt an mich, da ich damals privat keine E-Mail-Adresse besaß, sondern an die E-Mail-Adresse meiner Firma. Carola wollte mich näher kennenlernen.
Damals waren E-Mails noch ungewöhnlich. Von Kunden bekam ich vielleicht ein oder zwei Mails die Woche. Aber Sex-Mails kamen, damals gab es noch keine Spamfilter, zwanzig bis dreißig Stück jeden Tag. Es waren die plumpsten Anmach-Mails dabei, um einen auf irgendwelche kostenpflichtige Seiten zu lotsen, die bei mir des Öfteren die Frage aufkommen ließ, was würde passieren, wenn so eine E-Mail, an irgendeinen Ehemann adressiert, zufällig von dessen Frau geöffnet und gelesen werden würde? „Hallo Liebster, endlich sind die Nacktfotos fertig, die du von mir unbedingt haben wolltest, klicke hier, und du kannst mich in meiner ganzen, von dir so geliebten Schönheit bewundern.“
Da kommt der Ehemann nichts ahnend nach Hause, schließt die Wohnungstür auf, bekommt, ehe er sich versieht, die gute alte gusseiserne Bratpfanne links und rechts um die Ohren geknallt, ohne dass er überhaupt weiß, was los ist. Und nachdem er sich, geschlagen am Boden kriechend, ins Wohnzimmer gerettet hat, sieht er dort bereits den Scheidungsanwalt seiner Ehefrau auf dem Sofa sitzen.
Ich hatte keine Lust mich mit so einem Mist zu beschäftigen, und hatte daher meiner damaligen Sekretärin die Anweisung gegeben, die Anmach-Mails auszusortieren und mir nur die relevanten E-Mails unserer Kunden vorzulegen. Die Sex-Mails sollte sie einfach löschen. So bekam ich die E-Mail von Carola, da meine Sekretärin diese als „Anmach-Mail“, auch wenn es dabei keinen Link zu irgendwelchen Nacktfotos gab, in den Papierkorb schob, damals nicht zu Gesicht.
Eine Äußerung meinerseits am folgenden Wochenende an eine Freundin von Carola, die nichts mit der E-Mail zu tun hatte, sondern mit einem angetrunkenen Pärchen, das mich direkt davor in einer anderen Kneipe genervt hatte, wurde von dieser Freundin, die von der E-Mail an mich wusste, falsch verstanden, und mit der Vermutung, dass meine Bemerkung sich auf die E-Mail von Carola bezog, dieser kurzfristig brühwarm unterbreitet.
Daraufhin bekam ich ein paar Tage später, abermals an meine Firmenadresse, eine wütende, ja geradezu beleidigende E-Mail von Carola. Meiner Sekretärin hatte ich in der Zwischenzeit, mangels Geldmasse kündigen müssen, sodass ich alle Mails nun selbst lesen musste. Und so bekam ich diese E-Mail von Carola, im Unterschied zur Ersten, zu lesen.
Es stand dort irgendetwas von: „Kannst du dich nicht wie ein Erwachsener benehmen. Du bis doch kein kleines Kind mehr. Wenn du mich nicht näher kennenlernen willst, kannst du mir das doch direkt sagen, und nicht hinten herum eine dumme Bemerkung über mich machen. Ich hab ja wohl ein Recht auf eine ehrliche Aussprache, wenn ich dir eine Mail schicke, und dir dabei mein Herz öffne.“
Wow. Was war das denn? Ich verstand die Welt nicht. Was wollte die Frau von mir? Was habe ich getan? Von welcher Mail schrieb sie hier?
Ich hatte keine Ahnung.
Auch ich hatte mich damals etwas in Carola verliebt, hatte das Gefühl aber wegen Problemen in der Firma beiseite geschoben. Kunden eierten mal wieder mit der Zahlung herum, sodass ich für beziehungstechnische Dinge nicht den Kopf frei hatte. Und nun schickte Carola mir auch noch eine E-Mail, die ich überhaupt nicht einordnen konnte. Eine Liebeserklärung war die Mail auf jeden Fall nicht, und mir war auch nicht bewusst, dass sie mir gegenüber ihr Herz geöffnet hatte, und ich ihr im Gegenzug, irgendwie und irgendetwas vor den Kopf geworfen habe, was beleidigend gewesen wäre.
Ein paar Tage später, es war noch in der gleichen Woche, ohne dass ich zwischenzeitlich Carola im „Carrickfergus “ getroffen hatte, räumte ich den E-Mail-Papierkorb, den meine ehemalige Sekretärin mir in dem Computer voll hinterlassen hatte, auf. Da fand ich die erste Mail von Carola, und verstand. Sie hatte in der Mail, wie schon erwähnt, geschrieben, dass sie mich näher kennenlernen möchte. Sie hatte das letzte Gespräch in der Kneipe zwischen uns, angeblich sollte ich in dem Gespräch von meinen blühenden Apfelbäumen, die auf meinem Grundstück in Meck-Pomm, das noch nicht verkauft war, standen, geschwärmt haben, was sie wohl toll gefunden hat, sehr genossen. Und sie wollte mich daher nun auch außerhalb ihrer Kneipendienstzeit näher kennenlernen.
An das Gespräch über meine Apfelbäume konnte ich mich wirklich nicht mehr erinnern. Das war wohl etwas später an einem Abend, nach mehreren Guinness gewesen, sodass die Erinnerung darüber gleich weggespült worden war.
Aber wieso knallte sie mir mit der zweiten Mail gleich so wilde Beleidigungen um die Ohren? Auch wenn ich wirklich nicht wusste, was ich falsch gemacht haben soll, sollte zumindest sie, wenn sie doch anscheinend Wert darauf legte, dass man sich ihr gegenüber ehrlich, aufrichtig, und vor allem erwachsen benahm, wenigstens mit gutem Beispiel vorangehen. Nach irgendwelchen Beschuldigungen von anderen Leuten, ohne mir die Möglichkeit zu geben, mich zu verteidigen und Stellung dazu zu nehmen, mich so in einer E-Mail herunterzuputzen, zeugte selbst nicht gerade von einem ausreichenden Maß an „erwachsen sein“, wie ich es mir zumindest, und anscheinend ja auch sie, vorstellte.
Ich schickte ihr als Antwort eine Mail, entschuldigte mich darin für das Missverständnis und erklärte ihr, warum ich die erste E-Mail von ihr erst jetzt gelesen habe. Ich schrieb allerdings auch, dass ihre Verurteilung, ohne mich zu fragen, was das denn nun alles sollte, auch nicht gerade von einem Benehmen einer Erwachsenen zeugte, und man sollte doch nicht unbedingt mit Steinen werfen, wenn man anscheinend selbst im Glashaus sitzt. Erst recht nicht, wenn man seine Informationen nur aus zweiter Hand erhalten hat.
Carola reagierte nicht auf die Mail. Nun, dann eben nicht. Ich konnte ja nun wirklich nichts dafür, dass ich die erste E-Mail nicht, bzw. erst Tage später gelesen hatte. Wer schickt auch eine Liebesmail an eine Firmenadresse, bei der man nicht einmal weiß, wer die E-Mail alles liest, bevor die richtige Person, wenn denn überhaupt, sie erhält.
Irgendwie war ich davon überzeugt, dass es wohl ganz gut war, dass wir nicht zusammengekommen waren. Wer so beleidigend reagiert, ohne sich zu erkundigen,