Die Sanfte. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750208766
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kam sie wieder. Sie war inzwischen, wie ich später erfuhr, mit ihrer Pelzjacke bei den anderen Pfandleihern Dobronrawow und Moser gewesen; diese nehmen aber nur Goldsachen, wollten mit ihr gar nicht reden. Ich hatte aber von ihr schon früher einmal eine Gemme (ein ganz wertloses Ding) genommen; wunderte mich später selbst darüber, daß ich es getan hatte: denn ich nehme ja sonst auch nichts als Gold- und Silbersachen an; hatte also bei ihr mit der Gemme eine Ausnahme gemacht. Das war eben der zweite Gedanke, den ich mir über sie machte, ich weiß es noch genau.

      Diesmal, nachdem sie also bei Moser gewesen war, brachte sie mir eine Zigarrenspitze aus Bernstein; der Gegenstand war gar nicht so übel, hatte vielleicht einen Liebhaberwert, für mich aber war er ganz wertlos, denn ich nehme ja nur Goldsachen. Sie kam also nach der gestrigen Revolte wieder; daher empfing ich sie streng. Meine Strenge ist Trockenheit. Ich gab ihr für die Zigarrenspitze zwei Rubel, konnte mich aber nicht enthalten, ihr mit etwas gereizter Stimme zu sagen: »Ich tue es nur für Sie; Moser würde einen solchen Gegenstand gar nicht annehmen.« Die Worte » für Sie« betonte ich ganz besonders und gerade in einem gewissen Sinne. Denn ich war wütend. Als sie dieses »für Sie« hörte, wurde sie wieder rot, sagte aber kein Wort, warf mir das Geld nicht vor die Füße, sondern steckte es ein – diese Armut! Wie rot sie aber wurde! Ich sah, wie sehr ich sie verletzt hatte ... Und als sie schon fort war, fragte ich mich plötzlich: war denn dieser Triumph über sie zwei Rubel wert? Ha, ha, ha! Ich kann mich noch gut erinnern, daß ich mir diese Frage sogar zwei Mal vorlegte: »Ob es sich lohnte?« Und ich entschied sie lachend im bejahenden Sinne. Denn das Ganze erschien mir gar zu amüsant. Es war aber kein schlechtes Gefühl: ich tat es mit Absicht, ja, mit einer ganz bestimmten Absicht; ich wollte sie prüfen, denn es waren mir plötzlich gewisse Gedanken in bezug auf sie gekommen. Das war eben das dritte Mal, daß ich über sie in einem ganz bestimmten Sinne nachdachte.

      ... Nun, von da ab hat das Ganze begonnen. Selbstverständlich bemühte ich mich sofort, auf Umwegen alles Nähere über sie zu erfahren; wartete auch mit besonderer Ungeduld auf ihr nächstes Erscheinen. Ich hatte das bestimmte Gefühl, daß sie bald kommen würde. Als sie kam, sprach ich sie mit ausgesuchter Höflichkeit an und versuchte, sie in ein Gespräch zu ziehen. Ich habe ja eine gute Erziehung genossen, habe auch gute Manieren. Hm! Da merkte ich sofort, wir gut und sanft sie war. Die Guten und Sanften widerstreben nicht lange. Wenn sie auch nicht gleich offenherzig werden, so verstehen sie es doch nicht, einem Gespräch auszuweichen: sie sind wortkarg, antworten kurz, aber sie antworten, und je weiter, desto mehr. Man darf nur selbst dabei nicht müde werden, wenn man bei ihnen etwas erreichen will. Von ihr selbst habe ich natürlich nichts erfahren. Das von der Annonce und alles übrige erfuhr ich erst viel später. Damals verwendete sie ihre letzten Kopeken auf die Annoncen; zuerst hieß es noch ganz stolz: »Gouvernante sucht Stelle, auch nach auswärts; Angebote in geschlossenen Briefen ...« Später klang es viel bescheidener: »Nimmt jede Stelle, als Lehrerin, Gesellschaftsdame, Haushälterin, Krankenpflegerin, kann auch nähen usw.« Man kennt es ja! Selbstverständlich veränderte sich der Text ganz allmählich; und zuletzt, als sie schon verzweifelte, hieß es sogar: »Ohne Gehalt, gegen freie Station.« Nein, sie fand keine Stelle! Ich beschloß, sie zum letzten Male auf die Probe zu stellen: ich nahm plötzlich die letzte Zeitung und zeigte ihr folgende Annonce: »Junge Dame, ohne Anhang, sucht Stelle zu kleinen Kindern, am liebsten bei einem Witwer in mittleren Jahren. Kann auch in der Wirtschaft helfen.«

      »Da sehen Sie's, die hat heute früh annonciert und findet bis heute abend sicher eine Stelle. So muß man eben annoncieren!« Sie wurde wieder rot, in ihren Augen blitzte es auf, sie kehrte mir den Rücken und ging. Das gefiel mir sehr. Ich war übrigens schon damals meiner Sache sicher und fürchtete nichts mehr: niemand anders würde ihr ihre Zigarrenspitzen abnehmen. Es war übrigens auch mit den Zigarrenspitzen schon zu Ende. Ich hatte mich nicht getäuscht: am dritten Tage kam sie wieder, ganz bleich und aufgeregt – ich merkte sofort, daß bei ihr zu Hause etwas vorgefallen war; es war auch in der Tat etwas vorgefallen. Ich werde gleich darauf zurückkommen, will zuerst nur noch erzählen, wie es mir damals gelang, ihr zu imponieren und in ihren Augen zu wachsen. Der Entschluß dazu war mir so ganz plötzlich gekommen. Sie brachte mir nämlich dieses Mal ein Heiligenbild – da hängt es noch ... So weit war es mit ihr gekommen ... Ach, hören Sie! Hören Sie! Jetzt fange ich erst mit der Geschichte an; was ich bisher erzählte, war nicht das Richtige. Ich will mich jetzt nämlich an jedes Detail, an jede Kleinigkeit erinnern. Ich will alle meine Gedanken auf einen Punkt konzentrieren, und kann es nicht, denn diese Einzelheiten, diese nebensächlichen Details ...

      Es war ein Muttergottesbild. Die Jungfrau mit dem Kinde, ein altes Erbstück mit silbervergoldeten Beschlägen; wert ... nun, sechs Rubel war es wert. Ich sehe, sie hängt sehr an dem Bild, versetzt es als Ganzes, mit den Beschlägen. Ich sage ihr: »Lassen Sie doch lieber nur die Beschläge da, das Bild können Sie gleich wieder mitnehmen; denn ein Heiligenbild zu versetzen, ist ja immerhin, wie soll ich es nur sagen ...«

      »Ist es Ihnen verboten, Heiligenbilder als Pfand zu nehmen?«

      »Nein, verboten ist es nicht, ich meine nur, daß es vielleicht Ihnen selbst ...«

      »Nehmen Sie also die Beschläge ab.«

      »Wissen Sie was, ich werde sie doch nicht abnehmen, sondern das Bild, wie es ist, in meinen Heiligenschrein stellen«, sagte ich nach einer Pause, »zu den anderen Heiligenbildern, unter das Lämpchen (seitdem ich mein Geschäft eröffnet habe, brennt bei mir immer das Lämpchen vor dem Heiligenschrein), und nehmen Sie ganz einfach zehn Rubel.«

      »Ich brauche keine zehn Rubel, geben Sie mir nur fünf. Ich werde das Bild ganz bestimmt auslösen.«

      »Zehn Rubel wollen Sie also nicht? Das Bild ist so viel wert,« fügte ich hinzu, als ich merkte, daß es in ihren Augen wieder aufblitzte.

      Sie erwiderte kein Wort. Ich gab ihr fünf Rubel.

      »Verachten Sie niemand; ich bin ja selbst einmal in solcher Klemme gewesen, habe sogar noch Schlimmeres erlebt; und wenn Sie mich jetzt bei einem solchen Gewerbe sehen, so ist es doch, nach allem, was ich durchgemacht ...«

      »Sie wollen sich an der Gesellschaft rächen? Nicht wahr?« unterbrach sie mich plötzlich mit ziemlich spöttischer Miene; ihr Spott erschien mir aber recht harmlos (d. h. unpersönlich, denn damals hatte sie noch keinen Grund, mich von den anderen zu unterscheiden; in ihrer Bemerkung lag also nichts Verletzendes).

      Aha – dachte ich – so eine bist du also! Zeigst deinen Charakter, gehörst also auch zu der neuen Richtung!

      »Sehen Sie,« sagte ich halb scherzend und halb geheimnisvoll, »ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.«

      Sie blickte schnell mit großer Neugierde, in der etwas Kindliches lag, zu mir auf.

      »Warten Sie ... Was ist das für ein Ausspruch? Woher haben Sie ihn? Er kommt mir bekannt vor ...«

      »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf; mit diesen Worten stellt sich Mephistopheles dem Faust vor. Haben Sie den Faust gelesen?«

      »Ja ... ganz flüchtig ...«

      »Das heißt, Sie haben ihn gar nicht gelesen. Sie sollten ihn lesen. Ich sehe jetzt auf Ihren Lippen wieder so eine spöttische Falte. Halten Sie mich, bitte, nicht für so geschmacklos, daß ich vor Ihnen, um meine Rolle als Pfandleiher zu beschönigen, etwa als Mephistopheles auftreten will. Ein Pfandleiher bleibt immer Pfandleiher. Das wissen Sie ebensogut wie ich.«

      »Sie kommen mir so sonderbar vor ... Ich habe es durchaus nicht so gemeint ...«

      Sie wollte wohl sagen: »Ich hätte nicht gedacht, daß ich es mit einem so gebildeten Menschen zu tun habe« – sie sagte es aber nicht; dafür wußte ich ganz bestimmt, daß sie es gedacht hatte; meine Bemerkung hatte ihr offenbar gefallen.

      »Sehen Sie,« bemerkte ich, »auf jedem Gebiete kann man Gutes tun. Ich spreche natürlich nicht von mir: was mich betrifft, so tue ich überhaupt nur Böses, allein ...«

      »Selbstverständlich kann man auf jedem Gebiete Gutes tun,« sagte sie und streifte mich mit einem schnellen, durchdringenden Blick. »Ja, auf jedem Gebiete«, fügte sie plötzlich hinzu.

      O,