Um diese gefährliche und gefährdete Stellung ihrer Tochter an dem fremden Hofe weiß Maria Theresia Bescheid, sie weiß auch, daß dieses viel zu junge, unernste und flatterige Geschöpf nie imstande sein wird, aus eigenem Instinkt alle die Fuchsfallen der Intrigen und Fallstricke der Palast-Politik zu umgehen. So hat sie ihr den besten Mann, den sie unter ihren Diplomaten besitzt, den Grafen Mercy, als getreuen Eckart beigegeben. »Ich fürchte«, hatte sie ihm mit wunderbarer Offenheit geschrieben, »das Übermaß an Jugend bei meiner Tochter, das Zuviel an Schmeichelei um sie, ihre Trägheit und ihren mangelnden Sinn für ernste Tätigkeit, und ich beauftrage Sie, da ich Ihnen ganz vertraue, darüber zu wachen, daß sie nicht in schlechte Hände gerate.« Die Kaiserin hätte keine bessere Wahl treffen können. Geborener Belgier, aber ganz der Monarchin ergeben, ein Mensch von Hof, aber kein Höfling, kühl denkend, aber darum nicht kalt, klarsinnig, wenn auch nicht genial, übernimmt dieser reiche, unehrgeizige Junggeselle, der nichts anderes im Leben will, als seiner Monarchin vollendet dienen, diesen Schutzposten mit allem erdenklichen Takt und rührender Treue. Scheinbar der Botschafter der Kaiserin am Hofe von Versailles, ist er in Wahrheit nur das Auge, das Ohr, die hilfreiche Hand der Mutter: wie durch ein Fernrohr kann, dank seiner genauen Berichte, Maria Theresia von Schönbrunn aus ihre Tochter beobachten. Sie weiß jedes Wort, das sie spricht, jedes Buch, das sie liest oder vielmehr nicht liest, sie kennt jedes Kleid, das sie anzieht, sie erfährt, wie Marie Antoinette jeden Tag verbringt oder vertut, mit welchen Menschen sie spricht, welche Fehler sie begeht, denn Mercy hat mit großer Geschicklichkeit das Netz um seinen Schützling ganz eng gezogen. »Ich habe mich dreier Personen aus dem Dienstpersonal der Erzherzogin versichert, ich lasse sie Tag für Tag durch Vermond beobachten, und ich weiß von der Marquise Durfort bis auf das letzte Wort, was sie mit ihren Tanten plaudert. Ich habe noch mehr Mittel und Wege, um zu erfahren, was sich beim König ereignet, wenn die Dauphine sich dort befindet. Dazu füge ich noch meine eigenen Beobachtungen, so daß es keine einzige Stunde des Tages gibt, von der ich nicht Rechnung legen könnte, was sie getan, gesagt oder gehört hat. Und ich dehne meine Nachforschungen immer nur so weit aus, als zur Beruhigung Eurer Majestät notwendig ist.« Was er hört und erspäht, berichtet dieser treuredliche Diener in völlig schonungsloser Wahrhaftigkeit. Besondere Kuriere übermitteln, weil der gegenseitige Postdiebstahl damals die Hauptkunst der Diplomatie darstellte, diese intimen, ausschließlich für Maria Theresia bestimmten Berichte, die dank verschlossener Umschläge mit der Aufschrift »tibi soli« nicht einmal dem Staatskanzler und Kaiser Joseph zugänglich sind. Manchmal allerdings wundert sich die arglose Marie Antoinette, wie rasch und genau man in Schönbrunn über jede Einzelheit ihres Lebens unterrichtet ist, aber nie ahnt sie, daß jener grauhaarige väterlich freundliche Herr der intime Spion ihrer Mutter ist und daß die mahnenden, geheimnisvoll allwissenden Briefe ihrer Mutter von Mercy selbst erbeten und abgestimmt sind. Denn Mercy hat kein anderes Mittel, um das unbändige Mädchen zu beeinflussen, als die mütterliche Autorität. Als Botschafter eines fremden, wenn auch befreundeten Hofes, ist es ihm nicht erlaubt, einer Thronfolgerin moralische Verhaltungsmaßregeln zu erteilen, er darf sich nicht anmaßen, die zukünftige Königin von Frankreich erziehen oder beeinflussen zu wollen. So bestellt er immer, wenn er etwas erreichen will, einen jener liebevoll strengen Briefe, die Marie Antoinette mit Herzklopfen empfängt und öffnet. Niemandem auf Erden sonst Untertan, hat dieses unernste Kind doch eine heilige Scheu, wenn sie die Stimme der Mutter – und sei es nur im geschriebenen Wort – vernimmt; ehrfürchtig beugt sie auch vor dem härtesten Tadel das Haupt.
Dank dieser unablässigen Überwachung ist Marie Antoinette die ersten Jahre vor der äußersten Gefahr bewahrt: vor ihrem eigenen Übermaß. Ein anderer, ein stärkerer Geist, die große und weitblickende Intelligenz ihrer Mutter denkt für sie, ein entschlossener Ernst wacht über ihre Leichtfertigkeit. Und was die Kaiserin an Marie Antoinette verschuldet, indem sie zu früh dieses junge Leben der Staatsräson hinopferte, sucht die Mutter mit tausend Sorgen wieder zurückzukaufen.
Gutmütig, herzlich und gedankenfaul hat Marie Antoinette, das Kind, eigentlich gegen alle diese Leute um sie herum keine Antipathie. Sie mag den angeheirateten Großpapa Ludwig XV., der sie freundlich tätschelt, recht gern, sie verträgt sich leidlich mit den alten Jungfern und der »Madame Etikette«, sie hegt Vertrauen zu dem guten Beichtiger Vermond und eine kindlich respektvolle Neigung für den stillen freundlichen Freund ihrer Mutter, den Botschafter Mercy. Aber doch, aber doch, alle die sind alte Leute, alle ernst, gemessen, feierlich, gravitätisch, und sie, die Fünfzehnjährige, möchte gern mit jemand unbefangen befreundet, heiter und zutraulich sein; Spielkameraden möchte sie und nicht nur Lehrer, Aufpasser und Zurechtweiser; ihre Jugend dürstet nach Jugend. Aber mit wem hier heiter sein in diesem grausam feierlichen Haus aus kaltem Marmor, mit wem hier spielen? Der rechte Spielkamerad dem Alter nach wäre ihr eigentlich zugesellt, der eigene Gatte, bloß um ein einziges Jahr älter als sie. Aber muffig, verlegen, und aus Verlegenheit oft sogar grob, weicht dieser linkische Geselle jeder Vertraulichkeit mit seiner jungen Frau aus; auch er hat nie das mindeste Verlangen gezeigt, so früh verheiratet zu werden, und es braucht gute Zeit, bis er sich überhaupt entschließt, mit diesem fremden Mädchen halbwegs höflich zu sein. So bleiben nur die jüngeren Brüder des Gatten, die Grafen von Provence und Artois; mit dem vierzehnjährigen und dreizehnjährigen treibt Marie Antoinette manchmal kindlichen Spaß, sie borgen sich Kostüme zusammen und spielen heimlich Theater, doch rasch muß alles versteckt werden, sobald »Madame Etikette« naht: eine Dauphine darf sich nicht beim Spiel ertappen lassen! Aber irgend etwas zum Lustigsein, zum Zärtlichsein braucht dieses unbändige Kind; einmal wendet sie sich an den Botschafter, man möchte ihr aus Wien einen Hund, »un chien Mops«, schicken, ein andermal entdeckt die strenge Gouvernante, daß sich die Thronfolgerin von Frankreich – Entsetzen! – die zwei kleinen Kinder einer Aufwartefrau in ihr Zimmer geholt hat und ohne Achtung für die schönen Kleider auf dem Boden mit ihnen herumrutscht und tollt. Von der ersten Stunde bis zur letzten kämpft der freie, natürliche Mensch in Marie Antoinette gegen die Unnatürlichkeit dieser erheirateten Umwelt, gegen das Preziös-Pathetische dieser Reifrock- und Schnürbrusthaltung. Immer hat sich diese leichte und lockere Wienerin in dem tausendfenstrigen feierlichen Palast von Versailles als Fremde gefühlt.
Der Kampf um ein Wort
»Menge dich nicht in die Politik, kümmere dich nicht um die Angelegenheiten der anderen«, wiederholt von Anfang an Maria Theresia immer wieder ihrer Tochter – eigentlich eine überflüssige Mahnung, denn der jungen Marie Antoinette ist nichts auf Erden wichtig als ihr Vergnügen. Alle Dinge, die gründliches Überlegen oder systematisches Nachdenken erfordern, langweilen unaussprechlich diese junge, in sich selbst verliebte Frau, und es geschieht tatsächlich ganz wider ihren Willen, daß sie gleich in den ersten Jahren in jenen erbärmlichen Kleinkrieg der Intrige hineingewirbelt wird, der am Hofe Ludwigs XV. die großzügige Staatspolitik seines Vorgängers ersetzt. Schon bei ihrer Ankunft findet sie Versailles in zwei Parteien geteilt. Die Königin ist längst gestorben, so gehörte rechtmäßig der erste weibliche Rang und alle Autorität den drei Töchtern des Königs. Aber ungeschickt, einfältig