„Alles klar. Und wann?“
„Mittwoch, 18. Juni. Sie ist auf elf Uhr geladen. Wir tauchen am Vormittag rechtzeitig bei dir in der Firma auf ...“
„Gebucht, Rudi.“
Hugo musste für den Termin mindestens einen Firmenkombi und ein paar Männer bereithalten, für die er natürlich später vom Amt bezahlt wurde.
„Vielen Dank, Hugo.“
„Mach' ich doch gern für dich.“
Sie tranken noch eine Flasche von den Flüssig-Einkäufen, und als Rudi jetzt wieder fragte, wer denn der Mann gewesen sei, der sie in Frankfurt auf dem Flughafen erwartete, gab sie zu: „Das war
Ullrich Schiefer.“
„Ist er der Vater von Jonas und Julia?“
„Nein, das ist oder besser war Tomasio Lucano.“
„Ullrichs Freund?“
„Ja.“ Tomasio war als Kind italienischer Gastarbeiter in München aufgewachsen und hatte auf einem Oktoberfest, auf dem die Akademiestudentin Isa Vandenburg als Aushilfskraft bediente, sie und Ullrich Schiefer kennengelernt. Sie hatten sich angefreundet, und als Isa ihrem Tomasio gestehen musste, dass sie von ihm schwanger war, hatte Tom gerade mit Ullrich ein Geschäft gegründet, das sich auf den Im- und Export nach und von Italien spezialisierte. Der Betrieb blühte, die Firma Utom zog nach Frankfurt, Tom ließ sie nach der Geburt sitzen, zahlte aber für die Zwillinge, und als sie eines Tages zufällig Ullrich begegnete, bot der ihr einen Job bei Utom an. Später konnte sie sich ein Haus in Schlangenbad leisten, dazu eine Hausangestellte, so dass sie die Zwillinge zu sich nehmen konnte. Julia wollte Schauspielerin werden und Jonas studierte Maschinenbau in Darmstadt. Als es kritisch wurde und Isa untertauchen musste, zog ihre Schwester Ilka nach Schlangenbad, kümmerte sich um das Haus, um Jonas und in den Unterrichtsferien auch um Julia. Isa hatte Fotos von ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester auf dem Handy und Rudi brummte ehrlich begeistert: „Donnerwetter, wie hübsch Ilka geworden ist.“ Zuletzt hatte er sie als Grundschüler in Kastel gesehen, und damals schien sie immer im Schatten der Schwester Isa zu stehen.
„Und wie soll es weitergehen?“
„Wenn ich meine Aussage vor Gericht überlebe, will ich wegziehen, nach Vilona.“
„Himmel hilf. Wo ist denn das?“
„Das ist eine vom Massen-Tourismus Gott sei Dank noch nicht ruinierte Kanareninsel. Dort besitze ich ein Grundstück direkt am Meer und eine Bauerlaubnis für eine Ferienbungalowsiedlung. Einen sprach- und landeskundigen Partner aus der Branche habe ich auch schon gefunden, dort will ich mich verstecken.“
„Vor wem?“
„In erster Linie vor Schiefer, der ja nicht ewig im Knast sitzen wird und dessen Rachsucht ich aus eigener Anschauung kenne.“
*
Mehtar Ben Ali war Tunesier, ein gebildeter, weltläufiger Mann, mehrfacher Dollar-Millionär, der fließend Englisch, Französisch und Italienisch sprach. Gregor Nellen, ein Rechtsanwalt mit viel Geld und einem schlechten Ruf bei Kollegen und der Justiz, unterhielt sich mit ihm auf Französisch. Dolmetscher konnten sie bei den heiklen Dinge, die sie zu erledigen hatten, nicht gebrauchen.
„Die Familie hält vorerst still“, versicherte Ben Ali. „Aber sobald Schiefer verurteilt ist, müssen wir entscheiden, was mit seiner Firma geschehen soll. Ich habe jemanden an der Hand, der der Sache schon mit Einsatz seines Lebens gedient hat, und genügend Geld und Kenntnisse und Connections mitbringt. Wir können ihm vertrauen.“
„Ich würde sagen, das entscheidest du. Ich verstehe zu wenig von der Sache und von dem neuen Geschäft. Vor allem fehlen mir die Sprachkenntnisse.“
Was Ben Ali nur Recht war. Er hielt den Rechtsanwalt Gregor Nellen für einen skrupellosen, geldgierigen Lumpen ohne Überzeugungen und ohne jedes Gewissen. Aber das musste er ihm ja nicht verraten, vermutete allerdings, was Nellen schon ziemlich genau ahnte, was Ben Ali von ihm hielt. Der räuspert sich: „Die Druckerei arbeitet doch noch?“
„Zu den alten Bedingungen und in alter Qualität.“
„Das ist gut. Hier habe ich fünfzehn Namen und Fotos von Männern, für die ich die üblichen Papiere brauche.“
„Geht in Ordnung. Du musst aber dafür sorgen, das die nicht wie dein Landsmann Amri durch Deutschland turnen und eine Dummheiten nach der anderen begehen.“
*
Rainer Hilgenrath hatte wie jeden Tag, bevor er abends sein Büro verließ, noch einmal in seinen Computer geschaut und die mail des Chefs gelesen, dass ein sandfarbener Corsa gesucht wurde. Hilgenrath hatte kein Ahnung, was das zu bedeuten hatte, ihm fiel nur das Kennzeichen auf, RH waren nämlich seine Initialen und 234 ließ sich gut behalten. Vom Bonner Talweg fuhr er nicht lange nach Lengsdorf, wo er sich eine Eigentumswohnung gekauft hatte. Von Männern wie ihm lebte die Lebensmittelindustrie, er war ein guter Bediener der Mikrowelle und schluckte lieber teure Lebensmittelergänzungsprodukte, als sich einmal frisches Gemüse zu kaufen und zuzubereiten. Obst kam ihm nicht auf den Tisch oder Teller. Objektiv betrachtet führte er ein tristes Leben, was ihm schon gar nicht mehr auffiel, und während sich die Schale in der Mikrowelle drehte, überlegte er, wann er zum letzten Mal eine mail oder einen Auftrag von der Frankfurter Utom oder der Agentur Kollau bekommen hatte. Früher, als Außen-, Finanz- und Wirtschaftsministerium des Bundes noch an einem Ort waren, hatte sein Weizen geblüht, aber das war lange vorbei. Ihm hatten die Wiedervereinigung und der Regierungsumzug nach Berlin nur Nachteile gebracht. Allerdings hatte er auch nie die Entschlusskraft aufgebracht, seine Zelte hier abzubrechen und nach Berlin oder Frankfurt umzuziehen. Linda hatte ihn vor Jahren verlassen; eine andere Frau hatte er nicht mehr kennengelernt. Er trank noch seine übliche Flasche Weißwein von der Ahr und ging, unzufrieden mit sich, seinem Leben und vor allem mit dem Fernsehprogramm früh zu Bett.
*
Isa und Rudi hatten bis kurz vor Mitternacht sich gegenseitig erzählt, wie es ihnen nach dem Abschied auf Lanzarote ergangen war, wobei eine zweite Flasche Wein daran glauben musste. Das Doppelbett war nicht die Krönung des Schlafkomforts. Der erste Sex nach fünfzehn Jahren war dagegen großartig, wie beide fanden und sich gegenseitig versicherten.
Freitag, 13. Juni
Sie fuhren am nächsten Vormittag in die Innenstadt, ohne festes Ziel, nur um zu bummeln. Beide wollten sie ein Stück am Rhein laufen, Beethoven vor der Post begrüßen, vielleicht das Beethovenhaus besichtigen, und Isa wünschte sich einen Stop auf dem Kreuzberg am Kapellchen, weil das in der Morgensonne so hübsch ausgesehen hatte. Er wollte wenigstens einmal einen Blick auf die Arbeitsstelle werfen, die ihm Katrin bei den Bellmanns so großmütig zugewiesen hatte. Doch vor diese löblichen Absichten hatte das Schicksal die Suche nach einem Parkplatz gesetzt: Sie fanden einen auf der Poppelsdofer Allee und achteten beim Einrangieren nicht weiter auf einen Kleinwagen, aus dem ein vielleicht vierzigjähriger Mann mit einer mürrischen Miene stieg, dem Rudi den angepeilten Platz weggeschnappt hatte. Rainer Hilgenrath ärgerte sich und schaute eigentlich nur deshalb auf das Kennzeichen des sandfarbenen Autos. Aus Wiesbaden, natürlich, wieder einer dieser unnützen Besucher des ehemaligen Bundesdorfes. Doch dann stutzte er. RH 234 , seine Initialen und die Zählanleitung für Kleinkinder. Wo hatte er das kürzlich gesehen oder gelesen? Er lief vorbei an Zunz seliger Witwe auf den Bonner Talweg und warf seinen Computer an. Da war es. Keine Minute später ging eine Mail an den Chef raus: Der gesuchte Corsa WI – RH 234 parkte im Moment auf der Bonner Poppelsdorfer Allee in Höhe des Hauses Nr. 25. MfG Hilgenrath. Sekunden später begann der Chef wie ein Wilder zu telefonieren, und während Rudi und Isa auf der