Als der Seahawk wenig später abhob, machten es sich die Männer und Frauen des OFO-Teams im Laderaum bequem. Sie legten ihre Polaranzüge und ihre Kampfausrüstung an.
Pierre Laroche holte sein Speziallaptop hervor und klappte es auf.
„Die Temperaturen hier drin sind zwar nicht ganz so hoch wie hinter Großmutters Ofen, aber ich hoffe, dass wir keine Schwierigkeiten mit dem System bekommen!“, erläuterte der Franzose. Die anderen versammelten sich um ihn und kauerten sich dabei so hin, dass sie einigermaßen erkennen konnte, was auf dem Bildschirm abgebildet wurde.
Eine Karte der Antarktis erschien. Laroche zoomte an das Zielgebiet heran. Der verborgene See unter dem Eispanzer wurde in seinen Umrissen markiert. Umrisse, die sich inzwischen ins Gedächtnis der Männer und Frauen eingebrannt hatten.
„Das Gebiet, in dem wir landen werden, liegt etwa hundert Kilometer von der Position von X-Point entfernt“, erklärte Ridge. „Es ist zwar kein Zuckerschlecken, eine so lange Distanz zu Fuß durch diese Eiswüste zu marschieren, aber verglichen mit der Strecke, die Reinhold Messner zurücklegte ist es nur ein Katzensprung. Daran sollten Sie denken, wenn Sie Ihre Füße nicht mehr spüren und glauben, dass es unmöglich ist.“
„Nach diesen Nächten im Kühlhaus spüre ich sie jetzt schon nicht mehr“, kommentierte Mark Haller.
Ina Van Karres grinste.
Ridge hingegen quittierte diese Bemerkung mit einem tadelnden Blick.
Erstaunlicherweise meldete sich der sonst eher lakonische Miroslav Chrobak zu Wort. „Ich kenne diese Temperaturen von zu Hause und bin an kalte Winter gewöhnt!“
„Nur, dass wir hier Sommer haben“, belehrte Van Karres.
„Wir haben keine andere Wahl, als uns zu Fuß an die Station heranzupirschen.“, fuhr Laroche fort. „Andernfalls würde man uns sofort bemerken. Das Gebiet um X-Point herum ist eine glatte, schneebedeckte Eisfläche. Da gibt es kaum Deckung. So etwas wie den Schutz der Dunkelheit gibt es auch nicht, da die Sonne hier ja bekanntermaßen in dieser Jahreszeit 24 Stunden am Tag nicht untergeht.
Funkkontakt ist nur im Notfall möglich. Auch die Kommunikation über Satellit ist sparsam einzusetzen. Das gilt selbst für die Navigationssysteme.“
Pierre Laroche seufzte hörbar.
„Mon dieu, ich wusste, dass das kein Einsatz nach meinem Geschmack wird! Erst die Kälte und nun dun auch noch das!“
„Sie als Fachmann brauche ich ja wohl nicht von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen“, meinte Ridge.
„Ist es nicht ziemlich unwahrscheinlich, dass man die Satellitensignale ortet?“, fragte Chrobak.
„Man könnte uns wie ein Handy anpeilen“, erwiderte Laroche. „Und im Gegensatz zu den meisten anderen Einsatzorten landen wir in einer fast menschenleeren Eiswüste. Wenn die andere Seite auch nur irgendetwas von uns auffängt, wissen sie bescheid, dass da jemand ist…“ Laroche hackte jetzt mit seinen gelenkigen Fingern auf der Tastatur herum. Er ließ eine Videodatei abspielen, die offensichtlich aus einem Aufklärungsflugzeug heraus aufgenommen worden war. „So sieht unser Ziel aus“, sagte er dazu. „Quel image!“
„Man sieht überhaupt nichts“, meinte Dr. Ina Van Karres. Die Militärärztin und Psychologin des Teams runzelte die Stirn und strich sich eine verirrte blonde Strähne aus den Augen.
Laroche grinste.
„C'est vrais!“, stimmte der Franzose zu. „Diese Aufnahmen stammen von einem Aufklärungsflug, der vor drei Wochen stattfand. Die angebliche Forschungsstation X-Point ist nur sehr schwer zu erkennen.
Ich zeige euch mal eine vergrößerte Wiederholung der Videosequenz in Zeitlupe.“ Nachdem Laroches Finger erneut über die Taten getanzt waren, wurde die Sequenz zu zweiten Mal abgespielt. Laroche stoppte sie durch einen weiteren Tastendruck an einer ganz bestimmten Stelle.
Er deutete mit dem Finger auf eine dunkle Stelle. „Auf den ersten Blick kann man es für einen Schatten halten, in Wahrheit ist es der Eingang zu einer Baracke, die ansonsten unter Schnee begraben ist. Die anderen Baracken sind in diesem Bereich, daneben ein paar Lagerhallen…“ Laroche deutete mit dem Zeigefinger.
„Die scheinen sich mit der Tarnung alle Mühe zu geben“, meinte Haller.
„Sie werden ihre Gründe dafür haben“, ergänzte Dr. Van Karres.
„Leider machen Sie unseren Job dadurch nicht gerade leichter.“
Laroche meldete sich wieder zu Wort. „Wir wissen nicht, wie die Station aussieht. Aber es gibt einige hypothetische Überlegungen dazu.
Vermutlich wurde die Station ins Eis hinein gegraben.“
„Hört sich sehr aufwändig an“, meinte Haller.
„An anderen Orten auf der Welt würde man eine Bunkeranlage bevorzugen, das ist mindestens so aufwändig“, erwiderte Laroche. „Und vor allem ist die Antarktis wahrscheinlich einer der ganz wenigen Orte, an denen man eine derartige Anlage ziemlich unbeobachtet errichten kann. Wenn zum Beispiel der Iran eine vergleichbare Anlage zu errichten versuchte, hätte das Pentagon innerhalb von 24 Stunden gestochen scharfe Satellitenbilder von den Baumaßnamen.“
„Aber wer schaut schon auf die Antarktis!“, murmelte Ridge. „Wir werden improvisieren müssen, soviel steht jetzt schon fest. Es gibt keinen festen Einsatzplan, sondern nur eine flexible Reaktion auf die Umstände, die wir vorfinden.“
„Ich liebe präzise Befehle!“, meinte Russo ironisch.
„Eins steht fest“, sagte Ridge. „Wir müssen die nächste Atomexplosion verhindern.“
Erster Teil
Camp Boulanger, einige Stunden später
Der Seahawk-Helikopter landete dort, wo sich eigentlich die Forschungsstation Camp Boulanger hätte befinden müssen. Zwei weitere Seahawks waren dort bereits gelandet. Die Maschine sank mit ihren Kufen auf die glatte Schneefläche.
Chrobak öffnete die Außentür. Ein kalter Wind blies ins Innere des Helis.
Aber noch waren die Temperaturen in einem Bereich, der das Tragen von Gesichtsmasken nicht unbedingt erforderlich machte. Allerdings war es unerlässlich, Stirn und Wangen mit einer UV-Schutzcreme einzureiben.
Haller war der Erste, der ausstieg. Das Marschgepäck ließen die OFO-Kämpfer im Laderaum des Seahawk.
Ridge folgte als zweiter und danach stieg Dr. Van Karres aus der Maschine.
Captain Rick Sutarro vom Marine Corps der US Navy kam ihnen entgegen und grüßte militärisch korrekt.
"Wo ist das Camp geblieben?", fragte Ridge. "Ich kann hier nirgends etwas erkennen, das auch nur im Entferntesten Ähnlichkeiten mit einem Forschungscamp hätte."
"Es hat Neuschnee gegeben, Sir. Und das nicht zu knapp! Außerdem hatten wir einen der ersten Stürme dieses Jahres, was zu Schneeverwehungen geführt hat. Da können ein paar unscheinbare Baracken schon mal von der Bildfläche verschwinden."
"Klingt nicht gerade beruhigend, Captain."
"Darum bin ich auch sehr froh, dass unsere üblichen Einsatzorte einige Breitengrade weiter nördlich sind!", gab Sutarro zurück. Der Captain deutete zum Horizont. Das Wetter war diesig. Die Sonne war zu einem verwaschenen Fleck geworden. "Sehen Sie, wie tief der Sonnenstand bereits ist? Wir haben schon drei Stunden nach Mitternacht und sie steht trotzdem nur einige Grad über dem Horizont."
"Wird wohl bald Winter!", meinte Haller.
Sutarro nickte.
"Die Forschungsstationen werden jetzt überwiegend geräumt. Eine Bevölkerung von schätzungsweise