Ungehindert gelangte ich zu Mister Meyers’ Wohnhaus. Schnell fand ich seinen Namen am Klingelbrett und drückte auf den Knopf daneben. Geduldig wartete ich auf das Summen, das mir das Öffnen der Haustür signalisierte. Als sich auch nach drei Minuten nichts tat, versuchte ich es noch einmal. Wieder wurde mir nicht geöffnet. Entweder war er nicht zu Hause oder er verweigerte mir den Zutritt absichtlich. Aber woher sollte er wissen, dass ich es war, die zu ihm wollte? Er wohnte im zwölften Stockwerk dieses Hochhauses, und ich stand im abgeschlossenen Eingangsbereich, der von oben nicht einsehbar war. Ich entschied mich dazu, es mit einem Anruf bei ihm zu versuchen. Nach wenigen Sekunden hob er tatsächlich ab.
„Miss Pearce? Welch eine Überraschung!”, sagte er erstaunt, als ich mich zu erkennen gegeben hatte. Ich hörte, dass er schnaufte, und dachte, dass er wohl nebenbei etwas Anstrengendes tat.
„Sind Sie zu Hause? Ich habe bei Ihnen geklingelt, aber es wurde nicht geöffnet”, meinte ich und lauschte, ob er jetzt auf den Türöffner drückte.
„Was wollen Sie?”, fuhr er mich an.
Erschrocken hielt ich das Telefon von mir weg und starrte es ungläubig an. Was war los mit ihm? Nur widerwillig drückte ich es mir wieder ans Ohr. „Ich habe mich gefragt, wie es Ihnen geht, und wollte nur mal kurz vorbeischauen”, antwortete ich. Es blieb eine Weile still in der Leitung, und ich fragte mich, ob er noch dran war oder sein Telefon beiseitegelegt hatte.
„Kommen Sie rauf!”, sagte er schroff und legte auf.
Ich steckte mein Mobiltelefon weg und drückte erneut auf den Klingelknopf. Sofort summte es, und ich konnte in das Wohnhaus eintreten.
Ich lief eine halbe Treppe hinauf und stand dann vor dem Fahrstuhl. An meiner Aversion gegen das Treppenlaufen hatte sich immer noch nichts geändert. Auch wenn ich weniger Gewicht zu tragen hatte als noch vor einigen Jahren. Ich drückte auf den Knopf, um den Fahrstuhl zu rufen, und blickte mich in dem Hausflur um. Hinter mir waren die Türen zu zwei Wohnungen zu sehen, deren Spione mich sofort dazu brachten, mich etwas weiter in die Schatten zu stellen. Pater Michael hätte mir sicher ordentlich die Leviten gelesen, wenn er gesehen hätte, dass ich einfach so in ein voll bewohntes Haus ging, wo mir jede Minute einer der Mieter über den Weg laufen konnte. Aber ich hoffte darauf, dass die guten Bürger, die hier wohnten, tagsüber hart arbeiten gingen und nun ihren wohlverdienten Feierabend vor dem Fernseher genossen und nicht mitbekamen, wie eine für tot gehaltene Monsterjägerin vor ihrer Tür stand.
Als der Fahrstuhl seine Ankunft mit einem Klingeln ankündigte, fuhr ich erschrocken zusammen. Es war kein lautes Geräusch gewesen, aber in der Dunkelheit des Hausflures wirkte es wie ein Glockenschlag. Hastig schlüpfte ich in die Kabine und drückte auf die 12. Nach etwa dreißig Sekunden klingelte der Fahrstuhl erneut, und ich stieg in der obersten Etage aus. Auch hier gab es zwei Wohnungstüren, und ich überlegte, welche von beiden mich zu Mister Meyers führen würde. Doch dann sah ich, dass eine Tür einladend offen stand. Zielstrebig ging ich zu ihr hinüber. Vorsichtig klopfte ich an. Ich wollte nicht einfach so hineinplatzen, auch wenn ich erwartet wurde. Es kam mir unhöflich war.
„Kommen Sie rein!”, forderte mich eine Stimme auf, dessen Besitzer ich nicht sehen konnte.
Ich trat also in die Wohnung ein und befand mich wieder in einem dunklen Flur. Nur ein schmaler Lichtstreifen zu meiner Rechten zeigte mir den Weg. Ich lief auf ihn zu und gelangte an eine weitere Tür. Vorsichtig stieß ich sie auf. Das Licht, das mir entgegenkam, blendete mich, und ich kniff die Augen zusammen. Nach einigen Augenblicken hatte ich mich an die Helligkeit gewöhnt und sah mich um. Das Zimmer war vollgestopft mit zahllosen Kisten, auf denen Wörter mit einem schwarzen Stift geschrieben standen wie Küche, Bad, Wohnzimmer oder Arbeitszimmer. Zwischen der ganzen Pappe hockte der Reporter. Er klebte gerade einen Karton mit braunem Klebeband zu und stellte ihn zur Seite. „Ah, Miss Pearce. Lange nicht gesehen!”, meinte er, schlüpfte zwischen den Kisten hindurch und kam auf mich zu.
Ich streckte ihm meine Hand zur Begrüßung entgegen, und für einen Moment betrachtete er sie, überlegend, ob er sie nehmen sollte oder nicht. Letztendlich nahm er sie nicht. Okay! Offenbar war er sauer auf mich. „Wie ich sehe, ziehen Sie um”, bemerkte ich und ließ meinen ausgestreckten Arm wieder an meine Seite fallen.
„Was bleibt mir anderes übrig?”, fragte er und breitete die Arme resignierend aus. „Nach meinem kleinen Filmchen kennt mich jeder in der Stadt. Ich kann nicht mehr auf die Straße gehen, ohne dass man mit dem Finger auf mich zeigt und über mich lacht. Ich wurde gefeuert, Miss Pearce, und finde keine neue Arbeit! Also muss ich gehen.” Grimmig sah er mich an und wartete auf eine Reaktion von mir.
Es bestürzte mich, davon zu hören. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie schlimm es für ihn gewesen war, und ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren würde! Hätte ich geahnt, welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde, hätte ich ihn nie damit hineingezogen.
„Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was Sie von mir wollen”, begann der Reporter zu sagen und widmete sich wieder dem Packen. „Sie, Miss Pearce”, er deutete mit ein paar Büchern auf mich, die er dann in einen Karton stapelte, und sah mich finster an, „sind mein Verderben gewesen! Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte ich heute noch einen Job und müsste nicht wie ein Schwerverbrecher aus der Stadt fliehen!”
Wow, das hat gesessen! Ich schluckte schwer und blickte beschämt zu Boden. Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können, außer: „Es tut mir leid, Mister Meyers. Es war nie meine Absicht gewesen… .”
„Sie sollten jetzt gehen!”, unterbrach er mich in meiner Entschuldigung. Unbeirrt stapelte er die Bücher in der Kiste weiter aufeinander. Das Gespräch war beendet. Ich war nicht länger erwünscht.
Mit hängendem Kopf verließ ich die Wohnung. So hatte ich mir die letzte Begegnung mit ihm nicht vorgestellt.
12. Ich mache alles falsch!
„Wie ist es gelaufen?”, fragte mich der Pater, als ich in die Kirche eintrat. Es schien alles wie immer. Es war, als wäre ich gerade von einer Patrouille gekommen, und er nahm mich nun in Empfang. „Ada? Was ist los?” Er klang besorgt und alarmiert, weil ich ihm nicht antwortete, sondern nur wie ein begossener Pudel vorwärts kroch, bis ich mich in seine Arme stürzen konnte und an seiner Brust weinte. Über mir hörte ich sein leises beruhigendes Shh und spürte seine Hände sanft über meinen Rücken streicheln. Als ich aufgehört hatte, zu schluchzen und nur noch ab und zu schniefte, schob er mich von sich und versuchte erneut aus mir Informationen herauszubekommen. „Hast du mit Mister Meyers gesprochen?” Ich nickte, ohne ihn anzusehen. „Es ist nicht gut gelaufen, mhh?”, bemerkte er.
Ich schüttelte den Kopf und wischte mir wenig damenhaft meine tropfende Nase mit dem Handrücken ab. „Er hat mir die Schuld gegeben für das, was ihm passiert ist. Er sagte, ich sei sein Verderben gewesen”, sagte ich zwischen vereinzelten verweinten Hicksern. „Es war nie meine Absicht gewesen, dass er gefeuert oder ausgelacht wird. Ich wollte das doch nicht, Michael!” Meine Augen drohten erneut überzulaufen, als ich ihn entschuldigend ansah. Wenn er mich auch noch verurteilen würde, dann… dann… ich weiß nicht, was dann gewesen wäre.
„Oh, Ada”, sagte der Pater sanft und strich mir zärtlich über die Wange. „Ich weiß doch, dass du das nicht gewollt hast. Und Mister Meyers weiß es auch.” Ich musste hysterisch auflachen. Es fiel mir schwer, das zu glauben. „Er weiß es”, betonte Pater Michael noch einmal, „aus ihm hat seine Verbitterung gesprochen. Es ist nicht deine Schuld. Du hattest gute Absichten, als du