Vorwort
Einsamkeit.
Ich fühlte mich einsam und verlassen.
Niemand konnte mir helfen.
Ich hatte panische Angst.
Denn der Schmerz war überall.
Er war in meinen Beinen, meinem Rücken,
in meinen Armen und im Kopf.
Aber am schlimmsten war es in meinem Bauch und
von dort aus abwärts.
Der Schmerz war so intensiv.
Es fühlte sich an, als würde es mich zerreißen.
Die Angst stieg in mir auf, dass es niemals enden würde.
Ich schrie mir die Seele aus dem Leib und heulte.
Ich schimpfte und fluchte und bettelte um Erlösung.
Aber es hörte nicht auf.
Es hatte eigentlich gerade erst begonnen…
Es war der 29. September, als meine Tochter geboren wurde.
Pater Michaels Geburtstag.
1. Verzweiflung
Ich hörte die Stimme eines Mannes dicht neben mir reden. „Gehen Sie!” Was? Sprach er mit mir? Wieso sollte ich gehen? Ich fühlte mich nicht dazu in der Lage zu gehen. Mir taten sogar die Augenlider weh, als ich versuchte, sie zu öffnen. Ich ergab mich der Schwäche und ließ meine Augen geschlossen.
„Michael!” Aha! Er hatte den Pater gemeint. „Gehen Sie, und rufen Sie Dr. Fields! Er muss zusätzliche Blutkonserven herbringen und zwar schnell!” Wer zum Teufel war Dr. Fields? Und wozu Blutkonserven? Was ging hier vor sich? Ich versuchte erneut, meine Augen zu öffnen. Dieses Mal gelang es mir. Allerdings fiel es mir so schwer, wie eine Kiste mit zehn 1,5 Liter Flaschen anzuheben. Durch den schmalen Spalt konnte ich aber in den Raum sehen. Pater Michael stand an der Tür und sah ernsthaft besorgt aus. Und ich glaube, ich konnte Tränen auf seinem Gesicht erkennen. Wieso weinte er?
„Ihal?”, sagte ich. Selbst für meine Ohren klang es unverständlich, aber irgendwie schien er zu wissen, dass ich ihn gemeint hatte.
Sofort raste er durch den medizinischen Raum zu mir. „Ada”, flüsterte er mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen und streichelte mir über den Kopf.
„Was is los? Wo is mein Baby?”, brachte ich mühevoll hervor und wunderte mich darüber, dass meine Zunge schwer wie Blei war.
„Es ist alles in Ordnung, Liebste”, sagte er. Doch sein Gesichtsausdruck drückte das Gegenteil aus.
Panik stieg in mir auf. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, versuchte ich mich aufzusetzen. „Wo is mein Baby?”
„Du darfst dich nicht bewegen, Ada! Bitte!”, meinte Pater Michael bestimmt und drückte mich zurück auf die Patientenliege.
Ich war zwar ziemlich hinüber, dennoch war mir nicht entgangen, dass er meine Frage zum zweiten Mal ignoriert hatte. „Wo is mein Baby? Ich will mein Baby!” Meine Stimme zitterte nun vor Angst, weil ich nicht wusste, was passiert war. Ich versuchte meinen Kopf auf dem Kissen herumzudrehen, damit ich mich in dem Raum umsehen und nach meinem Kind suchen konnte. Aber aus irgendeinem Grund wollte er nicht so wie ich.
„Bitte, Ada! Du darfst dich nicht bewegen. Du musst dich ausruhen”, flehte der Pater mich an.
Ich weinte noch mehr, weil ich keine Ahnung hatte, was los war, und es machte mir eine wahnsinnige Angst. Meine Atmung wurde schneller. Ich war kurz davor zu hyperventilieren. Wieso gab er mir nicht einfach mein Kind? Wenn alles in Ordnung war, wieso zeigte er mir meine Tochter nicht? Die Angst und Verzweiflung lagen wie ein schweres Gewicht auf meiner Brust. Hastig versuchte ich Luft in meine Lunge einzuziehen, aber mir wurde nur schwindelig davon. Meine Augen blickten zur Decke, die sich merkwürdig schnell drehte. Dann wurde alles schwarz um mich herum.
2. Erwachen
Als ich erwachte, sah ich über mir die Decke meines Schlafzimmers. Angestrengt überlegte ich, was geschehen war. Langsam versuchte ich meinen Körper zu bewegen. Mit meinen Armen ging es ganz gut, auch wenn ich eine merkwürdige Schwere in ihnen verspürte. Ich strich mit ihnen über die Bettdecke. Unter meinen Fingern spürte ich die Stickereien der Überdecke, die jemand über mich gelegt hatte. Ich versuchte meine Füße zu bewegen. Auch das funktionierte. Und meine Beine? Ja, auch die konnten sich einwandfrei bewegen, obwohl auch in ihnen dieselbe Schwere lag wie in meinen Armen. Meine Fingerspitzen bewegten sich weiter tastend herum. Plötzlich spürte ich unter ihnen etwas Weiches. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass es Haare waren. Ich versuchte mich aufzusetzen, damit ich nachsehen konnte, wer es war. Allerdings kam ich nicht weit und fiel rasch wieder zurück in die Kissen. Ich hatte nur einen kurzen Blick werfen können, aber ich wusste, dass es Pater Michaels Schopf war, der neben meinem Bein auf der Matratze lag. Meine Hand wanderte blind zu seinem Gesicht und legte sich darauf. Ich fummelte herum. Irgendwie musste ich ihn ja schließlich wach machen! Er schlief allerdings so fest, dass es ihn herzlich wenig kümmerte, dass ich in seinem Gesicht herumstocherte. Also versuchte ich meine schweren Beine irgendwie so weit zu bewegen, dass ich ihn anschubsen konnte. Nach wenigen Augenblicken zuckte er zusammen. Na endlich!
Erschrocken schoss sein Kopf hoch, und er sah sich im Zimmer um, als müsste er sich erst wieder daran erinnern, wo er war. Dann sah er, dass ich wach war. „Ada!”, rief er überrascht aus. „Du bist wach. Endlich. Gott sei Dank.” Tränen traten in seine Augen. Er nahm meine Hand und küsste sie sanft.
Sofort entriss ich sie ihm wieder. „Ich will zu meinem Kind!” Ich bat ihn nicht darum. Ich verlangte es, ohne jegliche Umschweife. Pater Michael sagte nichts, sondern sah mich nur traurig an. „Michael, ich will sie sehen!”, verlangte ich erneut und spürte sofort, wie mir die Tränen in die Augen schossen und sich meine Kehle verengte. „Nur für einen Moment möchte ich sie in den Armen halten”, fügte ich mit brüchiger Stimme hinzu.
Der Pater seufzte und setzte sich auf die Bettkante, sah mich aber nicht an. „Du weißt, dass das nicht geht”, begann er, aber ich fiel ihm ins Wort.
„Ich will zu meinem Baby!” Meine Stimme war laut geworden, und die Verzweiflung machte sie schrill.
Aber Pater Michael ließ nicht mit sich reden. Er war unnachgiebig wie ein sturer Ochse! Wie konnte er nur so herzlos sein? Hatte er denn kein bisschen Verlangen danach, seine Tochter zu sehen? Wenn er mir mein Kind nicht geben wollte, würde ich es mir eben holen gehen!
Ich fing an, mit den Beinen die Decke weg zu strampeln und rollte mich zur anderen Seite des Bettes hinüber. Mir wurde schwindelig dabei, aber ich ließ mich davon nicht aufhalten. Ich schwang meine Beine aus dem Bett und stellte mich hin. Alles in dem Raum drehte sich um mich herum, und ich hörte Pater Michaels Stimme hinter mir, die meinen Namen aufgeregt rief. Schwankend setzte ich einen Fuß vor den anderen und bewegte mich vorwärts. Meine Arme streckten sich nach der sich bewegenden Zimmertür aus. Meine Hände fuchtelten wie wild in der Luft herum und griffen nach etwas, was sie so sehr vermissten.
„Du darfst noch nicht aufstehen, Ada. Du musst dich ausruhen! Du bist noch zu schwach”, sagte der Pater und packte mich an den Schultern.
Ich wehrte mich gegen seine Hände, die mich zum Bett zurückziehen wollten. Krampfhaft versuchte ich sie abzuschütteln. Aber er war einfach zu stark, und ich war zu schwach. Ich schluchzte verzweifelt auf. Meine Knie wurden unter mir weich wie Pudding. Dann sackte ich zusammen. Ich landete in Pater Michaels Armen. Auch wenn ich dort jetzt am wenigsten sein wollte, krallte ich mich an ihnen fest. Bettelnd sah ich zu ihm auf. „Bitte, Michael. Bitte lass mich zu meinem Kind ge- .” Meine Stimme brach weg, als mich meine Tränen überwältigten.
„Es