So einsam auch Esthers Lage war, und wenn sie auch keinen Freund auf Erden besaß, welcher für sie aufzutreten gewagt hatte, so war sie doch nicht in Gefahr, Mangel zu leiden. Sie kannte eine Kunst, die selbst in einem Lande, welches verhältnismäßig nur geringen Spielraum zu ihrer Ausübung bot, hinreichend war, um ihr aufwachsendes Kind und sich selbst zu ernähren. Es war die Kunst der Nadelarbeit, damals wie noch jetzt fast die einzige, die eine Frau ergreifen konnte. Sie trug auf ihrer Brust an dem schöngestickten Buchstaben eine Probe ihrer zarten, phantasiereichen Geschicklichkeit, welcher sich die Damen eines Hofes mit Freuden bedient hätten, um ihren seidenen und goldenen Stoffen den reicheren und geistigeren Schmuck der menschlichen Erfindungsgabe zuzufügen. Hier bei der dunklen Einfachheit, welche die puritanische Kleidermode zu charakterisieren pflegte, war der Bedarf an feineren Produkten ihrer Hände weniger häufig; aber der Geschmack des Zeitalters, welcher bei Dingen dieser Art das Künstliche und Mühsame verlangte, verfehlte nicht, seinen Einfluß über unsere strengen Vorfahren auszudehnen, die so viele Moden, deren sich zu entäußern schwerer erscheinen mochte, hinter sich geworfen hatten. Die öffentlichen Zeremonien, wie z. B. Ordinationen, die Einführung von Magistratspersonen und alles, was den Formen, worin sich eine neue Regierung dem Volke kundgab, Majestät verleihen konnte, wurden als Sache bewußter Politik durch ein stattliches, gut ausgeführtes Zeremoniell und einen düsteren, aber doch einstudierten Prachtaufwand bezeichnet. Breite Kragen, auf das feinste gearbeitete Manschetten und prächtig gestickte Handschuhe galten als für die offizielle Erscheinung derjenigen, welche die Zügel der Macht in die Hand nahmen, notwendig, und wurden gern durch Rang oder Reichtum ausgezeichneten Individuen erlaubt, selbst während die Aufwandsgesetze dem Plebejerstand diese und ähnliche Verschwendungen verboten. Auch bei der Anordnung der Leichenbegängnisse – sowohl für die Kleidung der Leiche als um die verschiedenartigsten emblematischen Anwendungen von schwarzem Tuch und schneeweißem Musselin den Schmerz der Überlebenden zu versinnbildlichen – gab es ein häufiges charakteristisches Bedürfnis von Arbeiten, wie sie Esther Prynne liefern konnte. Auch das Kinderzeug – denn damals trugen die Säuglinge schon Staatsgewänder – gewährte eine Aussicht auf Arbeit und Verdienst.
Allmählich, und zwar nicht eben langsam, kamen ihre Arbeiten, wie man es jetzt nennen würde, in die Mode. Sei es nun aus Mitleid für ein Weib von so unglücklichem Schicksal oder aus der krankhaften Neugier, welche selbst gewöhnlichen oder wertlosen Dingen einen eingebildeten Wert verleiht, oder aus irgendeinem andern ungreifbaren Umstände, der damals wie jetzt hinreichend war, um manchen Personen das zu gewähren, was andere vergebens suchen mochten, oder weil Esther wirklich eine Lücke ausfüllte, welche sonst hätte leer bleiben müssen, kurz, sie hatte hinreichende und billig vergütete Beschäftigung für so viele Stunden, als sie mit Nadelarbeit auszufüllen gedachte. Vielleicht wollte sich die Eitelkeit eine Buße bereiten, indem sie bei Prunk und Staatszeremonien die Gewänder anlegte, welche ihre sündigen Hände gearbeitet hatten. Ihre Nadelarbeit war an der Krause des Gouverneurs zu sehen, Bürgerwehr trug sie an ihren Schärpen und der Prediger an seinem Beffchen, sie zierte das Mützchen des Säuglings, sie wurde in die Särge der Toten verschlossen, um dort zu verwesen und zu vermodern. Es wird aber kein einziger Fall berichtet, wo ihre Geschicklichkeit benutzt worden wäre, um den weißen Schleier zu sticken, welcher das reine Erröten einer Braut verhüllen sollte. Diese Ausnahme zeigte die unermüdliche Wachsamkeit, mit welcher die Gesellschaft ihre Sünde verdammte.
Esther bemühte sich nicht, mehr zu erwerben als einen Lebensunterhalt der einfachsten und asketischsten Art für sich und eine einfache Fülle für ihr Kind. Ihre eigene Kleidung war von dem gröbsten Stoff und der dunkelsten Färbung mit nur dem einen Zierat: dem Scharlachbuchstaben, welchen zu tragen ihr Urteil gebot. Die Kleidung des Kindes zeichnete sich dagegen durch eine phantasiereiche, oder wir möchten lieber sagen eine phantastische Erfindung aus, die zwar den luftigen Zauber erhöhte, welcher sich frühzeitig an dem kleinen Mädchen zu entwickeln begann, aber auch eine tiefere Bedeutung zu haben schien. Wir werden später wohl noch darüber sprechen. Außer diesem kleinen Aufwand für das Herausputzen ihres Kindes verwendete Esther alle ihre überflüssigen Mittel zu Almosen für Unglückliche, die weniger elend waren als sie und nicht selten die sie nährende Hand schmähten. Einen großen Teil der Zeit, welche sie leicht auf die bessere Ausübung ihrer Kunst hätte verwenden können, benutzte sie zur Anfertigung von groben Kleidungsstücken für die Armen. Es ist wahrscheinlich, daß sie bei dieser Art der Beschäftigung eine Idee von Buße hatte und daß sie ein wirkliches Opfer des Genusses darbrachte, indem sie so viele Stunden auf eine so raue Arbeit verwendete. Sie hatte in ihrer Natur eine reiche, üppige, orientalische Eigenart – einen Geschmack an dem prachtvoll Schönen, welcher außer in den köstlichen Hervorbringungen ihrer Nadel in dem ganzen Umfange ihres Lebens keinen Raum zur Entwicklung fand. Die Frauen finden ein dem anderen Geschlecht unbegreifliches Vergnügen in der zarten Arbeit der Nadel. Für Esther war sie vielleicht eine Art des Ausdrucks und daher vielleicht die Beschwichtigung der Leidenschaft ihres Lebens. Gleich allen andern Freuden verwarf sie auch diese als Sünde. Diese krankhafte Einmischung des Gewissens in unwesentliche Dinge bewies, wie wir fürchten müssen, keine echte, wankellose Bußfertigkeit, sondern etwas Zweifelhaftes, etwas, das darunter zutiefst unrecht sein konnte.
Auf diese Weise kam es, daß Esther Prynne in der Welt eine Rolle zu spielen hatte. Bei der angeborenen Charakterenergie und seltenen Fähigkeit, welche sie besaß, konnte sie jene nicht völlig abwerfen, obgleich sie ihr ein Zeichen aufgedrückt hatte, welches für das Herz eines Weibes unerträglicher war als das Mal auf Kains Stirn. Bei ihrem ganzen Verkehr mit der Gesellschaft kam jedoch nichts vor, was ihr das Gefühl verliehen hätte, als ob sie zu derselben gehörte. Jede Gebärde, jedes Wort und selbst das Schweigen jener, mit welchen sie in Berührung kam, ließen ahnen und drückten sogar oft aus, daß sie verbannt und ebenso allein sei, als ob sie einen andern Planeten bewohne oder mit der gemeinen Natur durch andere Organe und Sinne als die übrigen Menschen verbunden sei. Sie war von den Interessen der Sterblichen abgesondert und doch dicht neben ihnen wie ein Geist, welcher den heimischen Herd wieder besucht und sich nicht mehr sichtbar oder fühlbar machen, nicht mehr mit der Freude der Haushaltung lächeln, nicht mehr mit dem verwandten Kummer trauern kann, oder wenn es ihm gelingen sollte, seine verbotene Teilnahme kundzugeben, nur Schrecken und furchtbaren Widerwillen erweckt. Diese Empfindungen und überdies die bitterste Verachtung schienen das einzige zu sein, was sie noch im Herzen der Menge bewahrte. Es war kein Zeitalter feiner Empfindungen, und ihre Stellung wurde, wiewohl sie sie vollkommen begriff und nur geringe Gefahr lief, sie zu vergessen, oft durch die raueste Berührung der zartesten Stellen wie eine neue Qual vor das lebhafte Bewusstsein ihrer selbst gebracht. Die Armen, wie schon gesagt, welche sie aufsuchte, um ihnen wohlzutun, schmähten oft die Hand, welche ausgestreckt wurde, um sie zu unterstützen. Damen von hohem Range, in deren Tür sie trat, wenn es ihre Beschäftigung so mit sich brachte, waren ebenfalls gewohnt, Tropfen der Bitterkeit in ihr Herz fließen zu lassen, zuweilen durch die Alchemie ruhiger Malice, womit die Frauen aus gewöhnlichen Kleinigkeiten ein feines Gift zusammenkochen können, zuweilen auch durch einen gröberen Ausdruck, der auf die ungeschützte Brust der Leidenden fiel, wie ein schwerer Schlag auf eine eiternde Wunde. Esther hatte sich lange und gut geschult: sie antwortete auf diese Angriffe nie durch anderes als eine purpurne Röte, welche unwiderstehlich auf ihre bleiche Wange stieg und wieder in die Tiefen ihrer Brust versank. Sie war geduldig, eine wahre Märtyrerin, aber sie enthielt sich des Gebets für ihre Feinde, damit sich nicht, trotz ihres Wunsches zu verzeihen, die Worte der Segnung hartnäckig in einen Fluch verkehrten.
Immerfort und auf tausenderlei Weise fühlte sie das Herzklopfen der Pein ohne Unterlaß, das ihr von dem unvergänglichen, allzeit tätigen Urteilsspruch des puritanischen Tribunals so ausgeklügelt zugedacht worden war. Geistliche blieben auf der Straße stehen, um Worte der Ermahnung an sie zu richten, die einen Auflauf von Menschen mit seinem Gemisch von Spottlächeln und Stirnrunzeln um das arme sündige Weib versammelten. Wenn sie in eine Kirche trat und das Sonntagslächeln des Vaters aller zu teilen hoffte, so war es oft ihr Missgeschick, zu finden, daß sie selbst den Text der Rede abgab. Allmählich begann sie vor Kindern Furcht zu