140 Tage — Balkan-Tiger & Brusketa. Aleksandra Valeria. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aleksandra Valeria
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263299
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im Bacchus waren, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass sich unsere unbefangene Stimmung vom Vorabend verändert hatte. Deine Blicke waren sehr intensiv und ich fühlte mich verunsichert. Ich hatte zwar fest zugesagt, am Abend zu kommen, um einen Mojito vor meiner Abreise mit dir zu trinken, aber dann hat mich der Mut verlassen. Ich habe mich nicht einmal getraut dich anzurufen, um abzusagen, sondern habe mein Handy ausgeschaltet.

      Es wäre schön, wenn sich vielleicht, irgendwann im Leben, eine Gelegenheit ergeben würde, den Mojito nachzuholen. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du deine Ziele mit dem Weingut erreichst, so wie ich versuchen werde mein gestresstes Leben in etwas geordnetere Bahnen zu lenken. Eines Tages stoßen wir bestimmt auf bessere Zeiten an.

      Herzliche Grüße,

      Ana

       Jetzt habe ich tatsächlich zwei Stunden gebraucht, um diese Mail zu schreiben! Ich bin doch nicht normal ... Jetzt reicht es aber wirklich, es ist alles gesagt. Eigentlich sogar mehr, als ich wollte. Vielleicht zu viel? Zu spät, ist schon abgeschickt ...

       Ach, ich bin einfach überfordert! Die letzten vier Wochen waren die reinste Hölle! Die wichtigste Einnahmequelle meiner Event-Agentur ist fast von einem Tag auf den anderen versiegt. Ich habe meinen größten Kunden, einen Automobilhersteller, für den ich acht Jahre lang alle Veranstaltungen und Messen organisiert habe, verloren! Die neue Marketingleiterin, ein junges, mieses Biest, möchte 'frischen Wind' in die Eventabteilung bringen und hat eine andere Agentur beauftragt. Das war ein Schock! Diesen Tag werde ich wohl nie vergessen. Am meisten hat mich Jens Meyer, der Marketingvorstand, enttäuscht. Wir hatten in den Jahren unserer Zusammenarbeit immer ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis, aber letztendlich hatte er nicht einmal die Eier gehabt, seiner Untergebenen zu widersprechen! Typisch Mann! Zumindest hat er mir zugesagt, meiner Agentur das volle Honorar für weitere drei Monate zu bezahlen. Binnen dieser drei Monate muss ich es schaffen neue Kunden zu gewinnen, sonst muss ich mindestens drei Mitarbeiter entlassen. Ich kann meine Leute nicht einfach auf die Straße setzen! Aber ich werde es schaffen — und wenn ich Tag und Nacht daran arbeite! Ein Monat ist bereits vergangen, und einige kleinere Aufträge habe ich an Land gezogen, aber sie decken den Verlust bei Weitem nicht ab.

       Es kostet mich sehr viel Kraft, in meiner Agentur Optimismus zu verbreiten. Manchmal möchte ich morgens einfach im Bett bleiben und mir die Decke über den Kopf ziehen; aber ich darf nicht zulassen, dass die Stimmung kippt. Am Ende fangen meine Mitarbeiter noch an sich nach anderen Jobs umzusehen ... Blödsinn! Das werden sie sicher nicht tun! Sie arbeiten alle seit vielen Jahren bei mir und haben immer zu mir gehalten — ja, das haben sie. Manchmal sogar mehr, als meine eigene Familie und mein Freundeskreis, die sich bestimmt oft fragen, warum ich mir diesen Stress zumute: "Dein Mann verdient genug, die Kinder sind groß, du könntest doch jetzt ein entspanntes Leben führen ... " — Ich kann es nicht mehr hören. Dabei brauche ich gerade jetzt etwas Ermutigung, eine Stütze ... Soll ich mit meinen 42 Jahren etwa Töpferkurse belegen? Oder mich gemeinnützig engagieren? Meine Agentur ist mein 'Baby', mein drittes Kind. Ich liebe meine Arbeit — was ist daran falsch? Jahrelang habe ich einen Spagat zwischen meinen Kindern und meiner Karriere gemacht. Ich liebe Isabella und Luca über alles, sie sind mein Leben und ich wollte ihnen immer eine gute Mutter sein. Aber ich wollte auch meinen Beruf ausüben, meine Agentur aufbauen, mein eigenes Geld verdienen. Ich wollte beides! Mein schlechtes Gewissen war in all den Jahren mein engster Begleiter. Nie hatte ich das Gefühl, allen Anforderungen gerecht zu werden. War ich mit Luca auf den Fußballplätzen, um ihn bei seinen Spielen anzufeuern, oder bei Isabellas Ballettaufführungen, hatte ich immer das Gefühl die Arbeit zu vernachlässigen. Auf meinen Geschäftsreisen und Veranstaltungen, die häufig abends und an den Wochenenden stattfanden, vermisste ich die Kinder und machte mir Vorwürfe, zu wenig Zeit mit ihnen zu verbringen. Immer war ich zerrissen. Aber letztendlich ist trotz der vielen Arbeit aus meinen Kindern etwas geworden. Ich bin stolz auf sie. Beide haben ihr Abitur gemacht und studieren jetzt in London. Diese erste Etappe ist geschafft und eigentlich wäre ich jetzt endlich mal dran! Ich habe davon geträumt beruflich noch mal richtig durchzustarten, mich auf meine Eventagentur zu konzentrieren, neue Kunden zu gewinnen, zu expandieren — all das nachzuholen, was ich jahrelang hinten angestellt hatte. Bis jetzt ging es beruflich immer nur bergauf — langsam, aber stetig. Und ausgerechnet jetzt erlebe ich meine erste große berufliche Krise! Das ist nicht fair!

       Eigentlich weiß ich noch nicht einmal genau, wie und wo man neue Kunden gewinnt — bisher habe ich meine Aufträge über Empfehlungen bekommen, aber jetzt brennt es und ich muss handeln! Ich habe sogar zum ersten Mal an einer Ausschreibung teilgenommen. Die Aufgabenstellung beinhaltet die Organisation von Seminaren für das Top-Management im Ausland. In der Testphase sollen sechs Seminare á fünf Tage Dauer realisiert werden. Sollte die Nachfrage hoch sein, könnte das Projekt auch verlängert und ausgebaut werden. Ein lukrativer Auftrag, mit dem ich meine Agentur retten könnte. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, welcher Ort in Europa für gut verdienende, überarbeitete Manager interessant sein könnte. Die großen Metropolen kennen sie bestimmt und ein ruhiges Nest in den Bergen bietet zu wenig Möglichkeiten für ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm. Während ich am Konzept schrieb, hatte ich plötzlich die Idee! Dubrovnik in Kroatien ist ein fantastischer Ort. Wunderschöne Altstadt, direkt am Meer — besser geht's nicht. Das wäre doch mal ein innovativer Ansatz! Ich war plötzlich Feuer und Flamme!

       Dubrovnik ... Zehn Jahr war ich nun nicht mehr dort gewesen — seit meine Eltern unser Haus verkauft haben; die Zeit ist verflogen. 1967 sind sie mit meiner älteren Schwester Katarina aus Zagreb nach Deutschland ausgewandert. Papa hatte sich als Kardiologe gut etabliert, und nach zehn Jahren Arbeit in München konnten sie sich endlich den Traum vom eigenen Haus in der Heimat erfüllen. Ich war zwar erst sieben Jahre alt, als meine Eltern das Haus kauften, erinnere mich jedoch genau, wie stolz und glücklich sie waren, sich und ihren drei Kindern ein Haus in ihrer Heimat Jugoslawien ermöglichen zu können. Lange hatten sie überlegt, diskutiert und gestritten, ob sie ein Haus in ihrer Heimatstadt Zagreb oder doch lieber am Meer kaufen sollten. Sie entschieden sich letztendlich für das Meer, für Dubrovnik, 'die Perle der Adria', weil es für uns Kinder schöner war, den Sommer am Meer verbringen zu können. Jedes Jahr fuhren wir zu Ostern und im Sommer mit Papas Mercedes, damals in Jugoslawien das Statussymbol schlechthin, in das Haus meiner Großeltern in Zagreb. Dort blieben wir ein paar Tage und fuhren dann weiter nach Dubrovnik. Meistens kamen meine Großeltern mit und fuhren mit ihrem roten Zastava hinter unserem Mercedes her. Die ganze Familie kam im Sommer nach und nach zu Besuch — die Geschwister meiner Eltern, unsere Cousins und Cousinen ... es war immer viel Trubel. Papa blieb immer drei Wochen und fuhr dann zurück nach Deutschland, weil er arbeiten musste. Wir blieben mit Mama die ganzen Ferien in Dubrovnik und flogen zurück. Es war eine schöne, unbeschwerte Zeit ...

       Wahrscheinlich hatte mir mein Unterbewusstsein diesen Geistesblitz geschickt. Wie besessen habe ich zwei Nächte an meiner Präsentation gearbeitet — schon allein die Vorstellung sechs Wochen in Dubrovnik verbringen zu können beflügelte mich. Zufrieden hatte ich die 44 Präsentationsseiten abgeschickt. Ab diesem Moment begann das Elend des Wartens. Das hat ganz schön an meinen Nerven gezerrt. Ich war angespannt und zwischendurch sehr verunsichert. Was, wenn es noch mehr Eventmanager kroatischer Herkunft gab, die sich beworben und die gleiche Idee eingereicht hatten? Das wäre fatal. Oder wenn der Kunde Dubrovnik gar nicht als innovativ empfand? Oder wenn er es immer noch mit dem Balkankrieg in Verbindung brächte? Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich die Email erhalten hatte, dass ich in die engere Auswahl gekommen sei und mein Konzept am siebten Juni persönlich präsentieren dürfe. Die erste Hürde war geschafft! Spontan hatte ich daraufhin einen Flug nach Dubrovnik gebucht — es war eine gute Idee. Ich habe Hotels besichtigt, mögliche Ziele für das Rahmenprogramm selektiert, ausgeschlafen und bin stundenlang am Strand spazieren gegangen. Von Minute zu Minute habe ich gespürt, wie mein Optimismus zurückkehrte. Kein Wunder — bei strahlend blauem Himmel, kristallklarem Wasser und der malerischen Altstadt-Kulisse fühlte ich mich befreit, als wären meine Sorgen im Meer untergegangen. Genau so sollten sich die Manager, die die Seminare buchen würden, auch fühlen.

       Darko ... wir haben uns zufällig am Jachthafen getroffen. Fast wären wir einander vorbei gelaufen, doch dann drehten wir uns beinah zeitgleich