In keinem House der Welt schmust sich’s besser als im französischen, und wenn man Etienne de Crécy des Kitsches zeihen würde wegen seiner orchestralen, mittelmeerwarmen Sounds und Beats, dann würde er ein breites „Na klar! Na und?“ zurück grinsen, und dann wäre man fertig. Wie er seinen Maschinenpark zirpen und wehen, darin manchmal eine Soulstimme Phrasen dreschen und ein original 80er-Synthiegezwirbel sich austoben lässt, das hat natürlich Stil und Eleganz. Er ist nicht so überwältigend chillig wie Air, führt uns aber lächelnd von der Couch auf die Tanzfläche. Und dort lässt dann die Schwerkraft immer mehr nach.
Everlast
„Eat at Whitey’s” (2000)
Everlast ist modern, weil er Traditionalist ist. Er ist ein Chamäleon mit eigenem Stil. Er integriert Stile und Gäste; wenn er die Ufer wechselt, ist er dort kein Fremder. Zwischen Blues, Akustiksongs und Rap wechselt Everlast nicht mal das Hemd. Unbezahlbar seine Stimme. Sie klingt, als wären Tom Waits und Captain Beefheart eine Person. Ihre Rauheit und Ausdruckskraft funktioniert in allen Genres, obwohl er sie niemals expressiv einsetzt. Sie hält Santanas Gitarre nieder, sie tanzt Duette mit N’Dea Davenport, sie surft auf Streichern. Und immer – auch wenn der gelernte Rapper eine seiner vielen Akustikklampfen zupft oder das Tempo gedimmt wird zur Überballade wie in „Love for real“ – groovt sein Mischmasch wie die Hölle. „Ist das die Zukunft des Rock?“, fragte mich neulich ein Kollege. Aber es war eigentlich keine Frage. Sondern eine Feststellung.
Fessler
„Signatures” (2000)
Achtung: Rutschgefahr! Fessler heißt Peter mit Vornamen, und er war früher erfolgreich mit Trio Rio; heute ist sein verjazzter Latinpop so glatt wie frischgebohnertes PVC – oder, in besseren Momenten, wenigstens wie der seines Seelenverwandten Michael Franks. Fessler liebt lieblich perlende Gitarrenläufe und einen Scatgesang, der gern die Kopfstimme touchiert. Er liebt es, wenn Till Brönner betörende Saxofonsoli beisteuert, und mit der Copacabana im Herzen flötet er Hommagen an Delfine. Ein Segen für die Nachtschiene der ARD-Rundfunksender, wo „Signatures“ als Loop laufen könnte, ohne dass sich Krankenschwestern im Schichtdienst oder Brummikapitäne auf Überlandfahrt auch nur eine Sekunde daran stören würden.
Filibuster
„Deadly hifi” (2000)
Die Streitigkeiten zwischen dem notorisch geilen Macho namens Tenorsax und seinen Saitensaufkumpanen Gitarre und Bass sind grob und laut. Nun, wer im Ska das bedächtige Austauschen von Argumenten erwartet, ist eh auf dem falschen Dampfer. Das Sextett Filibuster aber besteht aus derart rauen Gesellen, dass selbst der Produzentenstar Steve Albini die freiwerdende Energie gerade mal kanalisieren, nicht aber bändigen konnte. Mit diesem Furor werden sie das Skarevival auch in Europa vorantreiben. Den Skatalites haben sie auf der Tour im Herbst schon manches Mal die Schau gestohlen. Und das will was heißen.
Fiona Apple
„When the Pawn …” (2000)
Nach ihrem überragenden 96er Erfolg mit „Tidal“ wurde die jugendliche Sängerin, Pianistin und Poetin Fiona Apple schnell ein Opfer des frühen Ruhms – Teenagerschicksal. Drei Jahre danach serviert sie uns erneut ein schweres, bewegendes Werk. Produzent Jon Brion umrankt die bisweilen schwermütige Lyrik mit dramatischen Streichern, Orgeln und Elektronik, und die stolpernde Rhythmik dieser Musik zeugt vom Stau der Gefühle – und von ihrem Ausbruch. Ein sperriges Zweitwerk, wuchtig und ohne Angst vor Schräglagen. Doch Amerikas melancholische Jugend hat Fiona längst zur Ikone erhoben; sie hatte letztlich keine Chance, etwas richtig falsch zu machen. Das wird ihr wieder schwer zu denken geben.
Firebird
„Firebird” (2000)
„Firebird“ ist das Debütalbum eines alten Hasen: Bill Steer war mit Carcass und Napalm Death einer der härtesten Burschen des Metal. Seit fünf Jahren aber schiebt Bill nur noch Frust. Krach mit dem Label, geplatzte Projekte: all der Scheiß. Doch jetzt steht Firebird, sein neues Trio, und mit ihm hat er sich verabschiedet von Grind und Gore, kehrt zurück zu den Wurzeln des Metal: zu bluesverwurzelten Bands wie Mountain, Cream und Free. Das klingt gut – so gut wie rückwärtsgewandter Hardrock im Jahr 2000 überhaupt klingen kann. Denn Steer ist ein begnadeter E-Gitarrist, seine Riffs haben Flair, und wenn er mal besinnlich wird, kommt gleich eine zärtlich raue Ballade wie „Bollard“ dabei raus, die dennoch nichts von jener peinlichen „Jetzt zünden wir alle unsere Feuerzeuge an“-Sülze hat. Fast der Newcomer des Monats. Aber dazu ist Bill halt doch ein zu alter Hase.
Georg Weber
„Langsam geht das Leben schnell” (2000)
Zwischen Satie und George Winston klaffte bislang eine Lücke. Der Pianist Georg Weber schließt sie. Natürlich perlen seine Töne, selbstverständlich stört keine Dissonanz den schönen Kitsch. Weber als Hauspianisten zu buchen, stünde jedem Edelrestaurant gut an; für eine Bar bleibt er zu besinnlich. Aber als Ersatz für Winstons abgenudeltes Kultalbum „December“ qualifiziert er sich mühelos. Einzig frech an Weber ist seine Schrulle, ausschließlich über eigene Improvisationen zu improvisieren. Hier kreist einer ums eigene Zentrum und braucht keinen anderen Gott neben sich. Das ist zu eitel, um große Kunst zu werden. Und zu schön, um Jazz zu sein.
Giant Sand
„Chore of Enchantment” (2000)
Allmählich verdichtet sich der Dunstkreis zum Clan. Howe Gelb, sein Pate, wob in den letzten Jahren ein kollegiales Netzwerk, von dem er und sein Trio Giant Sand immer mehr profitieren. Mal eben 20 Gäste, die echte Freunde sind, ins Studio zu bitten, schafft nur ein Clanchef. Vorbei schauten Evan Dando, Juliana Hatfield, Kevin Salem und viele andere, um den überbordend kreativen Gelb bei einer erneuten Exkursion in die Hitze und Heiserkeit seiner Mischung aus Wüstenrock, Lo-Fi, Noise und Slowcore zu begleiten. Es ist wie immer: Unter Gelbs Dirigat zerfällt die Musik bald in Einzelstücke, zerfasern die Songs und vor allem die Struktur des Albums. Auf jedem Album – auch diesem – gibt es meisterliche Stücke. Doch ihr Autor, Howe Gelb, macht sie kaputt, er bleibt der große Dekonstrukteur. Er will das wohl so.
Godspeed You! Black Emperor
„Levez vos skinny Fists comme Antennas to Heaven” (2000)
Bescheidenheit, hieß es mal, sei eine Zier. GYBE haben davon noch nie gehört. Ihr Bombastrock orientiert sich eher an Wagner oder Ketèlby; und irgendwo im Hinterstübchen dieser Pompverrückten muss der Wahn vorherrschen, einen doppelt so großen Sound erzeugen zu könnnen, wie ihn Yes, Pink Floyd und Emerson Lake & Palmer 1975 höchstens gemeinsam aufgetürmt hätten. Wir sprechen hier nicht von Nichtigkeiten wie Rhythmus oder Melodie, sondern von purer orchestraler Wucht, von Noisewällen und chinesischen Mauern aus Schall. Wir sprechen hier von Attacken auf die Mauern von Jericho. Das klingt so groß wie der Rock in seinen kühnsten Träumen vielleicht mal war, aber nie in Wirklichkeit. Ach ja: Versucht mal, im Plattenladen diese CD zu bestellen, und zwar unter korrekter Angabe von Interpret und Titel. Viel Spaß dabei.
Grandaddy
„The Sophtware Slump” (2000)
Jeff Lytle hat ein Haus voller Flohmarktinstrumente, eine Stimme wie Neil Young und Melodien, die in einem semianarchischen Umfeld wie dem von Grandaddy gewöhnlich verschütt gehen. Doch der Hometaper kontrolliert die Sache, denn in ihm brennt das Feuer des manischen Künstlers. „Ich gehöre zu den Leuten“, sagt er, „die das Gefühl brauchen, kreativ zu sein – ganz egal, ob dabei geschnitzte Pfeilspitzen, Schwebebrücken oder Roboter herauskommen.“ Was wirklich herauskommt, ist indes Musik – großartiger Lo-Fi aus Gitarren und halbkaputten Keyboards, der sich eng an Lytles Popjuwelen schmiegt. In einem Song geht es um einen Wald